Christoph Schneider: Das Versprechen vom Oberen Letten

In dieser Serie trafen jeweils zwei Menschen aufeinander: Christoph Schneider, der selbst auf dem Weg in die Selbständigkeit ist, sprach mit einer Person, die bereits ein paar Schritte weiter ist. In der achten und letzten Folge hat er sich mit sich selbst unterhalten.

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Inspiriert vom Liebeslied «You Are The First, The Last, My Everything» von Barry White gehen die Gespräche der Frage nach, wie und weshalb jemand den Weg in die berufliche Selbständigkeit eingeschlagen hat. Unternehmer*innen und Macher*innen aus den unterschiedlichsten Branchen geben Einblicke in ihren Berufsalltag und erzählen von ihren Werten und Haltungen. Die Idee ist von BBC Radio abgekupfert, wo Zuhörer*innen im Rahmen von «You Are The First, The Last, My Everything» die Songs offenbaren, die ihr Leben prägten und ihnen besonders viel bedeuten. BBC möge uns verzeihen, wir lernen gerne von den Besten.

  • The First blickt zurück in die Anfänge: Wann habe ich das erste Mal daran gedacht, Unternehmer*in zu werden? Was stand zuerst: Der Wille zur grösstmöglichen Unabhängigkeit, eine fixfertiges Produkt, ein grossmäuliges Versprechen?
  • The Last spielt in der Gegenwart: Worüber habe ich mich zuletzt aufgeregt, wer hat mich inspiriert, was beschäftigt mich zurzeit am stärksten? Sind es externe Rahmenbedingungen oder innere Kämpfe?
  • My Everything: Nichts weniger als die Frage «Worum geht es eigentlich»?

Christoph Schneider: Das Ich als Prototyp

7. November, 18.30 Uhr, Piccolo Giardino, 2 Espressi, 1 Mineralwasser, 1 Aranciata Amara

Es war ja schon ein seltsam, den eigenen Auftraggeber zu interviewen, auf total dünnem Eis bewegen wir uns aber, wenn sich der Autor selber befragt. Deshalb folgt jetzt keine Einleitung, sondern bloss der Hinweis, dass die Gesprächsreihe mit diesem Interview endet. Es war mir eine Freude, mit Euch zusammen meine ersten journalistischen Gehversuche zu machen. Auf bald!

  • Name: Christoph Schneider
  • Alter: 44
  • Erstausbildung: Banklehre bei einer Grossbank
  • Tätig als: Problemlöser und Berater

Je konkreter die Vorstellung, desto spektakulärer deren Zerstörung.

The First: Das Versprechen vom Oberen Letten

Ich stand in der Garderobe der Lettenbadi vor meinem dampfbeschlagenen Spiegelbild und versprach ihm mit lauter Stimme: «Danach aber, danach mache ich mich selbständig.»

Eigentlich hatte ich zum ersten Mal im Leben einen Plan, wie ich meine berufliche Zukunft angehen würde: Zum ersten Mal hatte ich genügend Geld und Zeit angespart, um mir drei Monate intensiv Gedanken darüber Gedanken machen zu können. Drei Monate, die mich inspirieren sollten, mir den Horizont eröffnen würden. Drei Monate, die mir aufzeigen würden, was ich wirklich wollte.

Das war vor etwa sieben Jahren, die Pickeltouren (ein Projekt für Stadtführungen im Dynamo) stand kurz vor dem Ende und ich freute mich aufrichtig auf die offene Zukunft und meinen Plan. Was ich zu wenig bedachte, was bei Plänen aber üblich ist: Je konkreter die Vorstellung, desto spektakulärer deren Zerstörung. Ich bekam quasi aus dem Nichts die Möglichkeit, den leise sterbenden Karli (Karl der Grosse) zu einem Debattierhaus aufzubauen. Wie konnte ich dazu nein sagen? Da vereinten sich mindestens vier meiner Leidenschaften: Öffentlichkeit, Diskurs, Gastronomie, Räume, und das alles in einem Haus. «Das ist Next Level, das ist gross, das ist zu geil», sagte ich mir und machte mich an die Arbeit.

Was blieb, war das Versprechen, das ich mir in der Garderobe der Badeanstalt Oberer Letten abrang. Und das ich zurzeit einlöse.

The Last: Sei nett!

Auch wenn das alles gar nichts wird mit dieser Selbständigkeit, weiss ich, dass dies wahrscheinlich der intensivste und spannendste Sommer meines Lebens war. Ich löse ja nicht bloss mein Versprechen ein und folge einem Plan; in erster Linie habe ich das Privileg, mich intensiv mit meinen Wünschen und Ideen und Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Das kann einem selbstverständlich auch zuviel werden, dieses nicht endende selbstreferentielle Hinterfragen: Bin ich auf dem richtigen Weg, habe ich eine gute Entscheidung getroffen, bin ich überhaupt parat für diese Welt, in der neben einer guten Arbeit vor allem auch eine grosse Klappe gefragt ist?

Und jetzt gilt‘s ernst: In einer Woche bin ich weg vom RAV, ab dann muss ich finanziell ganz auf eigenen Beinen stehen. Ich habe mir zwar für ein knappes halbes Jahr einen Teil der Pensionskasse abgezwackt, aber ich habe keine Ahnung, wo ich nächsten Frühling stehen werde. Ich erledige die letzten administrativen Anforderungen, sogar beim Handelsregister angemeldet habe ich mich und eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen.

Eine der grösseren Erkenntnisse der letzten Monate: Alles Organisatorische, alle Administration ist einfach zu handhaben, auch wenn wir allenthalben über Bürokratie und Verwaltung motzen. Meine Erfahrung: Wenn man nett fragt, bekommt man überall Unterstützung. Dazu passt auch eine Statistik über Startups: Der grösste Teil scheitert an den Beziehungen, der allerkleinste am Businessmodell. Konsequenz: Be Nice!

My Everything: Das Ich als Prototyp

Eine meiner grossen Herausforderungen ist wohl, dass ich immer wieder die Balance finden kann. Es ist anspruchsvoll, im «Team Selbstzweifel» als starke Figur regelmässig mit den eigenen Ansprüchen zu hadern. Bei Projekten oder Beratungen arbeite ich mit Vorliebe an Prototypen, das heisst, wir machen erstmal etwas, um es nachher nachzubessern. Wenn es aber um mich selber geht, orientiere ich mich immer wieder an kaum erreichbaren, perfektionistischen Zielen. Dies kann dann dazu führen, dass ich mich in Unsicherheiten und Blockaden verliere, anstatt mich selber etwas entspannter als ewigen Prototypen zu betrachten.

Zum Glück bin ich im «Team Neugier» genauso stark – es gibt wahrscheinlich nichts, was mich nicht interessieren könnte. Und ich liebe Menschen und ihre Geschichten: «Jeder Mensch ist Expert*in für mindestens Etwas» war einer meiner Leitsätze während der Pickeltourenphase und er gilt noch immer uneingeschränkt. Die Neugier ist wahrscheinlich auch die Basis dafür, dass ich Dinge, Interessen und Menschen zusammenbringen kann. Wenn ich Menschen zusammen an einem Tisch gebracht habe, die zusammen etwas aushecken, diskutieren oder einfach laut lachen, empfinde ich ein tiefes und demütiges Glücksgefühl. Diese Welt will entdeckt werden, und wir gestalten sie mit. Ich finde, so viel Pathos darf sein, trotz aller Selbstzweifel.

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