Stadtparlament stellt sich gegen Antisemitismus in Kulturbetrieben

Nach heftiger Debatte fordert der Gemeinderat den Stadtrat auf, Massnahmen zu ergreifen, um antisemitische Veranstaltungen oder Personen in städtischen Kulturlokalen zu verhindern.

2022-02-14 Rote Fabrik Linkes Seeufer-84
Veranstaltungen in der Roten Fabrik und der Zentralwäscherei sorgen für Aufsehen. (Bild: Tsüri.ch)

Die SVP, FDP, die Mitte-Parteien und Grünen forderten daraufhin in einem Postulat den Stadtrat auf, geeignete Massnahmen zu ergreifen, um antisemitische Veranstaltungen oder Personen in städtischen Kulturlokalen zu verhindern.

Ein zweites Postulat von SP, Grünen und AL folgte diesem Aufruf, weitete die Forderung jedoch auf «alle demokratiefeindlichen Veranstaltungen und Personen» aus. Damit sind neben Antisemitismus beispielsweise Rassismus oder Queerfeindlichkeit gemeint.

«Das können wir als Gemeinderat nicht akzeptieren.»

Michael Schmid, FDP-Gemeinderat

Es gehe nicht, fand Michael Schmid von der FDP, dass in der Roten Fabrik einer Person, die den Terrorangriff der Hamas verherrliche, eine Plattform gegeben worden sei. «Das können wir als Gemeinderat nicht akzeptieren.»

Trotzdem gewichtete Schmid die Eigenverantwortung der Betriebe hoch. Dieses Postulat solle diese Verantwortung in Erinnerung rufen, so Schmid. «Wenn es weiterhin zu solchen Vorfällen kommt, dann ist es an den städtischen Verantwortlichen, zu handeln.»

Ann-Cathrin Nabholz (GLP) warnte, dass ein gewaltfreier Dialog zum Nahostkonflikt nur in einer freien Gesellschaft möglich sei. «Das Problem wird nicht gelöst, indem man Kulturinstitutionen verbietet, sich mit komplexen gesellschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen.» Das hiesse aber nicht, dass ihnen freie Hand gelassen werden solle, sagte Nabholz. «Sondern dass wir eine klare rote Linie ziehen – dort, wo eindeutig zur Hetze oder Gewalt gegen Jüdinnen und Juden aufgerufen wird.»

Ernüchternde Debatte

Die Debatte erreichte einen Tiefpunkt als Johann Widmer von der SVP die übrigen Gemeinderät:innen explizit mit Nationalsozialisten verglich.

Von der FDP bis zur AL entrüsteten sich alle über die Aussagen Widmers und auch der Ratspräsident bat, solche Vergleiche künftig zu unterlassen.

Moritz Bögli der AL resümierte, dass es eine ernüchternde Debatte gewesen sei. «Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Antisemitismus wäre wichtig gewesen», betonte er und zeigte sich enttäuscht über die «ständige Vermischung von Antisemitismus und Antizionismus.»

Bögli griff dabei eine Aussage von Ratskollege Jehuda Spielmann (FDP) aus dem Tages-Anzeiger auf, wonach berechtigte Kritik an der israelischen Regierung nicht per se als antisemitisch zu werten sei.

Beide Postulate zur Verhinderung von antisemitischen Veranstaltungen oder Personen in städtischen Kulturlokalen wurden an den Stadtrat überwiesen.

Wie geeignete Massnahmen aussehen könnten, damit antisemitische Vorfälle in städtischen und subventionierten Kulturbetrieben verhindert werden, hat der Rat in der ganzen Auseinandersetzung nicht diskutiert.

Mobilitätsinitiative kommt vors Volk

Der Stadtrat fürchtet um seine Autonomie. Ende März hatte der Kantonsrat die «Mobilitätsinitiative» mit einer hauchdünnen Mehrheit angenommen. Diese will den Städten Zürich und Winterthur verbieten, eigenhändig Höchstgeschwindigkeiten auf Staatsstrassen und Strassen von überkommunaler Bedeutung festzulegen.

Aus Sicht des Zürcher Stadtrats entziehe die Initiative der Stadt die Kompetenz, Tempo-30 und effektiven Lärmschutz umzusetzen. Aus diesem Grund forderte der Stadtrat, dass der Gemeinderat das Referendum dagegen ergreife.

Stadträtin Karin Rykart (Grüne) warnte davor, dass der Kantonsrat und der Regierungsrat mit der Mobilitätsinitiative einen Fehler begehen, den es zu verhindern gelte.

Simone Brander (SP) ergänzte, dass die Gemeindeautonomie kein blosses «nice to have», sondern eine verbindliche Pflicht sei. Brander kritisierte die Initiative als gezielten Versuch, den Städten Zürich und Winterthur Steine in den Weg zu legen, um für den Lärmschutz Tempo-30-Zonen durchzusetzen.

«140’000 Personen sind von übermässigem Strassenlärm im Schlafzimmer betroffen.»

Michael Schmid, AL-Gemeinderat

Tempo-30 dominierte schliesslich die Debatte. Die SP unterstützte das Gemeindereferendum. «Tempo 30 nützt», sagte Jonas Keller von der SP. Es erhöhe die Sicherheit für Fussgänger:innen und Velofahrer:innen.

Auch Michael Schmid von der AL unterstützte die Weisung. Die Initiative suggeriere einen Gegensatz zwischen Quartier- und Hauptverkehrsachse – ein Gegensatz, der in der Stadt Zürich nicht existiere. «140’000 Personen sind von übermässigem Strassenlärm im Schlafzimmer betroffen. Das hat Auswirkungen auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz», argumentierte Schmid.

Obwohl sich Stephan Iten (SVP) zu Beginn der Sitzung gegen eine Debatte einsetzte, hielt seine Partei die meiste Redezeit. Das sei eine typische «Mimimi-Weisung» des Stadtrats, die einzig darauf abziele, den «Staatsfeind» Auto anzugreifen. Es habe Auswirkungen auf den ÖV, aufs Gewerbe «und es kostet verdammt viel Geld», schloss Iten.

Sven Sobernheim aus der GLP gab in seinem Votum seine Interessensbindung bekannt und sorgte für Lacher: «Ich wohne in einer Begegnungszone. Ich wüsste nicht, wieso ich den Menschen diesen Lärmschutz verweigern sollte.»

Der Rat stimmte schliesslich mit 75 Ja-Stimmen zu 36 Nein-Stimmen dem Stadtrat zu: Die Mobilitätsinitiative kommt vors Volk.

Rosengartenstrasse
Mit Ausnahme der Nationalstrassen sind alle Strassen auf Stadtgebiet im Eigentum der Stadt Zürich. (Bild: Elio Donauer)

Weitere Themen aus dem Rat

Neues Ratsmitglied

Stéphane Braune (FDP) rutscht für den Rest der Amtsdauer für den zurückgetretenen Hans Dellenbach nach.

Weiterfinanzierung Mediacampus

Der Mediacampus in Altstetten steht der Stadt Zürich seit 2014 als Zwischennutzung für dringend benötigte Atelier- und Proberäume zur Verfügung. Nun beantragt der Stadtrat, den Mietvertrag bis zum Rückbau 2029 zu verlängern und ab November 2026 jährlich 475’812 Franken zu bewilligen.

Stefan Urech (SVP) kritisierte die hohen Mieten und empfahl günstigere Büroräume. SP-Stadtpräsidentin Corine Mauch verwies hingegen auf die deutlich tieferen Miete im Vergleich zum Median, und dass es keine günstigere Alternative gebe. Trotz hitziger Debatte wurde die Weisung mit deutlicher Mehrheit angenommen.

Betreibungsregistergebühren – Abschaffung gescheitert:

Das Postulat von Yves Henz (Grüne) forderte die Aufhebung der Gebühren für den Betreibungsregisterauszug. Henz zieht das Postulat jedoch zurück, da das Bundesgesetz festhalte, dass diese Gebühren nicht gestrichen werden dürften.

Aufarbeitung Rad-WM

Die FDP bezichtigte den Stadtrat bei der Organisation der Rad- und Paracycling-Weltmeisterschaften, die vergangenen Herbst in Zürich stattfand, versagt zu haben. Die Planung und Nachbearbeitung des Events sei ungenügend durchgeführt worden, sagte Emanuel Tschannen (FDP).

Ohne Deine Unterstützung geht es nicht.

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 1800 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 2000 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei! Natürlich jederzeit kündbar!

Jetzt unterstützen
tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare