Analyse

Zürich im KI-Fieber – wieso das nicht nur gut ist

Zürich feiert sich als europäischen KI-Hotspot. Doch die Entwicklung kommt mit sozialen, politischen und ökologischen Fragen einher, über die zu wenig gesprochen wird.

google müllerstrasse 16/21
Totenstille an der Müllerstrasse – seit mehreren Jahren steht der Google-Komplex leer. (Bild: Isabel Brun)

Bis heute ist niemand die Rutschbahnen an der Müllerstrasse heruntergerutscht. Sie sind das Symbol der verspielten Arbeitskultur im Unternehmen. Es hätte für Google das nächste Kapitel ihrer Erfolgsgeschichte in Zürich werden sollen. Doch das Google-Gebäude mitten im Zürcher Kreis 4 steht nach einer Kernsanierung seit zwei Jahren leer.

2024 wurden hunderte Zooglers – so nennen sich die Google-Mitarbeitenden in Zürich – entlassen. Über die Gründe kann nur spekuliert werden, das Unternehmen selbst äussert sich dazu sehr zurückhaltend.

Als eines der ersten grossen Tech-Unternehmen hatte Google eine Sogwirkung. Besonders seit Anfang 2025 zieht Zürich immer mehr KI-Unternehmen an, die die Stadt als internationales Zentrum für Künstliche Intelligenz positionieren. Doch das Beispiel von Google zeigt, der aktuelle Hype könnte langfristig der Stadt mehr schaden als nützen – nicht zuletzt, weil sich bereits erste Anzeichen einer platzenden Blase abzeichnen.

Zürich als neues KI-Zentrum

Zürich hat sich in den letzten Jahren rasant zu einem europäischen Hotspot für Künstliche Intelligenz entwickelt – angeführt von Google, das hier seinen grössten Entwicklungsstandort ausserhalb der USA betreibt. Entscheidende Faktoren sind die enge Vernetzung mit der ETH, ein über Jahrzehnte aufgebautes Tech-Ökosystem und die zunehmende Präsenz von Unternehmen wie OpenAI, Meta oder Microsoft, die gezielt KI-Talente abwerben und eigene Labore eröffnen.

Neben Google betreiben auch IBM, Apple, Disney, Nvidia, Microsoft, Meta, OpenAI, Anthropic und neu Pinterest eigene Forschungs- oder Entwicklungsbüros in der Stadt mit starkem Fokus auf Künstliche Intelligenz. Viele dieser Firmen kamen erst in den letzten Jahren dazu oder bauen ihre Präsenz aktuell massiv aus.

Zürich wird dabei immer wieder als strategisch sinnvoller Standort für die Rekrutierung von ETH- oder EPFL-Absolvent:innen genannt. 

Ein weiterer, unrühmlicherer Grund dürften die fehlende Regulierung in der Schweiz sein. Während die EU mit dem «AI Act» seit einigen Jahren versucht, den KI-Sektor durch Verordnung stärker zu regulieren und klare ethische Richtlinien zu etablieren, hat der Schweizer Bundesrat entschieden, keine umfassende KI-Gesetzgebung zu erlassen. 

Auch das Schweizer Datenschutzgesetz ist im Vergleich zur europäischen Datenschutz-Grundverordnung weniger streng.

Intransparente Entscheidungen

Die Tech-Unternehmen werden gerne als Standortvorteil für Zürich genannt, dabei hat Zürich kaum Einfluss auf die Entwicklung solcher Unternehmen, während diese gleichzeitig lokale Infrastruktur und Fachpersonen übermässig beanspruchen. 

Das zeigt das Beispiel von Google. Nicht nur wurden etliche Stellen gestrichen, es stehen auch mehr als 15’000 Quadratmeter Bürofläche leer und jährliche Mieten im zweistelligen Millionenbereich werden in den Sand gesetzt – die strategischen Entscheidungen dafür kommen aus Kalifornien, dem Google-Hauptsitz. Zu den Gründen schweigt Google auch nach mehreren Anfragen eisern.

Auch in welcher Höhe Google Steuern zahlt, ist ein Geheimnis. Nachfragen der Republik aus dem Jahre 2023 bei Stadt, Kanton und Google bleiben allesamt unbeantwortet. International nutzt Google umstrittene Steuer­vermeidungs­strategien. 

Google Europaallee, Zürich
Google transferiert mutmasslich Milliarden am Fiskus vorbei­. (Bild: Yann Bartal)

Wo ein Unternehmen wie Google einst als Vorreiter galt, kämpft es heute mit einem immer fragwürdigeren Nutzen für die Stadt. Auch SP-Kantonsrat und Informatiker Felix Hoesch sieht in der Dominanz und Grösse von den ansässigen Firmen mehr Gefahren als Chancen: «Big-Tech saugen viele Informatiker und Ingenieurinnen ab und den Start-ups bleiben nicht genügend Mitarbeitende», schreibt Hoesch auf Anfrage. 

Aus seiner Sicht würden die zahlungskräftigen Mitarbeitenden dieser Unternehmen «den Wohnungsmarkt stark verzerren und mit ihrer Zahlungsbereitschaft Läden und Gastronomie anziehen, die sich viele Zürcher:innen nicht mehr leisten können».

Weitaus optimistischer ist Balz Hösly, Präsident des Verwaltungsrates der Greater Zurich Area. Er ist sich sicher, dass der Zuzug von Unternehmen wie OpenAI oder Meta auch positive Effekte auf das lokale Gewerbe hat. 

«Mehr maskuline Energie»

Die Mitarbeitenden der lokalen Ableger von Meta, OpenAI und Co. mögen gute Absichten vertreten. Doch die Unternehmen sind in den Händen von wenigen, extrem reichen Männern. Mit ihrem enormen Reichtum und Einfluss stehen sie im Widerspruch zu den Interessen der Demokratie. 

Viele Tech-Milliardäre vertreten heute Weltanschauungen, die als esoterischer Sci-Fi-Kult bezeichnet werden muss. Sie wollen den Menschen optimieren, das Universum kolonisieren und künstliche Superintelligenzen erschaffen, notfalls auf Kosten der Demokratie. Hinter diesen techno-religiösen Vorstellungen stehen oft eine zutiefst autoritäre Logik.

Meta-CEO Mark Zuckerberg setzt im Moment alles daran, um in der Gunst Donald Trumps zu stehen und hat dafür auf Facebook die Faktenprüfung und Inhaltsmoderation so gut wie aufgelöst. Zeitgleich mit der Amtseinsetzung Trumps forderte Zuckerberg mehr «maskuline Energie» in Unternehmen und Gesellschaft. Damit stellte er klar, dass er seine einst progressiven Anliegen vor allem aus politischem Opportunismus vertrat. 

Zuckerberg stellt dabei keine Ausnahme dar. Ein weiteres Beispiel ist Dario Amodei, der CEO der KI-Firma Anthropic, die in Zürich einen neuen Standort eröffnete. Wie die NZZ berichtet, hat Amodei mit seinem Aufsatz «Machines of Loving Grace» ein quasi-religiöses Manifest zur Zukunft der Künstlichen Intelligenz vorgelegt. Darin prophezeit er, dass in wenigen Jahren eine fortgeschrittene KI erscheinen wird und inszeniert darin KI nicht als Werkzeug, sondern als Erlöserfigur.

Wer sich von den Versprechungen einer besseren Zukunft dieser Personen überzeugen lässt, ist entweder blauäugig oder steht auf deren Gehaltsliste.

Wann platzt die Blase?

Statt eines florierenden Arbeitsmarktes entwickelt sich im Moment ein aggressiver Transferkampf der Giganten, die sich gegenseitig die KI-Expert:innen abwerben. Dabei zahlen die Unternehmen Ablösesummen, die bisher nur im Männerfussball auf Profiniveau bezahlt wurden.

Neben all den Visionen um potenzielles Wirtschaftswachstum wird der ökologische Schaden, den diese KI-Produkte nicht hypothetisch, sondern sehr real verursachen, nicht einmal als Randnotiz erwähnt. Die Entwicklung und der Betrieb von KI-Systemen, insbesondere von grossen Sprachmodellen, erfordern immense Mengen an Energie und Wasser. Dabei hat sich die Stadt Zürich mit den Klimazielen 2040 vorgenommen, ihre CO₂-Emissionen drastisch zu reduzieren. 

Hier bestehe zweifellos ein Zielkonflikt, meint der Leiter des Digital Ethics Labs der Universität Zürich, Markus Christen. «Die grossen Sprachmodelle sind Haupttreiber des Energieproblems – doch viele andere KI-Anwendungen werden nicht solche Energie-Investitionen brauchen», relativiert Christen auf Anfrage.

Schliesslich werden dennoch Milliarden von Franken in die KI-Entwicklung investiert, obwohl immer noch unklar ist, wie sich damit überhaupt jemals Geld verdienen lassen soll. «Diese Blase wird platzen», ist sich die Journalistin Karen Hao in der NZZ sicher. Zürich würde daher gut daran tun, nicht zum Schauplatz dieser Krise zu werden.

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yann

Yann hat an der Universität Zürich einen Master in Germanistik, Sozialwissenschaften und Philosophie abgeschlossen. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er bei 20Minuten, Tsüri.ch und der SRF Rundschau. Beim Think & Do Tank Dezentrum war Yann als wissenschaftlicher Mitarbeiter und in der Kommunikationsleitung tätig. Seit 2025 ist er Teil der Tsüri-Redaktion.

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Kommentare

Die Ente Berta
29. September 2025 um 15:13

Digitale Kolonialisierung Europas

Ein weiterer Aspekt ist die digitale Kolonialisierung Europas (und anderer Weltteile) durch diese amerikanischen Konzerne. Diese Konzerne sind in keinster Weise rein private Unternehmungen. Sie werden in den USA ausgehend vom MIT und dem Silicon-Valley massivst staatlich subventioniert, damit verzerren sie den Wettbewerb. Bei Google und den Firmen von Musk ist das deutlichst belegt. Die jüngere Generation wird sich nicht an den Fall Nokia erinnern Ende90er/Anfangs00er Jahre. Das war ein europäischer Informatikkonzern, der aus unbekannten Gründen abstürzte und heute Microsoft gehört und floriert. Das betraf auch andere Firmen. Es ist nicht möglich, dass die Bestrebungen der EU und Europa, ein eigenes digitales Ökosystem (das für EU/Europa als eigenständiger Kulturraum existentiell überlebenswichtig ist) aufzubauen, wenn die Schweiz mit Zürich und Irland mit Dublin diesen Bestrebungen regelrecht in den Rücken fallen.