Entlastung für Zürcher Familien: Kita-Gebühren sollen deutlich sinken
Bürgerliche sehen «Wahlgeschenke», Mitte-links eine notwendige Unterstützung für Zürcher Familien. Am Mittwoch zeigte sich im Gemeinderat eine breite Allianz bereit, die städtischen Kita-Subventionen kräftig aufzustocken.
«Heute ist ein guter Tag für die Familien in Zürich», verkündete Yves Henz (Grüne) mit einem Grinsen. Doch diese Freude teilten am Mittwoch nicht alle im Gemeinderat.
In einer langen und teils hitzigen Debatte stritt das Stadtzürcher Parlament über die Kosten der Kinderbetreuung. Anlass war eine parlamentarische Initiative von SP, Grünen und AL, welche die Tarife für die externe Betreuung deutlich senken will. Die Parteien hatten sich bereits im Vorfeld in der zuständigen Kommission mit GLP und Mitte/EVP auf eine abgeschwächte Version geeinigt.
«Die Situation soll sich für jene verbessern, die mit einem engen Budget hantieren müssen», sagte Marcel Tobler (SP), «zum Beispiel die Familie mit dem Quartierladen, der Lagerist, die freischaffende Musikerin, der Fitnesscoach.»
Wer mehr verdient, zahlt mehr
Die Entlastung soll über mehrere Stellschrauben erfolgen: Die Einkommensgrenze für subventionierte Kinderbetreuung steigt von 100’000 auf 125’000 Franken steuerbares Jahreseinkommen, wodurch mehr Familien anspruchsberechtigt werden.
Gleichzeitig sinkt der Eigenanteil teils um mehr als die Hälfte: Familien mit 65’000 Franken Einkommen zahlen künftig 45 statt 82 Franken pro Betreuungstag, Haushalte mit 25’000 Franken nur noch 11 statt 39 Franken. Der minimale Elternbeitrag wird auf drei Franken pro Tag gesenkt. Grundlage ist ein neues progressives Modell – je tiefer das Einkommen, desto grösser die Unterstützung durch die Stadt.
«Kinderbetreuung ist in Zürich nach wie vor eine Armutsfalle», sagte Tobler. Die Stadt rechnet mit Mehrkosten von 22 Millionen Franken pro Jahr durch die Reform. Gemessen am städtischen Jahresbudget von fünf Milliarden Franken seien das lediglich zwei Promille, so Tobler. Das sei «sehr gut investiertes Geld».
«Hier werden Wahlgeschenke verteilt, um sich Stimmen zu kaufen.»
Patrik Brunner (FDP)
Patrik Brunner (FDP) sieht das anders: In Zeiten eines angespannten Budgets sei der Vorschlag zu teuer, zudem komme das Geld auch Gutverdienenden zugute. «Hier werden Wahlgeschenke verteilt, um sich Stimmen zu kaufen», kritisierte er.
Parteikollegin Martina Zürcher rechnete vor, dass die Erhöhung des Grenzbetrags dazu führen würde, dass auch Familien mit einem Bruttoeinkommen von bis zu 220’000 Franken Anspruch auf staatliche Unterstützung erhielten.
Samuel Balsiger (SVP) sprach von einer «Giesskannenpolitik» und stellte gar den Betreuungsschlüssel in Frage: «Wieso kann eine Betreuungsperson nicht ein oder zwei Kinder mehr betreuen?»
«Von einer Giesskanne zu sprechen, ist mehr als verwunderlich.»
Moritz Bögli (AL)
Moritz Bögli (AL) konterte: «Hier von einer Giesskanne zu sprechen, ist mehr als verwunderlich.» Wegen der progressiven Ausgestaltung verbessere die Reform gezielt die Situation von Familien mit tiefen Einkommen. Auch Ronny Siev (GLP) und Roger Föhn (EVP) lobten den Kompromiss als sozial ausgewogen und pragmatisch.
Sozialvorsteher Raphael Golta (SP) fand ebenfalls positive Worte: Die Kinderbetreuung in der Stadt sei eine Erfolgsgeschichte, viele Gemeinden in der Schweiz würden Zürich beneiden. Wichtig sei, dass die neue Reform direkt den Eltern zugutekomme. Langfristig müsse das Ziel sein, Kitas als Teil des steuerfinanzierten Service public zu etablieren.
Chancenlos blieben am Mittwoch zwei Postulate der SVP, welche die Subventionen für die Kinderbetreuung nicht aus- sondern abbauen wollten, um «eine «Bereinigung auf dem Markt» auszulösen, so Balsiger. Alle Parteien lehnten diese Vorstösse ab.
Der Initiativtext muss nun noch bereinigt werden, bevor er in einigen Wochen zur Schlussabstimmung kommt – reine Formsache. Frühestens in Kraft treten könnten die neuen Bestimmungen 2028.
Weitere Themen aus dem Rat
- Streit um Rosa Luxemburg: Mit 40 Minuten Verspätung startete der Gemeinderat am Mittwoch in die Traktanden. Grund war mitunter ein Streit um die Benennung eines neuen Platzes in Altstetten als Rosa-Luxemburg-Platz (Tsüri.ch berichtete). Die AL begrüsste den Entscheid des Stadtrats und würdigte Luxemburg, die Anfang des 20. Jahrhunderts gelebt hat, für ihren Einsatz für soziale Gerechtigkeit. Samuel Balsiger (SVP) hingegen bezeichnete sie als demokratiefeindlich und warf ihr vor, indirekt den Aufstieg des Dritten Reichs begünstigt zu haben. Stadtrat Daniel Leupi (Grüne) widersprach entschieden und zitierte Luxemburg selbst: «Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden.»
- Mehr Velostellplätze in Altstetten: Die SP stört sich an zu wenigen Veloabstellplätzen auf der Südseite des Bahnhofs Altstetten. Bereits jetzt ist ein Umbau der Personenunterführung beim Bahnhof geplant, mit der das Problem behoben werden könnte, doch bis zu deren Umsetzung verlangt die SP eine Übergangslösung. Raum für mehr temporäre Stellplätze gäbe es beispielsweise auf dem Altstetterplatz, schreibt sie im entsprechenden Postulat. Dieses wurde von allen Parteien ausser der SVP an den Stadtrat überwiesen.
- Neuer Treffpunkt in Witikon: «Kennen Sie ein Quartier ohne urbanen Platz?», fragte Balz Bürgisser (Grüne) in die Runde. Ein solches Quartier sei Witikon – und das solle sich ändern. Gemeinsam mit Ivo Bieri (SP) fordert er in einem Postulat, dass der Stadtrat prüft, wie im Quartier ein zusätzlicher öffentlicher Treffpunkt entstehen kann, etwa in Form eines Platzes oder Parks. Das Anliegen fand im Rat breite Unterstützung und wurde ebenfalls überwiesen.
- Weniger Parkplätze bei Sportanlagen: Ein weiteres Postulat von Balz Bürgisser (Grüne) und Sandro Gähler (SP) will die geltenden Parkplatzrichtwerte für Sport- und Freizeitanlagen deutlich senken. Diese seien zu hoch und berücksichtigten weder lokale Gegebenheiten noch gute ÖV-Anbindungen. Ziel sei es, dass Sportanlagen künftig vorwiegend mit nachhaltigen Verkehrsmitteln erreicht werden. Martina Zürcher (FDP) kritisierte den Vorstoss als «gegen den Breitensport» gerichtet, Bernhard im Oberdorf (parteilos) sprach von einer «autofeindlichen Ideologie». Doch eine Mehrheit von AL bis GLP unterstützte das Anliegen.
- Seeufer sollen ökologisch aufgewertet werden: Die Stadt Zürich plant sogenannte Seeschüttungen, bei denen Aushubmaterial – etwa vom SBB-Projekt Stadelhofen – im See eingebracht wird, um flache, sonnenlichtreiche Lebensräume für Wasserpflanzen und Tiere zu schaffen. Zudem sollen Ufer abgeflacht und mit Schilf bepflanzt werden. Über den dafür nötigen Rahmenkredit von 69 Millionen Franken entscheiden die Stimmberechtigten.
- Tempo 30 rund um den HB: Rund um den Zürcher Hauptbahnhof soll künftig Tempo 30 gelten, wie der Stadtrat am Mittwoch mitteilte. Das Gebiet zählt mit Fussgänger:innen, Velos, Autos, Bussen und Trams zu den komplexesten Verkehrsknotenpunkten der Stadt. In den letzten fünf Jahren kam es dort laut Stadt zu über 700 Unfällen – 14 davon an offiziellen Unfallschwerpunkten. Mit der Temporeduktion soll die Verkehrssituation übersichtlicher und sicherer werden.
- Wechsel im Rat: Für die verbleibende Amtsdauer bis zu den Wahlen im März 2026 nehmen folgende Personen neu Einsitz im Rat: Micha Amstad (SP) als Nachfolger von Simon Diggelmann, Cordelia Forde (SP) als Nachfolgerin von Christina Horisberger sowie Xenia Voellmy (GLP) als Nachfolgerin von Martina Novak.
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Studium der Politikwissenschaft und Philosophie. Erste journalistische Erfahrungen beim Branchenportal Klein Report und der Zürcher Studierendenzeitung (ZS), zuletzt als Co-Redaktionsleiter. Seit 2023 medienpolitisch engagiert im Verband Medien mit Zukunft. 2024 Einstieg bei Tsüri.ch als Autor des Züri Briefings und Berichterstatter zur Lokalpolitik, ab Juni 2025 Redaktor in Vollzeit. Im Frühjahr 2025 Praktikum im Inlandsressort der tageszeitung taz in Berlin.