Fussballserie: Auf dem Rasen mit dem FC Kosova - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Alice Britschgi

Praktikantin Redaktion

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4. April 2022 um 04:30

FC Kosova: «Wir sind ein Verein für alle»

In der Region Zürich könnte man jeden zweiten Tag im Jahr mit einem anderen Fussballclub trainieren. Wir haben mit vier Stadtzürcher Vereinen angefangen und sie auf dem Fussballplatz besucht. Heute: die erste Mannschaft des FC Kosova.

Die erste Mannschaft des FC Kosova: Für das Teamfoto bleibt nur wenig Zeit, denn die Jungs sind schon warmgelaufen. (Foto: Alice Britschgi)

Micafil. Die letzte Tramhaltestelle der Linie 2 auf Stadtgebiet. Im Kiosk neben der Haltestelle kauft ein Mann Zigaretten. Er bezahlt in 10- und 20-Räpplern. Die Kioskfrau schiebt die silbernen Münzen langsam über den Tresen Richtung Kasse. Hier läuft alles etwas gemächlicher. Ich kaufe mir einen Kaffee und haste über die Hermetschloobrücke, deren Namen mir genauso wenig sagt wie «Micafil». Es ist Frühling, 18 Uhr. Die Abendsonne macht aus Altstetten alles, was ich brauche, während Autos an mir vorbeirauschen und sich die Knospen in den nahegelegen Schrebergärten auf ihre Öffnung vorbereiten. In der Ferne reflektieren Hönggs Fensterscheiben das fast dickflüssige Abendlicht. Von hier aus zeigt sich Zürich-West von Westen her – ein ungewohnter Anblick. Zu meinen Füssen, unter der Hermetschloobrücke, eingebettet zwischen Gleis- und Strassenachsen liegt die Rasensportanlage Juchhof 1. Hier trainiert der FC Kosova.

Labinot, Rinor und Valentino spielen in der ersten Mannschaft des FC Kosova. (Foto: Alice Britschgi)

Und wenn der FC Kosova trainieren sagt, dann meint er trainieren. Drei bis viermal die Woche sprinten die Jungs der ersten Mannschaft in ihren rot-schwarzen Trainingstrikots über den grünen Juchhof-Rasen. Einige von ihnen sind ehemalige Profis. Momentan spielt die erste Mannschaft in der 1. Liga, der vierthöchsten Spielklasse des Schweizer Fussballs und der höchsten Liga des Amateur-Fussballs. Ihr Ziel: der Aufstieg in den Profifussball. Bei den Zuschauerzahlen ist der FC Kosova da schon angekommen. Als die erste Mannschaft 2018 in die 1. Liga aufstieg, versammelten sich auf dem Juchhof rund 2000 Fans. Sogar TeleZüri war dabei. «Jeder Match ein Fussballfest», sagt Nesret Limani (37), «das ist unser Motto».

«David Pallas, der Trainer der ersten Mannschaft, spricht kein Albanisch – noch nicht.»

Nesret Limani, Präsident des FC Kosova

Vom Migranten-Verein zum Unternehmen

Der Präsident des FC Kosova nimmt auf einem der weissen Plastikstühle vor dem Juchhof-Kiosk platz. Nesret hat selbst sechs Jahre beim FC Kosova gekickt. Als der Verein 2015 als erster Migranten-Verein in die 1. Liga aufstieg, war er Captain. Davor spielte er beim FC Winterthur und SC Kriens als Profi. Laut Transfermarkt lag sein Marktwert zu Spitzenzeiten bei 100’000 Euro. Nach einer Knieverletzung kehrte er dem Fussballrasen den Rücken und machte Karriere bei der Credit Suisse. Er und die anderen Mitglieder des Vorstandes investieren ehrenamtlich acht bis zehn Stunden pro Woche in den Verein. «Wir haben den FC Kosova in den letzten Jahren schrittweise professionalisiert», sagt Nesret. In seinem weissen Hemd und Jacket glaubt man ihm das sofort. Aus dem Fussballclub sei ein gut strukturiertes Unternehmen geworden, inklusive Marketingstrategie und Sponsorenkonzept. An einer hohen Gitterwand, die schon von der Brücke aus zu sehen ist, hängen die gross aufgezogenen Logos der Sponsoren. Die Location für Nesrets Porträtfoto ist gesetzt.

Der Präsident des FC Kosova: Nesret Limani. (Foto: Alice Britschgi)

Der FC Kosova wurde 1994 von Einwanderern aus dem Kosovo und anderen albanischen Gebieten gegründet. Auch heute noch haben die meisten Spieler einen albanischen Hintergrund. «Wir sind ein Stadtzürcher Club und Teil der albanischen Community», sagt Nesret, «wir sind ein Verein für alle.» Über Freund:innen und Flyer-Aktionen finden auch Spieler anderer Herkunft den Weg in den FC Kosova. Die meisten würden aus Zürich oder dem Aargau stammen. Ob es kein Problem sei, wenn man nicht Albanisch spreche, frage ich. Nein, meint Nesret, denn im Training werde Deutsch gesprochen und er fügt an: «David, unser Trainer der ersten Mannschaft, spricht kein Albanisch – noch nicht.» Er lacht. Da wird er von einem anderen Trainer des Vereins, der Hallo sagen will, unterbrochen. Er zum Beispiel habe keinen albanischen Hintergrund, sagt Nesret. Der Trainer erwidert mit einem Augenzwinkern: «Im Herzen bin ich schon langsam Albaner.»

Soziales vor Spielerfolgen

An erster Stelle stünden für den Verein nicht die Erfolge auf dem Platz, sondern soziale Aspekte, sagt Nesret. Respekt, Anstand und Integration, das seien die Grundpfeiler des FC Kosova. Und mit Integration meint er nicht nur die Integration von albanischen Nachzügler:innen in die Schweiz, sondern auch die Integration der Spieler in die Arbeitswelt. Der Vorstand habe ein Sponsorenkonzept aufgezogen, das den Spielern auch berufliche Chancen biete. «Wir vermitteln den Junioren Praktika und Lehrstellen bei unseren Sponsoren», erzählt Nesret. Auch Spielern, die neu in der Schweiz sind, helfe der Verein bei der Jobsuche. So geschehen bei Anti aus Griechenland. Der Spieler der ersten Mannschaft war Profi in Bulgarien. Eines Jobs wegen kam er in die Schweiz und zum FC Kosova. Mit den Teamkollegen lernte er Deutsch, so dass der Verein ihm inzwischen eine bessere Stelle bei einem seiner Sponsoren vermitteln konnte.

Training unter lila Himmel. (Foto: Alice Britschgi)

Weil der FC Kosova nicht nur ein Verein für alle Nationen, sondern auch für alle Alter und alle Niveaus sein will, bietet er die komplette Teampalette an: Junioren G bis Senioren 40+. «So ist ab Jahrgang 2017 jeder bei uns willkommen, der unsere Werte Respekt und Anstand lebt und sich unseren Verhaltensregeln unterordnet», sagt Nesret. Man wolle die Jugendlichen von den Strassen holen und ihnen Berufschancen bieten: «Sie sollen trainieren, statt herumhängen», meint der Präsident. Zweimal im Jahr organisiert der Verein für die Junioren in den Schulferien ein Trainingscamp. Zu dieser Gelegenheit lade man für Autogrammstunden manchmal auch Specialguests wie Blerim Dzemaili vom FCZ und Amir Abrashi von GC ein.

«Hey, d Haare gmacht?», begrüsst Nesret immer wieder Leute, als wir über das Sportareal zum Training der ersten Mannschaft schlendern. «Ciao Präsi», tönt es dann manchmal zurück.

Früher gab es beim FC Kosova auch ein Frauenteam. Dieses habe sich aber leider aufgelöst, sagt Nesret. Weil viele der Spielerinnen irgendwann das Interesse am Fussball verloren hätten. Längerfristig sei der Aufbau eines Frauenteams aber sicher ein Ziel.

Ernsthaftes Training und gemachte Haare

«Hey, d Haare gmacht?», begrüsst Nesret immer wieder Leute, als wir über das Sportareal zum Training der ersten Mannschaft schlendern. «Ciao Präsi», tönt es dann manchmal zurück. Andere rechtfertigen ihre Frisuren, streichen sich mit der Hand durchs Haar. Die Stimmung ist gut, man kennt sich.

Auf dem westlichsten Fussballfeld des Juchhofs 1 läuft sich die erste Mannschaft schon warm. Als sich die Jungs für ein Teamfoto aufstellen sollen, bittet mich Nesret, die Fotosession kurz zu halten. Weil die Spieler schon warm gelaufen seien, drohten sonst Verletzungen im Training. Wenn der FC Kosova trainieren sagt, dann meint er trainieren. 

Teambetreuer Mentor Nushi, Trainer David Pallas und Assistenztrainer Veton Iseni sind bei jedem Training der ersten Mannschaft dabei. (Foto: Alice Britschgi)

Trainer der ersten Mannschaft ist David Pallas, ein ehemaliger FCZ-Trainer. Unterstützt wird er von Assistenztrainer Veton Iseni und zweimal die Woche von einem Konditionstrainer, der sich um Spieler im Aufbautraining kümmert. Teambetreuer Mentor Nushi ist bei jedem Training anwesend. Er ist Material-Guy und Seelsorger in einem. Sein oberstes Ziel sei die Zufriedenheit der Mannschaft. Er organisiert Matchtage, bringt Znüni-Pakete in die Garderoben, treibt fehlende Pullover auf, hilft den Spielern bei privaten Problemen, begleitet sie zu Physio-Terminen und manchmal auch in den Ausgang. «Ein bisschen zu oft», wie der Präsi schmunzelnd findet.

Für die Einzelfotos wählt Nesret die Spieler gezielt aus. Labinot sei mit 30 der Älteste und der beste Torschütze des Teams, erzählt er. Der Verteidiger Valentino komme aus Italien. Ali sei in der Schweiz geboren worden und aufgewachsen, Lulzim neu im Team und Rinor der Captain. Ihnen gemein ist die gemachte Frisur. Wer die Haare nicht gebändigt hat, soll heute nicht auf die Einzelfotos. «Sorry Präsi, bim letzte Foti hani d Haar gmacht gha», entschuldigt sich ein Spieler mit Lockenkopf. Für das Foto streifen die Spieler die Jacken ab. Einheitlich sollen sie aussehen. Und sowieso, wenn ihnen kalt sei, sollen sie sich mehr bewegen, lacht Nesret.

Teil der ersten Mannschaft: Ali, Anti und Lulzim. (Foto: Alice Britschgi)

«Meh Emotione, meh Körperhaltig», tönt es vom Spielfeld, als ich mich auf den Weg zurück zur Hermetschloobrücke mache. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Die Fussballfelder des Juchhofs 1 sind jetzt hell beleuchtet und von Fussballteams besetzt. In der Ferne leuchtet Höngg. Auf der Brücke drehe ich mich noch einmal um und schaue herab auf das Feld der ersten Mannschaft des FC Kosova. Fast alles läuft am Stadtrand gemächlicher. Nicht aber das Fussballtraining und die Marketingstrategie. «Ciao Präsi», denke ich und streiche mir mit der Hand durchs Haar.

FC Kosova

1994 gegründet

Rasensportanlage Juchhof 1, Altstetten

1. Liga

Junioren G bis Senioren 40+

250 bis 350 Franken Jahresbeitrag

Fussballserie

1. Auf dem Rasen mit dem FC Kosova

2. In der Halle mit Elle Real

3. Auf dem Kunstrasen mit dem FC Hard

4. Auf dem Fussballplatz mit dem FC Wiedikon

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