FC Wiedikon: «Die Juniorinnenabteilung explodiert»
In der Region Zürich könnte man jeden zweiten Tag im Jahr mit einem anderen Fussballclub trainieren. Wir haben mit vier Stadtzürcher Vereinen angefangen und sie auf dem Fussballplatz besucht. Heute: das Frauenteam des FC Wiedikon.
Der Himmel hängt tief und weiss über dem Friesenberg-Quartier. Es ist 18 Uhr, der Nachmittag übergibt dem Abend, was von diesem letzten Märztag übrig bleibt. In der Luft tanzen Nieseltropfen dem April ein Willkommenstänzchen, bevor sie sich auf mein Gesicht, meinen Mantel, meine Kameraausrüstung niederlassen. Ich bin eine Station vor dem Triemli aus der 14er-Tram gestiegen, schreite jetzt über den feuchten Küngenmatt-Schulhausplatz, vorbei an bunten Malereien von Primarschüler:innen. In einer Ecke hüpfen vier Kinder auf einem Trampolin. «Olé, olé, olé», begrüssen auch sie den April in ihren Gummistiefeln.
Ich folge ein paar Jungs in dunkelroten Fussballtrikots, vorbei an den leeren Schwimmbecken des Freibads Heuried hinauf zum Fussballplatz. Eine trübe Helligkeit umhüllt die leuchtend grün blühenden Bäume, die auf den Kunstrasen niederblicken. Luisa Gfeller (24) und Meret Böhni (24) stehen am Spielfeldrand. Sie warten auf mich.
«Seit 100 Jahren gibt es die Männerteams des FC Wiedikon – das Frauenteam erst seit fünf», sagt Luisa als wir im Schärmen des GC Heuried an einem wackligen Tisch Platz genommen haben. Die beiden Studentinnen gründeten das Frauenteam 2017. Beide sind in der Nachbarschaft aufgewachsen, direkt neben dem Fussballplatz. Schon als Kinder wollten sie in ihrem Quartier Fussball spielen, doch das war nicht möglich. «Meine Eltern fragten den FC Wiedikon nach einem Frauenteam, als ich noch klein war», erzählt Meret. Zu teuer, zu wenig Platz, hiess es da. Und so spielten Luisa und Meret lange beim nahen FC Blue Stars. Bis sie genug hatten.
Telefon mit dem Präsidenten
«Wir hatten keine Lust mehr auf dieses Ambitionierte, so viel geben zu müssen für Spass», begründen die beiden ihren Abgang bei den blauen Sternen. «Fussball soll uns einfach nur Spass machen.» Zudem war der Wunsch, für das eigene Quartier zu spielen, immer noch da. Also rief Meret den Präsidenten des FC Wiedikon an. Weil sie wusste, was dieser entgegnen würde – nämlich, dass der Verein keine Kapazitäten habe und sie sich an den FC Blue Stars wenden soll – war sie gewappnet. «Als ich ihm erzählte, dass ich schon jahrelang im Frauenfussball bin, hat sich das Gespräch gewendet», erinnert sich Meret. Der Präsident stimmte der Gründung eines Frauenteams zu. Unter der Bedingung, dass die Spielerinnen die Organisation, die Arbeit, selbst übernehmen würden. Infrastruktur, Sponsoren und Unterstützung bei der Gründung stellte der Verein ihnen zur Verfügung.
Luisa und Meret mobilisierten daraufhin sämtliche Frauen im Freundeskreis. «Wir schrieben jede weibliche Person, die wir kannten, auf Facebook an und verteilten Flyer.» So kamen 25 Frauen zusammen. Nach einem halben Jahr war unklar, wie es mit der Frauschaft weitergehen würde. Doch dann, nach einem Jahr, entschied sich das Team in die Meisterschaft einzusteigen. Heute sind zwei von zehn Vorstandsmitgliedern des FC Wiedikon Spielerinnen aus dem Frauenteam. Sponsoren suchen sie inzwischen eigene. Und seit drei Jahren gibt es im Verein sogar Juniorinnen.
«Juniorinnenabteilung explodiert»
Auch die Abteilung der Juniorinnen haben Luisa und Meret selbst initiiert. Momentan gibt es vier Teams plus eine Gruppierung mit Albisrieden. Mädchen ab neun können im Quartier trainieren. Zwischen 14 und 16 spielen die jungen Frauen entweder im aktiven Frauenteam oder bei den C-Juniorinnen. «Die Juniorinnenabteilung explodiert», sagt Meret, «es gibt Wartelisten und wir suchen dringend Trainerinnen.»
Wieso die hohe Nachfrage? Im Quartier gebe es viele Kinder, auch wegen den zwei Genossenschaften in der Nähe. Für die Junioren gibt es beim FC Wiedikon 20 Teams. «Wahrscheinlich gibt es genauso viele Mädchen, die Fussball spielen wollen», vermutet Luisa. Dass es nun Juniorinnen gebe, mache die Runde. «Letztens sprach uns eine Frau mit Hund an, weil ihre Tochter Fussball spielen will», erzählen die beiden.
Aufstieg in die 3. Liga
Nicht nur die Juniorinnenteams sind gut besucht. Auch das aktive Frauenteam hat sich seit der Gründung beinahe verdoppelt; auf etwa 40 Spielerinnen. Meret und Luisa lachen. Das Besondere am Team sei, dass sie alle aufnehmen würden. Jedes Alter. Jedes Niveau. Spielerinnen von 16 bis über 40. Anfängerinnen und solche die einst in der Nati B spielten. Das berge auch Schwierigkeiten. «Übungen zu finden, die allen Spass machen, ist manchmal nicht leicht», sagt Luisa. Alle Spielerinnen kämen regelmässig ins Training – aber in unterschiedlichen Intervallen, längst nicht alle jede Woche zweimal und an die Matches am Wochenende. Sie hätten alle viele Verpflichtungen neben dem Fussball, der Sport solle keine sein.
Letzten Sommer stiegen die Frauen des FC Wiedikons in die 3. Liga auf. «Das hat sich so ergeben», meinen die beiden Spielerinnen. «Wir haben uns gefreut und wollen in der Liga bleiben.» Das Team in eine erste und eine zweite Frauschaft aufzuteilen, komme aber zurzeit nicht in Frage. So wie es gerade ist, funktioniert es.
Weil das Frauenteam selbst organisiert ist, haben die Hälfte der Spielerinnen Zusatzaufgaben. Bei den Matches ist immer eine andere Person aus der Frauschaft Trainerin. «Wir haben gemerkt, dass es wichtig ist, dass jemand die Verantwortung hat. Sonst gibt es ein riesen Chaos.» Man wolle aber nicht, dass sich die Macht auf eine Person konzentriere, deshalb die Wechsel.
Schönes Airbnb mit Garten
Die Mehrheit der Spielerinnen habe einen akademischen Hintergrund, erzählen Luisa und Meret. Im Team gebe es zum Beispiel eine Kommunikationswissenschaftlerin, eine Philosophiestudentin, eine Filmtechnikerin und einige Psychologinnen. Meret ist angehende Hebamme, Luisa studiert Umweltwissenschaften. In ihrem Fussballteam seien alle willkommen, ein gewisses Engagement über den Fussball hinaus, sei ihnen aber schon wichtig. Viele der Spielerinnen seien im sozialen Bereich aktiv.
Der Kern der Frauschaft ist eng befreundet. «Wir haben uns gern», sagt Luisa. Auch deshalb fahre das Team einmal im Jahr ins Trainingslager. Dieses Jahr über Ostern nach Herisau. «Wir mieten jeweils ein schönes Airbnb mit Garten. Zweimal am Tag spielen wir 90 Minuten Fussball. Dazwischen baden wir, spielen Frisbee, liegen im Garten herum, kochen und probieren andere Sportarten wie Akrobatik aus», erzählt Meret. Und sie gibt zu: «Das sind keine typischen Trainingslager.» Der Spass, das Zusammensein, gemeinsam etwas zu erleben – das spiele eine wichtige Rolle im Team.
Draussen haben sich die Nieseltropfen inzwischen zu einem Regenschauer formiert. Das Wasser stürzt in Bächen vom Himmel. Trotzdem wird jetzt trainiert. Heute sind neun Spielerinnen anwesend. Ich denke kurz an den FC Hard, wo an einem solchen Tag wohl auch nicht mehr Spieler:innen aufkreuzen würden.
Bevor die Fussballerinnen sich warmlaufen, findet eine kurze Teambesprechung statt. Meret erzählt, dass sie das neugeborene Baby einer Spielerin besucht habe. Die verregneten Gesichter hellen sich auf. Nach ein paar gejoggten Runden gehen die Frauen zu Übungen am Ball über. Triefend nass schaue ich ihnen zu. Dann reicht es mir mit dem ausgearteten Nieseltropfentanz. Ich lasse den Fussballplatz hinter mir. Beim Gehen frage ich mich, ob die leeren Schwimmbecken nun wohl ein paar Zentimeter hoch mit Wasser gefüllt sind und ob man die riesige Rutschbahn jetzt, ohne stecken zu bleiben, herunter schlittern könnte. Selbst wenn man könnte, man wollte es nicht. Denn das Badewetter liegt noch in Süditalien am Strand. Und in vier Stunden ist April.
FC Wiedikon 1922 gegründet Fussballplatz FC Wiedikon, Friesenberg 2. Liga Junioren G bis Senioren 40+ 150 bis 350 Franken Jahresbeitrag |
Fussballserie 1. Auf dem Rasen mit dem FC Kosova 2. In der Halle mit Elle Real |
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Über diese Themen schreibe ich am liebsten: Kurliges. Menschen – ihre Geschichten und Gedanken. Alles, was mit dem Tod zu tun hat und also mit dem Leben.
Darum bin ich Journalistin: Des Schreibens wegen: lockerer als an der Uni und deeper als in der Werbung. Zudem höre ich mir gerne Geschichten an und interessiere mich für fast alles – aber meistens nur auf Zeit. Perfekt.
Das mag ich an Züri am meisten: Dass klares Wasser auf Beton trifft. Es lebe das Stadt-Bädele.