Drei Massnahmen, wie wir Degrowth umsetzen können

Der Weg hin zu einer sozial und ökologisch nachhaltigen Wirtschaft, die sich an Degrowth orientiert, scheint komplex. Was dabei oft vergessen geht: Es liegen bereits Vorschläge auf dem Tisch, wie wir unser System transformieren können. Ein Gastbeitrag.

Work Life Balance Freizeit Arbeit
Um ein nachhaltiges Wirtschaftssystem zu schaffen, müssen wir auch unsere Arbeitsformen anpassen. (Bild: Annie Spratt/Unsplash)

Die Idee von Degrowth geht über reine Wirtschaftsfragen hinaus – sie stellt grundlegende Prinzipien unseres Alltags infrage: Wie arbeiten wir? Wie konsumieren wir? Und wie gestalten wir unser Zusammenleben? Eine solche Transformation ist vielschichtig: Sie kann nicht allein durch politische Massnahmen von oben verordnet werden, sondern erfordert auch Initiativen aus der Gesellschaft.

Die diskutierten Vorschläge sind vielfältig und reichen von politischen Regulierungen über wirtschaftliche Anreize bis hin zu aufklärenden Informationskampagnen. Die drei hier ausgewählten Ansätze geben einen Einblick in mögliche Wege der Transformation.

1. Arbeitszeitreduktion

Die Forderung, die Wochenarbeitszeit zu reduzieren, ist zentral im Degrowth-Diskurs. Dies rührt daher, dass unterschiedliche Studien – so auch eine von Forschenden der Universität Bern – herausgefunden haben, dass eine kürzere Wochenarbeitszeit positive soziale Folgen haben würde. Menschen berichten von weniger Stress und einer besseren Work-Life-Balance durch mehr Zeit für Erholung, Familie und Hobbys. 

Ausserdem kann eine Arbeitszeitreduktion positive ökologische Effekte haben. Menschen nutzen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, ihre freigewordene Zeit oft ökologisch sinnvoller. Sie haben weniger Zeitdruck, wodurch sie beispielsweise längere Reisen in Kauf nehmen («Zug statt Flug»). Ausserdem können sie sich mehr Zeit für Aktivitäten wie Kochen nehmen, was umweltfreundlicher ist als Fertigprodukte zu konsumieren. Gesamtwirtschaftlich wäre es sinnvoll, wenn durch eine Reduktion der Gesamtarbeitszeit generell weniger produziert wird.

Beispiele aus unterschiedlichen Ländern zeigen die Umsetzbarkeit auf: Für 1,5 Millionen Beschäftigte hat eine Gewerkschaft aus Deutschland die Möglichkeit einer (befristeten) 28-Stunden-Woche durchgesetzt. In Island haben 90 Prozent der Beschäftigten bereits dauerhaft Anspruch auf eine 35-Stunden-Woche.

2. Grüne Steuerreform

In der Schweiz ist es zurzeit oftmals viel günstiger, Dinge neu zu kaufen, anstatt reparieren zu lassen. Das liegt daran, dass Arbeit teuer, Ressourcen und Energie aber vergleichsweise günstig sind. Hier plädiert Degrowth für eine Umkehr: Energie und Ressourcen müssen teurer werden, Arbeit günstiger. Dies würde es attraktiver machen, Produkte zu reparieren. Und man würde lokale Arbeitsplätze und Ausbildungen fördern und die Umwelt schützen.

In zahlreichen Ländern, auch in der Schweiz, gibt es Ansätze, Energie und Ressourcen zu besteuern (insbesondere den CO2-Ausstoss). Die Steuern auf Energieverbrauch und Ressourcen sind aber bisher nicht hoch genug, um zu wirken.

3. Verbot von kommerzieller Werbung

Die grundlegende Idee von kommerzieller Werbung ist es, den Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen anzukurbeln. In einer Gesellschaft, deren materielle Sättigung in der Mitte der 1970er-Jahre erreicht wurde, ist Werbung daher fragwürdig. 

Etliche psychologische Studien haben gezeigt, dass Werbung Bedürfnisse weckt, die Menschen vor dem Betrachten von Werbung nicht hatten. Der Drang, mehr zu konsumieren, hat nicht nur negative gesundheitliche Effekte, sondern belastet auch die Umwelt. Da Konsum ein Wachstumstreiber ist, wäre aus Sicht von Degrowth eine Einschränkung von kommerzieller Werbung im öffentlichen Raum daher wünschenswert. 

Die französische Stadt Grenoble hat 2015 ein kommerzielles Werbeverbot eingeführt und auch in Zürich wird es aktuell diskutiert.

Die drei diskutierten Beispiele zeigen, dass politische Massnahmen für ein Postwachstum nicht weltfremd sind. Wo neue Ideen ausprobiert werden, entstehen nicht nur Alternativen, sondern politische Tatsachen – was heute auf lokaler Ebene funktioniert, kann morgen nationale Strukturen prägen.

Transformation geschieht jedoch nicht von selbst. Sie braucht politische Entscheidungen und gesellschaftliche Unterstützung. Je mehr Menschen sich für eine Wirtschaft einsetzen, die nicht auf endlosem Wachstum, sondern auf sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Verantwortung beruht, desto wahrscheinlicher wird der Wandel. 

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