Wohndemo in Zürich: neu organisiert und bewusst unbewilligt
Am Samstag sollen Tausende Zürcher:innen gegen die Wohnungsknappheit demonstrieren – diesmal jedoch bewusst ohne Bewilligung und die Beteiligung bisheriger Organisator:innen. Sie distanzieren sich indes von der Veranstaltung.
Am Wochenende heisst es wieder «Wo-Wo-Wohnige!». Am Samstag, um 14 Uhr, startet die Wohndemo auf dem Röntgenplatz, bei der Zürcher:innen gegen steigende Mieten und Luxussanierungen auf die Strasse gehen. Doch anders als die bisherigen Wohndemos ist diese unbewilligt – ein bewusster Entscheid, der bereits im Vorfeld für Diskussionen sorgt.
Die Organisator:innen begründen die fehlende Bewilligung mit dem anhaltenden Druck auf Mieter:innen in der Stadt: «Abrissbirnen und Luxussanierungen fragen uns schliesslich auch nicht, ob wir das wollen», schreiben sie in ihrem Aufruf. Man wolle «bunt, kreativ und laut» gegen Verdrängung und die Wohnkrise protestieren.
Anders als die Frühjahrsdemo
Die letzte Wohndemo fand im April statt und war laut den Organisator:innen «die grösste Wohndemo seit der Jahrtausendwende» mit rund 6000 Teilnehmenden. Sie wurde von unterschiedlichen Organisationen wie dem Mieterinnen- und Mieterverband Zürich (MV Zürich), mehreren linken Parteien, Vereinen und Genossenschaften unterstützt.
Die bevorstehende Demo am Samstag unterscheidet sich davon.
Auf Anfrage sagt Walter Angst, Mediensprecher des Mieterinnen- und Mieterverband Zürich (MV Zürich), dass die Wohndemo im Frühling und die bevorstehende Wohndemo zwei unterschiedliche Veranstaltungen seien, obschon die aktuelle Wohndemo auf denselben Kanälen beworben wird wie frühere Veranstaltungen. «Die Frühjahrsdemo war breit abgestützt, hatte eine klare Trägerschaft und eine gemeinsame Organisation. Für den MV Zürich sind das Voraussetzungen, um zur Teilnahme an einem Event aufzurufen.»
Die Wohndemo am Samstag sei hingegen nicht mit dem Verband abgestimmt: «Es kam keine Anfrage bei uns an, wir sind in keiner Form involviert – auch nicht bei den Aktionstagen.»
Angst warnt davor, dass Teilnehmende die Veranstaltungen verwechseln könnten: «Werbung sollte fair und transparent kommuniziert werden, um Missverständnisse zu vermeiden.» Das Label «Wohndemo» sei kein geschützter Name, dennoch dürfe nicht der Eindruck entstehen, es werde nur genutzt, um Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Warnung vor falschen Gleichsetzungen
Die Ausgangslage für die Demonstration am Samstag ist angespannt. Vergangene Woche sorgte eine Aktion im Büro des Hauseigentümerverbands (HEV) für Aufruhr: Sechs Vermummte drangen in den Eingangsbereich ein, liessen Konfettikanonen knallen, versprühten Bauschaum, klebten Plakate auf und riefen «Wir kündigen euch!». Verletzte gab es keine, Sachschaden entstand nicht, dennoch erstattete der HEV Anzeige.
Einige Tage zuvor kam es in Bern an einer Palästina-Demonstration zu Ausschreitungen. Dies befeuerte die Diskussion darum, ob Demonstrationen künftig automatisch mit gewalttätigen Ausschreitungen gleichgesetzt werden können. Während linke Parteien und Menschenrechtsorganisationen vor einer pauschalen Gleichsetzung warnen, plädieren Bundesrat, Stadtregierung und vor allem bürgerliche Parteien für ein konsequentes Vorgehen gegen Gewalt, um Sicherheit zu gewährleisten – auch im Hinblick auf die angekündigte Wohndemo in Zürich.
Walter Angst kritisiert solche Gleichsetzungen: «Die Medien haben einen Hang dazu, Aktionen in einen falschen Zusammenhang zu stellen.» Die Wohn- in den Kontext der Palästina-Demo einzuordnen, sei schlicht falsch. «Da kann ich nur den Kopf schütteln.»
Parteien distanzieren sich
Dennoch und trotz inhaltlicher Nähe distanzieren sich linke Parteien von der unbewilligten Aktion. Oliver Heimgartner, Präsident der SP Stadt Zürich, schreibt auf Anfrage: «Die steigenden Mieten sind für die Bevölkerung in der Stadt Zürich eine riesige Belastung. Ich kann gut nachvollziehen, dass Menschen dagegen protestieren möchten». Gleichzeitig sei die SP nicht Teil der Organisation dieser unbewilligten Demonstration und verzichte auf einen Aufruf, schreibt Heimgartner. Er selbst werde nicht vor Ort sein.
Auf die Kritik, die SP agiere zu vorsichtig, antwortet Heimgartner: «Wäre eine Demonstrationsbewilligung eingeholt worden wie in den letzten Jahren, würden wir die Frage wohl anders beurteilen.»
Auch aus dem Grünen Lager kommt Zurückhaltung. Eticus Rozas, Co-Präsident der Grünen Zürich, sagte gegenüber dem Tages-Anzeiger, dass die Grünen grundsätzlich nur zu bewilligten Demonstrationen aufrufen würden. Gleichzeitig sei ihnen aber wichtig, dass auch unbewilligte Demonstrationen friedlich stattfinden könnten. Die Versammlungsfreiheit sei ein zentrales demokratisches Recht.
Unbewilligte Demo ist grundsätzlich toleriert
Die Stadtpolizei Zürich bestätigt, dass in diesem Jahr kein Bewilligungsgesuch eingereicht wurde und es keinen Kontakt zu den Organisator:innen gibt.
Weiter heisst es: «Eine unbewilligte Demonstration wird grundsätzlich toleriert, wenn sie friedlich verläuft.» Die Lage werde laufend beurteilt, die Einsatzmittel entsprechend geplant. Rechtslage und Verhältnismässigkeit spielen eine zentrale Rolle. Die Ereignisse der Palästina-Demo in Bern würden zwar in die Lagebeurteilung einfliessen, seien für die Einsatzplanung in Zürich aber nicht entscheidend.
Das Wohndemo-Bündnis teilt auf Anfrage mit, es wolle seine Anliegen kreativ auf die Strasse tragen – mit dem Ziel, dass sich «alle an der Demo wohlfühlen – jüngere und ältere Menschen, Familien mit Kindern, Menschen mit Rollstuhl, Kinderwagen oder Velo». Die Demonstration solle bunt, laut und kreativ werden. «Es wird explizit keine Konfrontation gesucht.»
Weiter schreiben die Organisator:innen, man wolle die Wohnkrise weiterhin sichtbar machen. Die Demonstration am Samstag bilde den Abschluss mehrerer Veranstaltungstage rund ums Thema Wohnen.
Auf eine Bewilligung verzichtet das Bündnis bewusst: «Wenn Immobilienkonzerne Mieten erhöhen oder Häuser abreissen, würden sie schliesslich auch niemanden fragen», schreibt das Bündnis und verweist auf das grundsätzliche Demonstrationsrecht.
Tatsächlich sind rechtlich alle Versammlungen – auch unbewilligte – durch das Demonstrationsrecht geschützt, solange die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet wird. Ist dies der Fall, kann die Polizei auflösen, wobei die Verhältnismässigkeit entscheidend bleibt.
Dennoch gilt in Zürich für Demonstrationen, Kundgebungen und Mahnwachen grundsätzlich eine Bewilligungspflicht. Das Gesuch muss mindestens drei Tage im Voraus bei der Stadtpolizei eingereicht werden. Für kleinere Kundgebungen mit bis zu 100 Personen genügt inzwischen oft eine einfache Meldung, eine Bewilligung ist dann nicht zwingend notwendig.
Die bevorstehende Wohndemo unterscheidet sich somit organisatorisch von früheren Wohndemos. Sie ist weder breit abgestützt noch mit bekannten Trägerorganisationen abgesprochen. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass Gewalt zu erwarten ist – wohl aber, dass Teilnehmende, Öffentlichkeit und Behörden besonders wachsam sein dürften.
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Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.