Gemeinderat der Woche

Severin Meier (SP): «Es ist erschreckend, verwundete Kinder abzulehnen»

Während die Mitschüler:innen auf dem Pausenplatz spielten, wollte Severin Meier schon als Kind verstehen, warum es Ungleichheiten gibt. Politik und Humor sind für ihn keine Gegensätze: Vor zwei Jahren lud er Bundesrat Berset an die Street Parade ein.

Severin Meier im Gemeinderat
Aufgewachsen im Kreis 6, setzte sich Severin Meier bereits in der Primarschule für politische Anliegen ein. (Bild: Kai Vogt)

Politisch engagiert sich Severin Meier im Zürcher Gemeinderat für soziale und verkehrspolitische Anliegen. So setzte er sich bereits für das 365-Franken-VBZ-Abonnement, einen besseren öffentlichen Zugang zum See oder auch Massnahmen gegen Racial Profiling ein. «Entlastungen für Menschen mit tiefem und mittlerem Einkommen liegen mir besonders am Herzen», erklärt der SP-Politiker.

Dass humorvolle Momente auch Teil der Politik sein können, zeigte Meier an der Street Parade 2023. Diese feierte er gemeinsam mit Parteikollege Fabian Molina und dem ehemaligen Bundespräsidenten Alain Berset auf einem Lovemobile. Was die wenigsten jedoch wissen: Ohne Meier und Molina wäre Berset wohl nie zur Technoparade aufgetaucht.

«Bei einem Bier witzelten Fabian Molina und ich, dass Alain Berset als damaliger Innen- und daher auch Kulturminister eigentlich auch mal an die Street Parade kommen könnte», erzählt Meier. Einige Wochen später griff Molina die Idee tatsächlich auf und überzeugte Berset mitzukommen. «Wir konnten es selber kaum fassen», erinnert sich der 35-Jährige. Die Bilder von Berset mit der roten Federboa auf dem Lovemobile geniessen inzwischen Kultstatus.

In seinem Hauptberuf als Fachreferent in der SP-Bundeshausfraktion, berät Meier die Mitglieder der Fraktion über Fragen zur Aussen- und Friedenspolitik. Sein Interesse an politischen Debatten reicht weit zurück – bis in die Primarschule.

Warum sind Sie Gemeinderat geworden?

Ende der Primarschule, etwa im Alter von zwölf, begann ich zu realisieren, dass es grosse Ungleichheiten gibt – zwischen der Schweiz und den Ländern des Globalen Südens, aber auch innerhalb der Schweiz. Damals habe ich zusammen mit einer Kollegin aus der Primarschule Petitionen an die Migros, Lindt und Nestlé lanciert, damit sie Fairtrade-Produkte ins Sortiment aufnehmen. Seither haben mich politische Themen nicht mehr losgelassen.

Wie kam es, dass Sie bereits im Alter von zwölf mit politischen Themen in Berührung gekommen sind?

Dank eben dieser Kollegin aus der Primarschule, mit der ich heute noch befreundet bin. Sie war sehr früh politisch engagiert und hat mir Max Havelaar-Prospekte gezeigt. Sie war es auch, die mir den Soziologen und SP-Politiker Jean Ziegler empfohlen hatte und meinte, ich sollte sein Buch «Wie kommt der Hunger in die Welt?» lesen. Eine Lektüre, die mich total hineingezogen hat. Die Tatsache, dass wir hier im Überfluss leben, während Kinder auf der Welt hungern, hat mich damals – wie auch heute – schockiert. Es ist daher wohl kein Zufall, dass ich heute als Berater für Aussen- und Friedenspolitik bei der SP-Bundeshausfraktion tätig bin.

«Die FDP ist spannend, da ein Teil der Partei weltoffen ist, während sich ein anderer Teil leider zunehmend an der SVP orientiert.»

Severin Meier, Gemeinderat

Gesundheitsdirektorin Rickli lehnt die Aufnahme der 20 Kinder aus Gaza ab. Wie schätzen Sie den Entscheid als Fachreferent für Aussen- und Friedenspolitik ein?

Dass Regierungsrätin Rickli die Aufnahme von verwundeten palästinensischen Kindern ablehnte, ist erschreckend. Die Gesundheitsversorgung im Gazastreifen ist zusammengebrochen. Die SP, Grünen und AL haben gestern im Gemeinderat einen Vorstoss eingereicht, um darauf hinzuwirken, dass unser Stadtspital verletzte Kinder aus Gaza behandelt. Die Entscheidung des Bundes, Kinder aus Gaza aufzunehmen, ist ein richtiger Schritt – aber 20 sind viel zu wenig.

Welches Abstimmungsergebnis im Rat hat Sie am meisten gefreut?

Dass mein Antrag im Verkehrsrichtplan und das entsprechende Postulat zu den Quartierblöcken durchgekommen ist. Die Quartiere sollen sich am Vorbild von Barcelona orientieren und so mehrheitlich vom Durchgangsverkehr befreit werden. Damit ihnen mehr Leben eingehaucht werden kann. Es freut mich, dass das jetzt tatsächlich realisiert wird. Im Kreis 6 wir das in den nächsten Monaten umgesetzt.

Ein weiteres erfreuliches Abstimmungsergebnis war die Annahme meines Postulats für humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen. Die Stadtregierung hat dann ziemlich schnell 580'000 Franken an Hilfsorganisationen überwiesen – immerhin ein kleiner Beitrag zur Linderung der Not in Gaza.

Welches Abstimmungsergebnis im Rat hat Sie am meisten geärgert?

Dass meine Motion für ein 365-Franken-VBZ-Abo 2022 im Gemeinderat keine Mehrheit fand. Umso mehr hat es mich gefreut, dass das Anliegen, umgewandelt in eine Volksinitiative, diesen September von der Stadtbevölkerung mit 63,1 Prozent angenommen wurde. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass man an einem Thema dranbleiben muss und nicht die Hoffnung verlieren soll.

Mit welcher Gemeinderätin oder welchem Gemeinderat der politischen Gegenseite würden Sie gerne ein Getränk nach Wahl trinken?

Mit dem Parteipräsidenten der FDP, Përparim Avdili. Mit ihm würde ich gerne wieder einmal ein Bier trinken gehen, da wir uns gut verstehen. Ich finde es immer aufschlussreich, aus der eigenen Bubble herauszukommen und das Gespräch mit jemanden aus dem politischen Gegenlager zu suchen.

Gerade die FDP ist spannend, da ein Teil der Partei weltoffen ist, während ein anderer Teil sich leider zunehmend an der SVP orientiert. Über diese Aspekte zu debattieren, ist immer höchst aufschlussreich.

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Minea Pejakovic

Nach der Ausbildung zur Kauffrau EFZ beim Sozialdepartement der Stadt Zürich folgte die Berufsmaturität an der KV Zürich mit Schwerpunkt Wirtschaft. Anschliessend Bachelorabschluss in Kommunikation und Medien mit Vertiefung Journalismus an der ZHAW. Erste journalistische Erfahrungen als Praktikantin in der Redaktion von Tsüri.

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