Podium zu Wachstumszwang: «Grünes Wachstum ist eine Illusion»
Grünes Wachstum gilt als Lösung für die Klimakrise – doch ist es überhaupt möglich? Die Degrowth-Bewegung fordert ein Umdenken: Was, wenn Wohlstand anders gemessen werden muss?
Wachstum gilt als Allheilmittel: Mehr Wirtschaftskraft, mehr Innovation, mehr Wohlstand. Doch was, wenn genau dieses «Mehr» uns in eine Sackgasse führt? Ressourcen sind begrenzt, der CO₂-Ausstoss steigt, und trotzdem klammert sich unser System an die Idee, dass Wirtschaftswachstum automatisch zu einem besseren Leben führt.
Doch wer profitiert wirklich? Und gibt es Wege, Erfolg anders zu messen – jenseits des Bruttoinlandsprodukts?
Am Montagabend fand im Kraftwerk der vierte Anlass im Rahmen des Tsüri-Fokusmonats Degrowth statt. In Zusammenarbeit mit One Planet Lab und Impact Hub Zürich widmete sich der Abend insbesondere neuen Messgrössen von Erfolg und der Frage, ob grünes Wachstum ausreicht.
Zur Debatte fanden sich Leonard Creutzburg (One Planet Lab), Agnes Jezler (Greenpeace), Silvan Groher (Ting Community), Lisa Mazzone (die Grünen Schweiz) und Daniel Freitag (Monopole) auf dem Podium ein.
Die Wirtschaft wächst, die Zufriedenheit nicht
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) misst Wachstum, aber nicht, ob es uns nützt, sagte Leonard Creutzburg von One Planet Lab. Wachstum brauche immer Ressourcen – ob nachhaltig oder nicht.
«Grünes Wachstum ist eine Illusion», warnte er und kritisierte das weitverbreitete Narrativ, dass stetiges Wachstum die Gesellschaft zufriedener mache.
Bereits 1974 habe der Ökonom Richard Easterlin festgestellt, dass die Amerikaner:innen trotz konstantem wirtschaftlichen Aufschwungs seit 1945 nicht glücklicher geworden seien.
Dasselbe Paradoxon zeige sich, laut Creutzburg, auch in der Schweiz: Die Wirtschaft habe sich in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt, die Zufriedenheit nicht.
In Gesellschaften mit grösserer Einkommensgleichheit hingegen würden Menschen, nachweislich glücklicher leben, sagte Creutzburg. Ein Zeichen dafür, dass materielle Sicherheit und soziale Gerechtigkeit für das Wohlbefinden wichtiger sind als reines Wachstum.
Was gewinnen wir durch einen Wandel?
Daniel Freitag, Mitgründer von Monopole und Mit-Eigentümer von Freitag, kritisierte: Unternehmen würden den Erfolg falsch messen – sozialer und ökologischer Nutzen bleibe unbeachtet. Doch er räumte ein: «In einem sich ausweitenden Geldsystem ist es schwierig, nicht zu wachsen.»
«Unser aktuelles Wirtschaftssystem lässt uns in einer unsicheren Zukunft leben – das ist ein konstanter Verlust.»
Agnes Jezler – Greenpeace Schweiz
Lisa Mazzone, Parteipräsidentin der Grünen Schweiz, fügte bei, dass wichtige gesellschaftliche Tätigkeiten wie Care-Arbeit oft nicht als Teil der Wirtschaft anerkannt würden, «obwohl sie essenziell für das Funktionieren unserer Gesellschaft sind».
Weiterhin verbinden viele die Begriffe Postwachstum und Degrowth mit Verlust oder Verzicht. Was würden wir durch einen Wandel gewinnen? Silvan Groher, Mitgründer der Ting Community, hatte eine klare Antwort: «Ganz viel Zeit.»
Agnes Jezler, Fachexpertin für ökonomischen und gesellschaftlichen Wandel bei Greenpeace Schweiz, argumentierte, dass Postwachstum nicht zwingend einen Verlust bedeute.
Die Gegenwart müsse kritisch hinterfragt werden: «Unser aktuelles Wirtschaftssystem lässt uns in einer unsicheren Zukunft leben – das ist ein konstanter Verlust.»
Arbeitsreduktion als Hebel für weniger Konsum
Die Unternehmensseite, vertreten durch Daniel Freitag und Silvan Groher, befürworten zunehmend die Teilzeitarbeit. Jezler ging einen Schritt weiter: «Eine Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn ist eine wesentlich wirksamere Massnahme für Postwachstum.» Und weiter: «Studien zeigen, dass Menschen weniger konsumieren würden, wenn sie weniger arbeiten. Weil sie mehr Zeit haben, um bewusste Entscheidungen zu treffen.»
«Eine Systemkrise darf nicht auf Individuen abgewälzt werden.»
Till Kellerhof – Programm-Direktor des «Club of Rome»
Für Groher ist weniger Arbeiten nicht die Lösung: «Ist das nicht nur ein Tropfen auf den heissen Stein?» Der grosse Ressourcenfresser sei der «Turbokapitalismus», betonte er. «Wenn wir hier alle eine Vier-Tage-Woche haben, ändert das wenig».
«Eine Systemkrise darf nicht auf Individuen abgewälzt werden», sagte der Programm-Direktor des «Club of Rome» Till Kellerhof im Schlussteil des Podiums. Stattdessen müsse der Staat die Rahmenbedingungen schaffen, um Wirtschaften innerhalb planetarer Grenzen zu ermöglichen.
Klar ist für die Podiumssprecher:innen: Wir können als Gesellschaft nicht unendlich die Leiter des Wachstums hinaufklettern. Und selbst, wenn das möglich wäre, wollen wir das? Was ist wirtschaftlicher Reichtum wert, wenn er uns faktisch nicht zufriedener macht? Weiter liegt die Verantwortung vor allem bei denen, die für das hohe Wirtschaftswachstum verantwortlich sind.
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Ausbildung als Polygrafin EFZ an der Schule für Gestaltung in Bern und aktuelle Studentin Kommunikation mit Vertiefung in Journalismus an der ZHAW Winterthur. Einstieg in den Journalismus als Abenddienstmitarbeiterin am Newsdesk vom Tages-Anzeiger, als Praktikantin bei Monopol in Berlin und als freie Autorin beim Winterthurer Kulturmagazin Coucou. Seit März 2025 als Praktikantin bei Tsüri.ch