Weniger Kinder, höhere Kosten: Zürcher Kitas unter Druck
Während die Stadt Zürich wächst, sinkt die Zahl der Kinder im Vorschulalter. Kitas kämpfen mit rückläufigen Anmeldezahlen, steigenden Kosten und Fachkräftemangel. Nun debattiert Bundesbern über neue Lösungen.
Zürich hat immer weniger Kinder. Dies, obwohl die städtische Bevölkerung in den letzten Jahren stetig gewachsen ist.
Waren es 2019 noch 24’050 Kinder im Vorschulalter, zählte die Stadt im letzten Jahr noch 21’177, wie aus dem städtischen Report für Kinderbetreuung hervorgeht.
Gründe für den Rückgang gibt es mehrere. Einerseits kamen in den Jahren 2022, 2023 und 2024 deutlich weniger Kinder zur Welt, als in den Jahren zuvor. Andererseits führen die steigenden Lebenserhaltungskosten in der Stadt dazu, dass Familien vermehrt wegziehen.
Aufgrund der Abnahme der Anzahl Schulkinder hat die Stadt dieses Jahr neun Schulprojekte verschoben oder angepasst. Seit 2020 kam es ausserdem zur Schliessung von 18 Kindergärten, wie der Tages-Anzeiger berichtete.
Dass es in der Stadt immer weniger Kleinkinder gibt, spüren auch die Kindertagesstätten.
Überangebot verschärft Problematik
Auf Anfrage bestätigen mehrere privatwirtschaftlich geführte Kitas im Raum Zürich, dass sie in den letzten Jahren mit Problemen zu kämpfen hatten. Im letzten Jahrzehnt, besonders in den letzten drei Jahren, seien die Kinderzahlen stark rückläufig gewesen.
Auf den ersten Blick klingt es nach einem Widerspruch: Während es jahrzehntelang an Kita-Plätzen mangelte, gibt es nun zu viele.
Bettina Jecklin ist Geschäftsleiterin der Kindervilla Abraxas in Wiedikon. Sie bestätigt die Situation: «Gerade in der Stadt Zürich besteht mittlerweile ein Überangebot an Kitaplätzen.» Dies verschärfe zusätzlich den Fachkräftemangel, da das verfügbare Betreuungspersonal in nur schwach ausgelasteten Kitas gebunden sei.
Durch die sinkende Geburtenrate und die zusätzlich verfügbaren Kita-Plätze habe der Wettbewerb zugenommen, ergänzt Siroon Hirzel von der Kindertagesstätte «KiddieLand».
Weniger Kinder bedeuten auch weniger Einnahmen. «Zusammen mit den steigenden Betriebs- und Personalkosten stellt das eine grosse Herausforderung dar und gefährdet die Stabilität der gesamten Branche», schreibt Hirzel. «Viele kleinere Kitas werden in dieser Situation möglicherweise schliessen müssen oder von einigen wenigen grossen Gruppen übernommen, die aktiv ihre Präsenz ausbauen.» Sie warnt, dass dies langfristige Folgen für die Qualität der frühkindlichen Bildung und die Quartiere haben könnte.
Dass sich in der Stadt Zürich mittlerweile ein Überangebot an Kitas abzeichne, bestätigt der Branchenverband Kibesuisse. «Dies führt zu Schliessungen und verstärkt die ohnehin enorme finanzielle Belastung der Kitas», schreibt Anina Oegerli, Co-Leiterin des Branchenverbandes für die Region Zürich. Jede dritte Kindertagesstätte schreibe heute Verluste. Gleichzeitig sei der Versorgungsgrad an Angeboten in ländlichen Regionen nach wie vor niedrig.
Weniger Kinder und steigende Kosten
Die fehlenden Kinder sind nicht die einzige Herausforderung. Die Löhne des Personals seien in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, schreibt die Leitung einer Kita im Kreis 10. «Mit einer schlechten Auslastung stellen uns die steigenden Lohnkosten vor ein existenzielles Problem.»
Infolgedessen hätten viele von ihnen ihre Gruppen restrukturieren und auch Personal entlassen müssen. Darunter eine Kita in Schwamendingen. Sie hätten lange nach anderen Lösungen gesucht, aber «da wir in diesem Moment keine neuen Anmeldungen hatten, mussten wir handeln», schreibt die Kitaleitung.
Die Kita verweist auf einen zusätzlichen Faktor, der ihre Situation verschärft: Im Quartier gab es in den letzten Jahren viele Wohnungsumbauten. Mehrere Familien hätten keine bezahlbare Anschlusslösung in der Nähe gefunden und seien weggezogen, weshalb die Kita Anfang April schliesslich personelle Massnahmen ergriff.
Anstossfinanzierung wurde immer wieder verlängert
Ursprung der angespannten Lage sei jedoch nicht nur der Mangel an Kindern, schreibt Bettina Jecklin von der Kindervilla Abraxas. «Die Entwicklung ist auch eine Folge der mehrfach verlängerten Anstossfinanzierung durch den Bund.»
Das Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung ermöglicht, dass neu eröffnete Kitas finanzielle Unterstützung durch den Bund erhalten. Das Gesetz trat 2003 in Kraft und war ursprünglich auf acht Jahre beschränkt – es wurde jedoch mehrere Male verlängert, zuletzt auf 2026.
Dass die Anstossfinanzierung bis heute nicht durch ein nachhaltigeres Finanzierungsmodell ersetzt worden sei, ist für Kita-Leiterin Jecklin mitverantwortlich für die Probleme, die heute bestehen.
Parlament debattiert über neues Gesetz
Nun aber scheint sich etwas zu tun in Bundesbern. Im Parlament werden derzeit mehrere Vorschläge debattiert. Eine parlamentarische Initiative der zuständigen Kommission des Nationalrats sowie die Kita-Initiative der SP und deren Gegenvorschlag.
Über diese debattierte das Parlament letzte Woche, wobei sich die beiden Kammern uneinig über den Betrag des Geldes waren, den der Bund beisteuern soll. Während der Nationalrat 200 Millionen Franken für die ersten vier Jahre nach Inkrafttreten forderte, erachtet der Ständerat 100 Millionen für ausreichend.
Auch wohin genau die Gelder fliessen sollen, sind sich die Kammern uneins. Investitionen in die frühe Förderung, Massnahmen zur Verbesserung der pädagogischen und betrieblichen Qualität der Angebote sowie zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden vom Ständerat abgelehnt.
Einzig die Programmvereinbarungen, womit Angebotslücken geschlossen und Betreuungsplätze für Kinder mit Behinderungen geschaffen werden sollen, befürworten beide Kammern.
Beim Branchenverband Kibesuisse löst dies gemischte Gefühle aus. In der Medienmitteilung von Mitte September begrüsst der Verband, dass der Bund mit den Programmvereinbarungen ein Instrument erhält, um die Kantone gezielt zu unterstützen. Die Halbierung des Betrags auf 100 Millionen Franken kritisiert er hingegen.
Noch ist die Sache nicht in trockenen Tüchern. Als Nächstes geht die Vorlage zurück in den Nationalrat, der diese voraussichtlich in der Wintersession fertig behandelt. Damit ist der Entscheid über ein neues Kita-Gesetz frühestens in einem Jahr zu erwarten.
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Sofie studiert an der ZHAW Kommunikation. Zu Tsüri.ch kam sie 2022 zunächst über das Civic Media Praktikum. 2024 kehrte sie als Projektleiterin und Briefing Autorin zurück und schob noch das Redaktionspraktikum nach. Für die Jungen Jorunalist:innen Schweiz organisiert sie seit mehreren Jahren das Medienfestival «Journalismus Jetzt» mit.