Digitalisierung, aber nachhaltig – dank Degrowth
Dank der Digitalisierung nutzen wir unsere Ressourcen effizienter und können so die Umweltkrisen bekämpfen – leider stimmt das nicht ganz. Wie kann Digitalisierung wirklich nachhaltig sein? Degrowth zeigt Lösungswege auf. Ein Gastbeitrag.
Die Digitalisierung verspricht, Ressourcen einzusparen, indem wir Flüge durch Videokonferenzen ersetzen, Prozesse optimieren oder die Dekarbonisierung vorantreiben.
Laut einer Studie der Universität Zürich im Auftrag von WWF und Swisscom können wir in der Schweiz dadurch potenziell knapp 17 Prozent der inländischen Emissionen reduzieren.
Nur: Mit der effizienteren Nutzung von Ressourcen steigt dessen Verbrauch an – anstatt zu sinken. Durch die einzige Orientierung an der Effizienz wird das Versprechen der Ressourceneinsparung also nicht eingehalten. Wie lässt sich das Paradox erklären? Mit dem Rebound-Effekt.
Bessere Effizienz gleich mehr Verbrauch
William Jevons beobachtete während der Industrialisierung ein Paradox: Der Kohleverbrauch in England stieg nach der Einführung der Dampfmaschine an, obwohl die neuartige Maschine Kohle viel effizienter nutzte als ihre Vorgängerin. Die Dampfmaschine konnte viel günstiger genutzt werden und fand so nicht nur im Transport, sondern auch in anderen Wirtschaftsbereichen eine verbreitete Anwendung.
Kurz: Die Effizienzsteigerung erhöhte den Ressourcenverbrauch insgesamt. Dieser Zusammenhang wird «Rebound-Effekt» oder «Jevons Paradox» genannt.
Den Rebound-Effekt können wir heute noch immer in der Wirtschaft beobachten. Neben anderen technologischen Fortschritten macht auch die Digitalisierung die Produktionsprozesse effizienter.
Dadurch sinken die Produktionskosten. Unternehmen können mehr Profite erwirtschaften. So besteht der Anreiz, mehr zu produzieren, dadurch zu wachsen und so die Ressourceneinsparungen auszuhebeln.
Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass durch den gesamtwirtschaftlichen Rebound-Effekt mehr als 50 Prozent der Energieeinsparungen zunichte gemacht werden.
Ebenso nutzen wir die Digitalisierung auf der Haushaltsebene, indem wir Kühlschränke effizienter verwenden, unsere Wohnungen effizienter heizen und Autos effizienter fahren.
Die Digitalisierung macht unser Leben in allen Bereichen ressourcensparender – aber Achtung: Auch hier greift der Rebound-Effekt.
Dadurch, dass wir Strom-, Heiz- oder Benzinkosten sparen, bleibt mehr Geld für andere Ausgaben übrig. Weil wir weniger Benzin verbrauchen, um ins Büro zu kommen, machen wir zusätzlich einen Freizeitausflug mit dem Auto. Mit dem gesparten Geld der günstigen Heizkosten fliegen wir nach Mallorca in die Ferien.
Wir kompensieren durch die zunächst tieferen Kosten die vermeintlich eingesparten natürlichen Ressourcen und kurbeln durch die zusätzliche Nachfrage das Wirtschaftswachstum an.
Forschende vermuten, dass die Grösse des Rebound-Effekts auf der Haushaltsebene vergleichbar ist mit demjenigen auf gesamtwirtschaftlicher Ebene.
Eine nachhaltige Digitalisierung ist möglich
Effizienz alleine hält uns also im Wachstumszwang gefangen.
Die Degrowth Bewegung ergänzt die Konzepte Konsistenz und Suffizienz für Auswege daraus. Konsistenz möchte die Produktion und das Konsumverhalten in Einklang mit den Zyklen der Natur bringen.
Es geht darum, Kreisläufe zu schliessen, wie zum Beispiel in der Kreislaufwirtschaft. Suffizienz fokussiert sich darauf, den Energie- und Ressourcenverbrauch durch weniger Konsum und Produktion zu senken. Und damit ein gutes Leben für alle sicherzustellen.
Die Orientierung der Digitalisierung an allen drei Konzepten macht es aus, dass wir unsere Lebensgrundlagen wirklich schützen können. Nur Effizienz und Konsistenz in Kombination gewähren dem Wachstumszwang keinen Einhalt.
Denn Kreisläufe können wir auch auf einem hohen Niveau des Ressourcenverbrauchs schliessen. Die Produktionsprozesse brauchen dadurch einfach nicht so viel neu zugeführte Ressourcen.
Damit wir von den eingesparten Ressourcen durch die technologischen Effizienzgewinne und den geschlossenen Kreisläufen profitieren können, ist die Suffizienz entscheidend. Sie setzt der Effizienz und Konsistenz Grenzen, damit der Energie- und Ressourcenverbrauch wirklich sinkt.
Die Politik ist gefordert
Mit gesetzten Grenzen für Treibhausgasemissionen und dem Abbau natürlicher Ressourcen durch die Politik kann der Rebound-Effekt eingeschränkt werden.
Wenn nur eine bestimmte Menge an Ressourcen verfügbar ist, kann nur diese verbraucht werden. Und Unternehmen und Konsument:innen sparen durch die Effizienzsteigerungen wirklich Ressourcen ein.
Die Politik kann auch direkt bei der Digitalisierung ansetzen, damit diese den Rebound-Effekt nicht fördert. Zum Beispiel mit einer Steuer auf Energie- und Ressourcenverbrauch und auf Gewinne digitaler Automatisierung.
So werden Anreize gesetzt, effizienter und weniger zu produzieren. Oder die Digitalisierung kann direkt genutzt werden, um Teil der Lösung zu sein.
Die Politik kann zum Beispiel Online-Plattformen, die den Verkauf von recycelten Ressourcen erleichtern, fördern und so einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft leisten.
Politische Massnahmen müssen es uns als Gesellschaft, Haushalten und Individuen erleichtern, uns nachhaltig zu verhalten – und keine Hindernisse in den Weg legen.
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