Besetzung soll vorerst bleiben: Stadt kauft Postgebäude in Wipkingen
Der Zürcher Gemeinderat genehmigt den Kauf des alten Postgebäudes am Wipkingerplatz für 3,45 Millionen Franken. Die linke Mehrheit will, dass die Besetzung solange geduldet wird, bis konkrete Pläne aus dem Quartier vorliegen.
Der Verkehr rauscht hier ununterbrochen: Autos fahren auf die Hardbrücke auf, darunter ziehen sich mehrere Strassen durch. Gleich daneben steht ein bunter Betonklotz, brutalistisch angehaucht.
Seit 2023 ist das ehemalige Postgebäude am Wipkingerplatz besetzt (Tsüri.ch berichtete). Am Samstag befasste sich der Zürcher Gemeinderat mit seiner Zukunft.
Die Stadt möchte den Bau aus den 1970er-Jahren der Post abkaufen und ein Gemeinschaftsort für das Quartier errichten. Gleichzeitig soll der Wipkingerplatz aufgewertet werden. Für den Kauf beantragte der Stadtrat vom Parlament 3,45 Millionen Franken.
Über den Erwerb der Liegenschaft herrschte im Rat parteiübergreifend Einigkeit.
Kontrovers wurde es jedoch bei der Frage, wie lange die derzeitige Besetzung noch bestehen bleiben soll. Aktuell läuft ein Dialogprozess: Die Stadt verhandelt mit der Quartierbevölkerung über die künftige Gestaltung des Ortes. Bis ein Plan umgesetzt wird, könnten also noch einige Jahre vergehen. Was passiert in der Zwischenzeit mit dem alten Postgebäude?
Die Parteien machten verschiedene Vorschläge:
AL, SP und Grüne wollen die Besetzung weiterhin tolerieren und haben ein entsprechendes Postulat eingereicht.
Die FDP plädierte in einem eigenen Vorstoss für den schnellstmöglichen Abriss des Gebäudes und die Errichtung eines «Pop-up-Parks», also eines provisorischen Parks mit ein paar Blumentöpfen und Bänken.
Die SVP will zurück in die Vergangenheit: Sie forderte, den Platz in den Zustand der 1950er-Jahre zurückzuversetzen, als dort noch ein Park mit grossen Bäumen bestand.
«Ich will endlich meine Bäume!», sagte Johann Widmer (SVP) – ein ungewöhnlicher Satz aus seinen Reihen. Parteikollege Derek Richter bekräftigte die Forderung seiner Partei, das aktuelle Postgebäude schnellstmöglich abzureissen und einen Park mit «grosskronigen Bäumen» zu errichten. Die aktuelle Situation bezeichnete er als «versifft» und sprach von «Steuerhinterziehung und Drogenhandel», ohne dafür Belege zu liefern.
«Der Stadtrat soll die Baukontrolle an den Wipkingerplatz schicken!»
Martina Zürcher (FDP)
Martina Zürcher (FDP) kritisierte, dass das Gebäude wegen der zahlreichen Sprayereien «unglaublich wüst» aussehe und möglichst schnell abgerissen werden solle. Zudem sei die jetzige Nutzung aus baurechtlicher Sicht illegal, weshalb sie forderte: «Der Stadtrat soll die Baukontrolle an den Wipkingerplatz schicken!»
AL bis GLP begrüssten zwar grundsätzlich die Idee, langfristig mehr Grünraum zu schaffen, doch einen sofortigen Abriss lehnten sie ab.
«Wir hatten gehofft, dass die Zeiten vorbei sind, in denen mit dem Presslufthammer Tatsachen geschaffen werden», sagte Roland Hohmann (Grüne). Stattdessen setze man auf einen «ergebnisoffenen Planungsprozess». Hohmann sowie Vertreter:innen von SP und AL sprachen sich dafür aus, die aktuelle Besetzung, die kulturelle Events durchführt und unkommerziell betrieben wird, bis auf Weiteres zu dulden.
«Die momentane Nutzung bringt kulturelle Diversität in die Stadt.»
Severin Meier (SP)
«Die momentane Nutzung bringt kulturelle Diversität in die Stadt», sagte Severin Meier (SP). Grössere Töne schlug Yves Henz (Grüne) an. Die selbstverwaltete Nutzung mache Zürich zu einer lebenswerten Stadt, sagte er. «Hier haben Menschen, die die Welt ein Stück besser machen wollen, angepackt und einen Raum für Diskussion und Kultur geschaffen – offen für alle, unabhängig vom Portemonnaie.»
Tiefbauvorsteherin Simone Brander (SP) verkündete, dass der Stadtrat die Postulate gerne entgegennehme. Dennoch werde er sich bei der Planung jegliche Optionen offenlassen.
Dem Kauf der Liegenschaft stimmten alle Parteien zu. Das Postulat von AL, SP und Grünen fand eine knappe Mehrheit; die bürgerlichen Vorstösse blieben chancenlos.
Mehr Ferien für städtische Angestellte
Heiss diskutiert wurde auch eine Motion der Grünen, die eine Erhöhung des Ferienanspruchs für städtische Mitarbeiter:innen von vier auf fünf Wochen fordert. «Wir wollen die Stadtverwaltung auf einen Stand bringen, der in der Privatwirtschaft heute bereits Usus ist», sagte Luca Maggi (Grüne). In vielen KMU und Grossbetrieben seien fünf Wochen Ferien längst Standard.
Besonders wichtig sei die Anpassung für Schichtarbeitende, betonte Maggi, da dort die Arbeitsbelastung besonders hoch sei. Unterstützung erhielt die Motion von SP, AL sowie Mitte/EVP. Vertreter:innen dieser Parteien hoben hervor, wie zentral ausreichende Erholung für Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Mitarbeiter:innen sei.
GLP, FDP und SVP stellten sich hingegen gegen das Anliegen. Sie argumentierten, der bestehende Ferienanspruch sei ausreichend: Neben vier Wochen Ferien stünden den Angestellten bereits heute sechs Betriebsferientage zu, auch wenn diese weniger flexibel bezogen werden könnten.
Schliesslich wurde die Motion angenommen – ergänzt durch einen Antrag der SP. Der Stadtrat soll den Ferienanspruch insbesondere für Lernende erhöhen und gleichzeitig kritisch prüfen, ob höhere Lohnstufen in der Stadtverwaltung weiterhin zusätzliche Ferientage rechtfertigen. Stadtrat Daniel Leupi (Grüne) kündigte an, bereits im nächsten Quartal eine Vernehmlassung zu starten.
Weitere Themen aus dem Rat
Gigantischer Rahmenkredit für den Fernwärmeausbau
Der Gemeinderat hat am Samstag über historisch viel Geld für den Ausbau der Fernwärme beraten. Die bisherigen zweckgebundenen Kredite von insgesamt 903 Millionen Franken sollen aufgehoben und in einen neuen Rahmenkredit von 2,26 Milliarden Franken überführt werden. Damit will die Stadt bis 2040 rund 60 Prozent des Siedlungsgebiets an das Fernwärmenetz anschliessen und damit klimafreundliches Heizen ausbauen.
«Wir stehen vor historischen Herausforderungen und brauchen deshalb diesen historischen Betrag», sagte Dominik Waser (Grüne). Stadtrat Michael Baumer (FDP) bezeichnete den Kredit als zentral für die Weiterführung «eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte der nächsten 20 Jahre». Kritik kam einzig aus den Reihen der SVP, die von «bedenkenlosen Ausgaben» sprach. Schliesslich stimmten alle Parteien ausser der SVP dem Rahmenkredit zu.
Parallel zum Kredit stärkte der Gemeinderat seine Mitsprache: Bei Ausgaben von mehr als 40 Millionen Franken aus dem Rahmenkredit muss künftig seine Zustimmung eingeholt werden. Als Nächstes muss die Zürcher Stimmbevölkerung über die 2,26 Milliarden Franken entscheiden.
Mehr Prävention von Femiziden
Gross war die Einigkeit bei einem Postulat aus den Reihen der FDP. Drei Gemeinderätinnen verlangen vom Stadtrat zu prüfen, wie die Stadt Zürich die Prävention von Femiziden und geschlechtsspezifischer Gewalt systematisch stärken kann.
Ganz ohne Vorbehalte blieb die Zustimmung jedoch nicht. Vertreterinnen linker Parteien stellten die Ernsthaftigkeit des Vorstosses infrage. «Sie müssen mir erst beweisen, dass Sie es ernst meinen», sagte Tanja Maag (AL) in Richtung FDP. Diese habe noch wenige Tage zuvor beantragt, die Mittel für die städtische Fachstelle für Gleichstellung zu kürzen. «Geschlechtsspezifische Gewalt beginnt nicht bei akuter Lebensgefahr, sondern weit davor», sagte Maag.
In eine ähnliche Richtung argumentierte Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne). Der Nährboden für geschlechtsspezifische Gewalt sei mangelnde Gleichstellung; hier tue die FDP zu wenig. Der Vorstoss habe daher einen gewissen Wahlkampfcharakter. Marita Verbali (FDP) wies diesen Vorwurf zurück und betonte, das Thema liege ihr persönlich am Herzen. Schliesslich überwies der Gemeinderat das Postulat einstimmig an den Stadtrat.
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Studium der Politikwissenschaft und Philosophie. Erste journalistische Erfahrungen beim Branchenportal Klein Report und der Zürcher Studierendenzeitung (ZS), zuletzt als Co-Redaktionsleiter. Seit 2023 medienpolitisch engagiert im Verband Medien mit Zukunft. 2024 Einstieg bei Tsüri.ch als Autor des Züri Briefings und Berichterstatter zur Lokalpolitik, ab Juni 2025 Redaktor in Vollzeit. Im Frühjahr 2025 Praktikum im Inlandsressort der tageszeitung taz in Berlin.