Mehrheit will raschere Stipendien für Geflüchtete – SVP nennt Golta «Napoleon»
Der Zürcher Stadtrat und eine Ratsmehrheit im Parlament wollen frühere Bildungsbeiträge für vorläufig Aufgenommene. Bürgerliche Parteien werten dies als Missachtung des kantonalen Volksentscheids zum Bildungsgesetz, die SVP kündigte gar ein Referendum an.
In einer Sache sind sich die allermeisten Stadtparlamentarier:innen einig: Bildung ist wichtig – auch als Schlüssel zur Integration.
Doch dort hört es auch schon auf mit der Einigkeit.
In der Frage, wer welches Anrecht auf Bildungsbeiträge hat, driften die Meinungen weit auseinander. Das hat die Ratsdebatte am Mittwoch zu Stipendien für Geflüchtete deutlich gezeigt. Sie ging so weit, dass Sozialvorsteher Raphael Golta als «Napoleon» bezeichnet wurde.
Der Stadtrat will Ausbildungsbeiträge für vorläufig Aufgenommene (Ausweis F) sowie für Personen mit Schutzstatus S – grossteils Ukrainer:innen – früher auszahlen können. Statt nach fünf sollen sie bereits nach zwei Jahren Aufenthalt in Zürich unterstützt werden. Damit soll ihre Integration in den Arbeitsmarkt verbessert und die Abhängigkeit von Sozialhilfe reduziert werden.
Von der Änderung wären rund 140 Personen betroffen, davon 35 vorläufig Aufgenommene und 105 mit Schutzstatus S. Kostenpunkt: 2,1 Millionen Franken pro Jahr.
Rückendeckung bekam der Stadtrat von AL, SP, Grünen und GLP; Mitte/EVP, FDP und SVP stellten sich dagegen.
«Es ist extrem sinnvoll, Menschen, die hier sind und in aller Regel bleiben, eine gute Ausbildung zu ermöglichen», sagte Fanny de Weck (SP). Gerade junge Betroffene seien motiviert, kämpften aber oft mit fehlender Anerkennung ihrer Diplome. Auch Ronny Siev (GLP) betonte: «Vorläufig Aufgenommene können nicht zurückgeschickt werden. 90 Prozent bleiben hier.» Deshalb seien Bildung und Integration entscheidend.
Die bürgerlichen Parteien warfen den Linken und dem Stadtrat vor, den Entscheid der kantonalen Stimmbevölkerung zu missachten. 2024 hatten 54 Prozent eine Änderung des Bildungsgesetzes abgelehnt, die eine frühere Stipendienvergabe für vorläufig Aufgenommene ermöglicht hätte. Zwei Wochen später kündigte Sozialvorsteher Raphael Golta eine eigene städtische Lösung an (in der Stadt haben 65 Prozent Ja gesagt).
«Die Stadt ist kein Königreich, in dem sich Raphael Golta die Krone aufsetzen kann wie Napoleon.»
Samuel Balsiger (SVP)
«Diese Zwängerei der Stadt Zürich finden wir nicht richtig», sagte Roger Föhn (EVP). Auch Marita Verbali (FDP) betonte, das Stipendiendossier liege beim Kanton: «Gemeindeautonomie ist wichtig, aber kein Freipass für kommunale Parallelgesetzgebungen.» Die Stadt solle die Überarbeitung des kantonalen Bildungsgesetzes abwarten, die in naher Zukunft geplant ist.
SVP-Fraktionschef Samuel Balsiger nahm das Thema zum Anlass für immigrationsfeindliche Positionen und gar lobende Worte für das Ausschaffungsregime der Trump-Administration in den USA. Weiter meinte Balsiger, die Stadt sei kein Königreich, «in dem sich Raphael Golta die Krone aufsetzen kann wie Napoleon und sich über alles hinwegsetzen kann».
«Was wir hier machen, ist ganz normale städtische Politik.»
Raphael Golta, Stadtrat (SP)
Die SVP werde das Referendum ergreifen, kündigte Balsiger an.
Stadtrat Golta begrüsste dies, er stelle sich gerne jeder Diskussion, und verteidigte das Vorgehen der Stadt: «Was wir hier machen, ist ganz normale städtische Politik.» Er erinnerte daran, dass Zürich seit jeher ein anderes Stipendiensystem kenne als der Kanton und im Asylbereich regelmässig innovative Wege beschreite.
Die Vorlage geht nun in die redaktionelle Bereinigung, bevor in einigen Wochen die Schlussabstimmung folgt.
Geplantes Höckler-Schulhaus sorgt für Unmut
Nordöstlich verläuft eine Gashochdruckleitung, auf der einen Seite rattert der Zug vorbei, auf der anderen rollen die Autos über die Allmendstrasse. Und aus der Nähe dröhnt die Autobahn A3. In diesem Umfeld in Zürich Manegg plant die Stadt den Bau der neuen Schule «Höckler».
Dafür sollen die heutigen Backsteingebäude entlang der Bahnlinie, die derzeit noch unterschiedlich zwischengenutzt werden, abgerissen werden.
Im Gemeinderat ist das 141-Millionen-Projekt umstritten. Das zeigte sich am Mittwoch in einer unheiligen Allianz: Die Grünen standen auf der gleichen Seite wie die FDP und SVP.
Balz Bürgisser (Grüne) übte scharfe Kritik: «Es ist ein miserabler Standort für eine Schule.» Die Lärmbelastung sei hoch, die Luftqualität wegen des Verkehrs schlecht, zudem stehe zu wenig Platz für Spiel- und Bewegungsflächen zur Verfügung, Rasenflächen fehlten ganz.
«Die Stadt plant politisch angenehm tief und präsentiert die wahren Kosten erst später.»
Yasmine Bourgeois (FDP)
Die FDP störte sich insbesondere an den Kosten. «In der ursprünglichen Weisung sprach der Stadtrat von 83 Millionen Franken, heute sind wir bei 141 Millionen», sagte Yasmine Bourgeois (FDP). Das entspreche sechs Millionen pro Klasse. «Man plant politisch angenehm tief und präsentiert die wahren Kosten erst später.»
«Vielleicht hätte es eine Enteignung gebraucht, um ein anderes Schulhaus bauen zu können.»
Sophie Blaser (AL)
Rückhalt erhielt das Projekt hingegen von Mitte/EVP, GLP, SP und AL – vor allem wegen des dringenden Bedarfs an zusätzlichem Schulraum. Manegg habe sich in den letzten Jahren stark entwickelt, erklärte Maya Kägi Götz (SP), entsprechend sei auch die Zahl der Kinder stark gestiegen.
Sophie Blaser (AL) wies darauf hin, dass der Schulweg zu anderen Schulhäusern im Schulkreis Uto mindestens 30 Minuten dauern würde – zu lang für die betroffenen Kinder. «Ob das Grundstück ideal ist, sei dahingestellt. Vielleicht hätte es eine Enteignung gebraucht, um ein anderes Schulhaus bauen zu können», so Blaser. Doch dafür wäre es nun zu spät.
Stadtrat André Odermatt (SP) betonte, das Projekt sei notwendig, um die Bildungszukunft im Quartier zu sichern. Der Neubau solle zudem zu einem neuen Zentrum für Manegg werden, mit zwei öffentlichen Plätzen und einer öffentlich zugänglichen Laufanlage auf dem Dach.
Schliesslich stimmte eine Mehrheit von 68 Mitgliedern dem einmaligen Kredit zu, 50 lehnten ihn ab. Flankierend dazu überwies der Gemeinderat ein Postulat dreier SP-Politiker:innen, das den Stadtrat auffordert, die aktuellen Zwischennutzer:innen bei der Suche nach Ersatzräumen zu unterstützen. Derzeit befinden sich dort unter anderem die kostenlose Essensabgabe «Essen für alle» sowie der Verein Zitrone, der Künstler:innen unkommerzielle Räumlichkeiten zur Verfügung stellt.
Als Nächstes wird das Projekt der Zürcher Stimmbevölkerung zur Abstimmung vorgelegt.
Weitere Themen aus dem Rat
Breite Zustimmung für neues Recyclingcenter
Das bereits stillgelegte Recyclingcenter Hagenholz in Altstetten soll durch einen Neubau ersetzt werden. Das neue Zentrum soll künftig besser zu Fuss und mit dem Velo erreichbar sein und zusätzlich Tausch- sowie Reparaturangebote bieten. Am Mittwoch genehmigte der Gemeinderat dafür Ausgaben von 33 Millionen Franken. Die AL stellte sich als einzige Partei dagegen: Der geplante Hof sei zu stark «aufs Auto ausgerichtet», kritisierte Christian Häberli. Als Nächstes darf das Zürcher Stimmvolk darüber entscheiden.
Stadt soll weiterhin Bargeld akzeptieren
Der Stadtrat soll sicherstellen, dass in allen städtischen Institutionen, Dienstleistungen und Anlagen auch künftig mit Bargeld bezahlt werden kann. Bargeld sei ein gesetzliches Zahlungsmittel und müsse im Alltag nutzbar bleiben, begründen drei SVP-Politiker ihr Postulat. Viele Menschen – etwa ältere Personen, Minderjährige oder Personen ohne Bankkonto – seien darauf angewiesen. Der Vorstoss wurde ohne Einwände an den Stadtrat überwiesen.
Massnahmen gegen Kinderarmut gefordert
Der Stadtrat soll aufzeigen, wo in Zürich Handlungsbedarf bei der Bekämpfung von Kinderarmut besteht und welche Massnahmen ergriffen werden müssen. Das verlangen drei SP-Politikerinnen in einem Postulat. «Kinder, die arm aufwachsen, bleiben oft auch als Erwachsene arm», sagte Hannah Locher (SP). Es gelte, diesen Kreislauf zu durchbrechen, denn Kinderarmut sei auch in Zürich weiterhin ein Problem. Der Vorstoss fand bei allen Parteien Unterstützung – mit Ausnahme der SVP.
Mehr Beratung für trans Jugendliche
Weil trans Jugendliche weiterhin überdurchschnittlich häufig von Depressionen und Suizidalität betroffen sind, verlangen SP, AL und Grüne einen Ausbau des städtischen Beratungsangebots für binäre und nicht-binäre trans Jugendliche. Der Bedarf sei gross, beim bestehenden Angebot des Checkpoints gebe es lange Wartezeiten, sagte Postulantin Anna Graff (SP). Ablehnung kam – einmal mehr – von der SVP. Das Leben sei nun einmal hart, argumentierte Attila Kipfer, Weiterkämpfen mache «resilienter und stärker». Der Prüfauftrag wurde von AL bis GLP unterstützt und an den Stadtrat überwiesen.
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Studium der Politikwissenschaft und Philosophie. Erste journalistische Erfahrungen beim Branchenportal Klein Report und der Zürcher Studierendenzeitung (ZS), zuletzt als Co-Redaktionsleiter. Seit 2023 medienpolitisch engagiert im Verband Medien mit Zukunft. 2024 Einstieg bei Tsüri.ch als Autor des Züri Briefings und Berichterstatter zur Lokalpolitik, ab Juni 2025 Redaktor in Vollzeit. Im Frühjahr 2025 Praktikum im Inlandsressort der tageszeitung taz in Berlin.