Gemeinderats-Briefing #79: Gut gelaunt und schick gekleidet
Guy Krayenbühl (GLP) wurde als neuer Gemeinderatspräsident gewählt und machte sich in seiner Antrittsrede für ein Ausländer:innenstimmrecht stark. Seine Vorgängerin Sofia Karakostas (SP) äusserte zum Abschied Kritik an der selektiven Berichterstattung mancher Medien.
Der Start eines neuen Amtsjahres bedeutet im Gemeinderat zuallererst Festtagsstimmung. Die Laune ist gut, die Kleidung schick. Selbst bei der AL sah man gestern Hemden und Jacketts, wo man sie sonst nicht vermutet. Einzig bei den FDP-Parlamentarier:innen liess sich kaum ein Unterschied zu sonst erkennen: Krawatten und Blazer gehören hier auch den Rest des Jahres zur Standard-Garderobe.
Die erste Sitzung im neuen Amtsturnus folgt einer eingeübten, raschen Abfolge: Erst wird geredet, dann wird gewählt, dann wird geredet, dann wird gewählt. Und dann wird es auch schon Zeit für das Präsidiumsfest.
Die scheidende Ratspräsidentin Sofia Karakostas (SP) blickte in ihrer Abschiedsrede auf ihr Amtsjahr zurück und zitierte aus einem Gespräch, das sie vor einem Jahr anlässlich des Beginns ihrer Amtszeit mit Tsüri.ch geführt hatte. «Meine Aufgabe ist es, zu schauen, dass die Leute anständig reden und ihre Redezeit einhalten», hatte sie damals gesagt.
Im Laufe des letzten Jahres sei sie immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert gewesen, Debatten nicht rechtzeitig zu unterbrechen, sobald der Tonfall gehässig werde. Karakostas entschuldigte sich dafür, manchmal den richtigen Moment verpasst zu haben, stellte gleichzeitig aber auch klar, was sie schon im Tsüri.ch-Porträt vor einem Monat gesagt hatte: Die Zürcher Bevölkerung solle nicht nur mitbekommen, worüber im Parlament debattiert werde, sondern auch, in welchem Tonfall teilweise argumentiert werde.
«Ich finde es wichtig, dass die Öffentlichkeit die Möglichkeit hat, die Debatte in all ihren Facetten direkt mitzuverfolgen», so Karakostas. Das habe besonders in Zeiten von Social Media einen hohen Wert, wo ungefiltert und oft auch völlig aus dem Zusammenhang gerissen einzelne Meinungen und Gefühle hinausgeschickt und geteilt würden.
Doch auch die traditionellen Medien unterzog Karakostas einer Kritik und bemängelte deren «manchmal sehr subjektive» und «ausgewählte Berichterstattung aus dem Gemeinderat». Insbesondere sei sie sehr erstaunt gewesen, dass «eine Zeitung, die einmal als staatstragend galt» (gemeint ist offensichtlich diejenige mit drei Buchstaben an der Falkenstrasse) im letzten Jahr am Tag nach ihrer Amtseinführung lediglich über die Debatte zum 1. Mai berichtet hatte, nicht aber über den Start des neuen Amtsjahrs, die Reden oder die Festlichkeiten.
Stadtpräsidentin Corine Mauch würdigte ihre Parteikollegin Karakostas für ihre «konziliante und ruhige, überlegte Art». Diese habe dazu beigetragen, dass die vielen Debatten des letzten Amtsjahres nie aus dem Ruder gelaufen seien, sich aber auch niemand im Saal sich in seiner freien Rede habe eingeschränkt fühlen müssen.
Begleitet wurde Mauchs Rede, die offensichtlich auf die wiederholten Vorwürfe des SVP-Fraktionschefs Samuel Balsiger abzielte, man schränke seine Redefreiheit ein, wenn man ihn nach verbalen Entgleisungen ermahne, von Tuscheleien und Kommentaren in den Reihen ebenjenes SVP-Fraktionschefs Samuel Balsiger.
Es folgte die Wahl des neuen Gemeinderatspräsidenten Guy Krayenbühl (GLP) (hier sein Porträt auf Tsüri.ch) mit 100 von 117 abgegebenen Stimmen. Damit konnte der Grünliberale weniger Stimmen auf sich vereinen als Karakostas, die vor einem Jahr 108 bekam, jedoch deutlich mehr als sein Vorvorgänger Matthias Probst (Grüne), der 2022 75 Stimmen bekommen hatte.
Der neue erste Vizepräsident Christian Huser (FDP) kam auf 91 Stimmen, der neue zweite Vizepräsident Ivo Bieri (SP) auf 96. Somit ist das Präsidium nach dem Abgang Sofia Karakostas' wieder rein männlich besetzt.
«Heute geht es uns so gut, dass viele hier leben wollen.»
Guy Krayenbühl (GLP) in seiner Antrittsrede als Gemeinderatspräsident mit Blick auf die Veränderungen in der Stadt Zürich.
Krayenbühl erinnerte in seiner Rede daran, wie stark sich Zürich verändert habe, seit er 1968 an der Rämistrasse geboren wurde. Damals sei die Zahl der Einwohner:innen ungefähr gleich gross gewesen wie heute, der Anteil der Ausländer:innen aber bei lediglich 16 Prozent gelegen. Seine Mutter habe noch nicht wählen dürfen, das Betreten der Rasenflächen entlang dem See sei verboten gewesen, Gastwirtschaftsbetriebe hätten um Mitternacht schliessen müssen. Damals hätten viele Menschen die Stadt in Richtung Land verlassen.
Heute sei Zürich «interkantonaler, internationaler, gesellschaftsliberaler», erklärte der Jurist: «Heute geht es uns so gut, dass viele hier leben wollen.» Der Ausländer:innenanteil betrage heute ein Drittel, und ihm persönlich fehlten im Parlament die Stimmen der ausländischen Mitmenschen, die hier wohnten und Steuern zahlten. «Ich bin aber fest davon überzeugt, dass sich das Prinzip ‹no taxation without representation› dereinst auch bei uns durchsetzen wird, im Wissen darum, dass in der Schweizer Politik gut Ding Weile hat.»
Angesichts der vielen Krisen auf internationaler, nationaler und lokaler Ebene sprach Krayenbühl von einer Zeit der grossen Veränderungen, «die von uns allen geistige Beweglichkeit abverlangt». Mit Blick auf den Gemeinderat äusserte er sein Bedauern über die schwierige Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Politik, die immer mehr Parlamentarier:innen dazu bewege, den Rat bereits nach kurzer Zeit wieder zu verlassen. Er hoffe, dass man in seinem Amtsjahr neue Bedingungen schaffen könne, um das politische Engagement der Gemeinderät:innen besser zu ermöglichen.
Er werde alles daran setzen, ein weiteres spannendes und erfolgreiches Jahr für unsere Stadt zu ermöglichen, so Krayenbühl, der für sein Präsidiumsfest in den Veranstaltungssaal des Kunsthauses einlud. Naturwein, vegane Häppchen und Bratwurst inklusive.
Weitere Themen
- Ronny Siev (GLP) ging in einer persönlichen Erklärung auf die propalästinensischen Uni-Besetzungen ein. Er habe mit einem jüdischen Studenten gesprochen, der aufgrund der Stimmung bei der kürzlichen Besetzung Angst habe, an die Uni Zürich zu gehen. In Fribourg wisse er von einer Studentin, die aus Angst ihre Prüfung abgesagt habe. Viele jüdische Studierende versteckten inzwischen ihre jüdische Identität. In Brüssel, Amsterdam und Berlin seien jüdische Studierende kürzlich im Kontext von Besetzungen zusammengeschlagen worden. Das schockiere ihn und er danke deshalb Stadt- und Kantonspolizei, ETH und Uni Zürich für das rasche Handeln zur Beendigung der Besetzungen, «damit alle wieder ohne Angst zusammen studieren können».
- Der Sieg von Nemo beim Eurovision Song Contest (ESC) elektrisiert auch den Gemeinderat: SP und GLP haben ein Postulat eingereicht, das den Stadtrat auffordert, allenfalls auch finanzielle Mittel locker zu machen, um den ESC 2025 nach Zürich zu holen. FDP und Mitte/EVP haben ein eigenes Postulat zum selben Thema verfasst. Darin heisst es, die Stadt solle eine Durchführung des Wettbewerbs im nächsten Jahr «in Zusammenarbeit mit privaten Partnern» prüfen.
Sein Studium in Politikwissenschaften und Philosophie in Leipzig brachte Steffen zum Journalismus. Als freier Journalist schrieb er für die WOZ, den Tagesspiegel oder die Schaffhauser AZ. Laut eigenen Aussage hat er «die wichtigste Musikzeitschrift Deutschlands, die Spex, mit beerdigt». Seit 2020 ist Steffen bei Tsüri.ch. Sein Interesse für die Zürcher Lokalpolitik brachte das wöchentliche Gemeinderats-Briefing hervor. Nebst seiner Rolle als Redaktor kümmert er sich auch um die Administration und die Buchhaltung.