Abstimmung am 30. November

Mobilitätsinitiative: Politiker:innen fordern Tempo 50, wohnen aber selber ruhig

Tempo 50 auf Hauptstrassen, Tempo 30 nur ausnahmsweise – das will die Mobilitätsinitiative. Brisant: Fast alle Personen aus dem Komitee wohnen selbst in ruhigen Quartieren. Für sich Ruhe, für andere Verkehr?

30er-Zone im Kreis 4 Zürich
Nur noch in den Quartieren soll Tempo 30 gelten, dies fordert die Mobilitätsinitiative. (Bild: Sofie David)

Sie wohnen am Zürichberg, an verkehrsarmen Quartierstrassen oder in ruhigen Sackgassen – und fordern Tempo 50 auf Hauptstrassen: 11 von 14 Politiker:innen, die die Mobilitätsinitiative lanciert haben, leben gemäss Recherchen von Tsüri.ch an ruhigen Strassen. 

Nur drei Mitglieder des Initiativkomitees wohnen an Tempo-50-Strassen: einer in der Stadt Zürich, einer in Nierderglatt und ein anderer in der Forch. Bekanntere Namen wie Domenik Ledergerber (SVP), Bettina Balmer (FDP) oder Marc Bourgeois (FDP) wohnen an attraktiven oder idyllischen Wohnlagen, fernab des Strassenverkehrs.

Ihre Forderung: Auf Hauptstrassen soll grundsätzlich Tempo 50 gelten, der Langsamverkehr gehöre ins Quartier. Damit wolle man Stau verhindern, und die «linke Utopie» des flächendeckenden Tempo 30 verhindern, wie das Komitee schreibt. 

«Linke Städte meinen, die Welt höre am Stadtrand auf»

Bei der Mobilitätsinitiative, über die das Stimmvolk des Kantons Zürich Ende November abstimmt, geht es also längst nicht nur um die Geschwindigkeit auf den Strassen. Es ist ein Versuch von bürgerlichen Kräften, die linken Städte in ihren Bestrebungen nach mehr Tempo 30 einzuschränken. 

Darauf angesprochen sagt Mauro Tuena, SVP-Nationalrat und Vize-Präsident des Abstimmungskomitees: «Die linken Städte meinen immer, die Welt höre am Stadtrand auf.» Wenn beispielsweise die Rosengartenstrasse verlangsamt werde, beeinflusse das die angrenzenden Gemeinden. Die Initiative sei dabei kein Eingriff in die Autonomie der Gemeinden, da die Hauptstrassen dem Kanton gehören.

Doch Strassenlärm ist nicht nur Kulturkampf, sondern hat einen direkten Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen: Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychische Belastungen nehmen bei Betroffenen zu.

 Wie zwei Studien zeigen, ist die Lärmbelastung nicht gleichmässig in der Bevölkerung verteilt. Wer weniger verdient, wohnt häufiger laut – und hat weniger Möglichkeiten, sich vor Lärm zu schützen. 

Gemäss einer Masterarbeit der Universität Zürich sind Wohnhäuser an lauten Strassen oftmals in einem baulich schlechteren Zustand, weshalb die Bewohnenden weniger gut von Lärm geschützt sind.

Die Lärmbelastung werde damit zu einem sozialen Umweltproblem, «da sie hauptsächlich von finanziell Schwächeren ertragen werden muss».

Ein Drittel der Zürcher:innen von Lärm betroffen

Besser situierte Menschen können sich hingegen ruhigere Wohnlagen leisten, oder haben das Schlafzimmer hinter gut isolierten Fenstern oder zum Innenhof, wie es in der ETH Studie heisst. Der Studienautor sagt dazu: «Da sich vor allem Menschen mit geringerem Einkommen weniger gut vor Lärm schützen können, sollte die Stadtpolitik der Verkehrsberuhigung, lärmdämpfenden Baumassnahmen und der Förderung hochwertiger Schallschutzfenster hohe Priorität einräumen.»

Vor diesem Hintergrund ist brisant, dass sich die grosse Mehrheit des Komitees am eigenen Wohnort Ruhe gönnt, während gemäss Zahlen der Stadt alleine in Zürich rund ein Drittel der Bevölkerung unter zu hoher Lärmbelastung leidet. 

Mauro Tuena sagt dazu: «Ich bin an der Westtangente aufgewachsen und weiss sehr wohl, was es heisst, lärmig zu wohnen.» Es sei allgemein bekannt, dass die Lärmunterschiede von Tempo 30 und Tempo 50 klein sei. Um die Unterschiede zu hören, «müssen Sie sehr gute Ohren haben». 

Um die Geplagten vom Autolärm zu befreien, solle man besser auf Flüsterbeläge setzen, sagt Tuena. Denn diese hätten einen grösseren Effekt, als Tempo 30. Doch gemäss Studien bringt Tempo 30 ähnlich viel oder mehr Lärmentlastung als ein Flüsterbelag.

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simon

An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Nina. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.

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Kommentare

Romana Heuberger
19. November 2025 um 09:54

Die Bevölkerung soll faktenbasiert entscheiden

Mir ist es ein Anliegen, dass die Bevölkerung faktenbasiert entscheiden kann. Stadt und Kanton Zürich haben die tatsächliche Lärmreduktion durch Tempo 30 gemessen. Durchschnittlich lag diese bei 1.5 Dezibel, was knapp an der Wahrnehmungsgrenze liegt. Die lärmarmen Beläge bringen hingegen gemäss langjährigen Beobachtungen des Bundesamts für Umwelt deutlich mehr: "Moderne lärmarme Beläge können den Lärm im Neuzustand um etwa 8 Dezibel und am Ende der Nutzungsdauer um rund 3 Dezibel verringern. Eine Reduktion um 3 Dezibel entspricht akustisch einer Halbierung der Verkehrsmenge." Wer also weiterhin vorwärtskommen, die Lärmbelastung der Anwohnenden wirksam reduzieren und den Ausweichverkehr in Quartiere verhindern will engagiert sich für Tempo 50 auf Hauptverkehrsachsen (insbesondere jenen mit ÖV) und lärmarme Beläge. Diese sind übrigens mittlerweile kaum noch teurer und halten deutlich länger als ursprünglich erwartet.

Daniel
04. November 2025 um 20:25

Die überkommunal klassierten Staatsstrassen liegen in der Stadt Zürich auf dem Eigentum der Gemeinde. Sowohl die regionalen Verbindungsstrassen, als auch die Hauptverkehrsstrassen "gehören" im eigentlichen Sinn nicht dem Kanton, auch wenn er für deren Bau gemäss Strassengesetz verantwortlich ist. Mauro Tuena sollte sich besser informieren.

Andreas H.
03. November 2025 um 12:23

Schleichverkehr will niemand

Ziel muss es sein, dass die Autos auf den Hauptstrassen bleiben und nicht durch das Quartier oder über Velostrecken fahren. Mit Tempo 50 ist das wahrscheinlicher als mit Tempo 30.

dürümohnescharf
01. November 2025 um 20:12

Endlich Volksabstimmung

Ich freue mich auf die Abstimmung. Egal wie die Abstimmung rauskommt, hoffe ich, dass endlich mal Ruhe einkehrt in dieser ewigen Diskussion. Man diskutiert schon jahrelang und wirft sicht gegenseitig Argumente an den Kopf. Vor allem auf das Resultat innerhalb der Städte bin ich gespannt, ich glaube so eindeutig wird das nicht…

Osk
01. November 2025 um 10:12

Flüsterbeläge

Flüsterbeläge sind im Endeffekt viel teurer als die Normalbeläge . Die Lebensdauer der Flüsterbelãge ist kürzer als diejenige der Normalbeläge. Dadurch höhere Kosten und noch mehr Baustellen !

K.R.
31. Oktober 2025 um 17:10

Behaupten kann man vieles

Gem. "Umweltbericht 2022" wohnten im Kanton Zürich 350.000 Menschen in Gebäuden mit unzulässigem Verlehrslärm. Macht bei Ende 2021 1564662 Einwohnern ca. 22%. 3 von 14 Politker macht ca. 21%. Demnach spiegelt das Komitee den Kanton eigentlich sehr gut wider. Natürlich kann man sich nun fragen, ob man Tempo 50 und unzulässigen Verkehrslärm direkt gleichsetzen kann. Ebenso, ob das Komitee gleichmässig im Kanton verteilt lebt. Weiss ich alles nicht. Aber leider ist dieser Artikel mindestens genauso unsauber recherchiert.

C
31. Oktober 2025 um 17:07

Flüsterbelag

Flüsterbelag wäre sicher sehr teuer, was die Bürgerlichen auch wieder bekämpfen würden. Und ob das ökologisch Sinn macht, wenn man dasselbe erreicht mit Tempo 30, wage ich zu bezweifeln.

Dossenbach Katharina
31. Oktober 2025 um 09:16

Die Logik der Entschleunigung: Tempo 30 als Fundament

Vielleicht wäre es gut, wenn diese Politiker nachfolgenden Artikel lesen würden... https://www.gmx.ch/magazine/auto/verkehrstoten-schaffte-helsinki-unmoegliche-41277498

Gianluca
31. Oktober 2025 um 07:26

Wow

Was sich Mauro Tuena hier erlaubt zu sagen ist einfach falsch. Zum Glück wird im Artikel auf die aktuelle Studienlage hingewiesem: Tempo 30 hat einen grösseren Lärmreduzierungseffekt und ist dazu noch viel billiger!