Zürcher Projekt gegen Littering: Wer am meisten Müll sammelt, gewinnt
«Zsuber» soll die Bevölkerung dazu motivieren, im öffentlichen Raum Müll von Fremden wegzuräumen. Davon erhoffen sich die Initianten ein sauberes Zürich. Unterstützt werden sie dabei auch von der Stadt.
Wo sich Menschen aufhalten, fällt Müll an: Davon landet nicht alles dort, wo es hingehört, sondern auf der Strasse, in Parks oder auf Plätzen. Obwohl Littering gesetzlich verboten ist, lässt sich im öffentlichen Raum Unmengen an weggeworfenem Abfall finden. Die zusätzlichen Reinigungskosten belaufen sich schweizweit laut dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) auf 200 Millionen Franken pro Jahr.
Philip Widmer und Patrick Stieger sagen Zigarettenstummel, Bierdeckel und leeren Aludosen den Kampf an. Mit ihrem Projekt «Zsuber» – eine Kombination aus den Wörtern «Zäme» und «Suber» – wollen sie die Bevölkerung dazu motivieren, Zürich vom Müll zu befreien. Unterstützt werden sie seit kurzem von der Stadt.
Aufräumen als Spiel
Angefangen habe alles auf dem Irchel. Hier verbringen die Initianten oft ihre Freizeit. Dabei sei ihnen immer wieder der Abfall aufgefallen, der sich nach den Wochenenden im angrenzenden Park verteilt hatte. Für Philip Widmer ein Ärgernis: «Es war das erste Mal, dass ich merkte: Die Stadt gehört auch mir und ich will sie besser hinterlassen, als ich sie vorgefunden habe.»
Damit ist er nicht alleine. Umfragen, die im Vorfeld des Projekts durchgeführt wurden, haben laut Widmer gezeigt, dass sich viele Passant:innen am Littering-Problem stören. Auch würde ein Grossteil der Befragten selbst Hand anlegen, wenn es weniger umständlich wäre. Diese Erkenntnis legte den Grundstein für das Projekt.
Die Lösung schien simpel: Greifzange und Kehrschaufel, mit denen fremder Abfall einfach eingesammelt und ordnungsgemäss weggeworfen werden kann. Eine App soll dafür sorgen, dass die Utensilien in ihrer Box an Ort und Stelle bleiben – aber nicht nur. «Zsuber ist auch ein Spiel», erklärt Widmer.
Nach der Registrierung kann man die Box mit der App öffnen, Zange und Schaufel nehmen und sich damit im Park auf die Jagd nach weggeworfenem Abfall machen.
Für jedes Papierchen, jede Dose und jede Zigi erhalten die Nutzer:innen Punkte, die sie aktuell noch selbstständig ins Handy eintippen. Später soll eine eingebaute Kamera und künstliche Intelligenz erkennen, was mit der Zange gegriffen wird.
Wer am meisten Punkte sammelt, führt nicht nur das Ranking an, sondern kann künftig auch Preise gewinnen. Dafür suche man aktuell Partner:innen wie Cafés oder Bäckereien.
Der Gamification-Ansatz sei zentral. Es brauche einen Anreiz, damit sich das Konzept durchsetze, ist sich Widmer sicher. «Ziel ist es, eine Community aufzubauen, die sich gegen Littering einsetzt. Je mehr Menschen sich dafür begeistern lassen, desto sauberer wird unsere Stadt.» In naher Zukunft wollen die Gründer deshalb Events planen, an denen sich Nutzer:innen messen können. Müll sammeln als Wettbewerb.
Stadt kann Littering-Kosten nicht beziffern
Daran findet auch die Stadt Gefallen. Das Projekt diene insbesondere der Sensibilisierung für das Thema Littering, schreibt Maria Colon von Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) auf Anfrage. «Denn wer selbst Hand anlegt, merkt, wie mühsam es ist, Zigarettenstummel aufzusammeln.» Obwohl die Stadtreinigung an sieben Tagen die Woche, nächtlich mehrere Stunden unterwegs ist, braucht es laut Colon die Mithilfe der Bevölkerung.
«Wir alle wollen ein sauberes Zürich. Deshalb sollten wir auch alle unseren Teil dazu beitragen.»
Philip Widmer, Mitgründer von «Zsuber»
Wie teuer die Stadt die Littering-Problematik zu stehen kommt, könne man indes nicht beziffern. Auf den Reinigungstouren werde auch Abfall weggeräumt, der unsachgemäss entsorgt wurde – daher liesse sich das nicht separat ausweisen.
Trotzdem sollen verschiedene Massnahmen gegen Littering helfen: Zum Beispiel die Kampagne «Züri trifft», die insbesondere auf jüngere Menschen abzielte. Weiter ermöglicht ERZ den Abfall- und Ressourcen-Unterricht an Stadtzürcher Schulen, um die Bewohner:innen schon im Kindes- und Jugendalter für das Thema zu sensibilisieren.
Das Pilotprojekt von Philip Widmer und Patrick Stieger wird ebenfalls finanziell unterstützt: Rund 10’000 Franken lässt sich ERZ das Projekt kosten. Der Prototyp auf dem Irchel wurde noch von der Universität Zürich mitfinanziert.
Seit Mitte Juli stehen auch im Wipkingerpark und beim Aussichtspunkt Waid insgesamt vier Boxen mit dem herzigen Eichhörnchen. «Zsubi» ist das Maskottchen des Projekts. Auch Familien mit Kindern sollen beim Aufräumen mithelfen.
Aufklärung als Teil des Konzepts
Erfahrungen aus den ersten Wochen zeigen laut Widmer, dass sich bisher Familien und über 50-Jährige besonders häufig beteiligen, «wohl auch wegen ihrer starken Verbindung zum Quartier». In Gesprächen an Events würden aber auch jüngere Menschen, Studierende und Spaziergänger:innen ihr Interesse kundtun.
Doch wäre es nicht die Aufgabe der Gemeinden, öffentliche Räume ordentlich und sauber zu halten?
Nein, findet Widmer: «Wir alle wollen ein sauberes Zürich. Deshalb sollten wir auch alle unseren Teil dazu beitragen.» Er sieht das Projekt lediglich als Ergänzung zu den Bestrebungen der Stadt. Diese leiste bereits jeden Tag wertvolle Arbeit, so der Mitgründer.
Damit dies auch jene Gruppen zu schätzen lernen, die von der App noch nicht abgeholt werden, sieht das Konzept auch Aufklärungsmassnahmen in Bildungsstätten vor. Es sei wichtig, junge Menschen zu erreichen, so Widmer, «damit wir irgendwann keine Zigarettenstummel von fremden Menschen mehr einsammeln müssen».
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Ausbildung zur tiermedizinischen Praxisassistentin bei der Tierklinik Obergrund Luzern. Danach zweiter Bildungsweg via Kommunikationsstudium an der ZHAW. Praktikum bei Tsüri.ch 2019, dabei das Herz an den Lokaljournalismus verloren und in Zürich geblieben. Seit Anfang 2025 in der Rolle als Redaktionsleiterin. Zudem Teilzeit im Sozialmarketing bei Interprise angestellt.