Glättli greift definitiv FDP-Sitz an und die SVP hilft ihm dabei

Balthasar Glättli will als dritter Grüner in den Stadtrat einziehen. Er hat realistische Chancen, das zu erreichen. Auch, weil die Bürgerlichen ihm gerade zuarbeiten.

Glättli, Bamert, Avdili Stadtratswahlen
Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Das gilt auch bei Stadtratswahlen. (Bild: Wikimedia/Ank Kumar/Tsüri.ch)

Mit der Nomination von Balthasar Glättli haben die Grünen am Dienstagabend auch den Überraschungskandidaten für die bevorstehenden Stadtratswahlen gesetzt.

Neben den Bisherigen Daniel Leupi und Karin Rykart steigt ein dritter Anwärter ins Rennen. Die eigentlich braven Grünen wagen den Angriff. Obwohl ein Teil des Vorstands gegen eine dritte Kandidatur war, scheint die Strategie bislang aufzugehen.

Einerseits brachte der schweizweit bekannte Politiker der Partei schon jetzt mediale Aufmerksamkeit. Andererseits hat Glättli auch reelle Chancen, gewählt zu werden.

Glättli und Avdili im Duell um frei werdenden FDP-Sitz

Das grösste Rennen wird wohl um den vakanten Regierungssitz von Filippo Leutenegger (FDP) stattfinden, denn in der Regel werden amtierende Regierungsmitglieder nicht abgewählt. Und aktuell deutet alles auf ein Duell zwischen Balthasar Glättli und dem FDP-Präsidenten Përparim Avdili hin. Avdili will neu neben seinem Parteikollegen, dem Bisherigen Michael Baumer, in die Regierung einziehen und kandidiert auch als Stadtpräsident.

Die Kandidaturen der Kleinparteien EVP, Mitte und AL sind wohl aussichtslos. Auch die GLP dürfte angesichts der aktuellen Ausgangslage und der schieren Übermacht der Linken keine wirkliche Chance haben, Serap Kahriman in die Regierung zu heben. Die zweite neue FDP-Kandidatin Marita Verbali ist nahezu unbekannt und wird ausserhalb des eigenen Lagers kaum Stimmen erhalten.

Hier sticht Glättli heraus. Und das, obwohl die Grünen mit 14 Prozent Wähler:innenanteil und zwei Stadträt:innen rein rechnerisch keinen Anspruch auf einen dritten Sitz hätten.

Glättli hat zwar keinen Anspruch auf den Sitz, aber gute Chancen

In den Stadtrat wählt man aber keine relativen Anteile, sondern Menschen. Da hilft es auf bekannte Kandidat:innen zu setzen.

Und Glättli – man möge das Wortspiel verzeihen– ist bekannt wie ein grüner Hund.

Der 53-Jährige politisiert seit rund dreissig Jahren: Von 1998 bis 2011 sass er im Zürcher Gemeinderat, seit 14 Jahren nun im Nationalrat. Glättli flimmert als SRF-Arena-Gast über die Bildschirme, macht national Schlagzeilen als Umweltaktivist, Asylpolitiker, prägende Figur der Schweizer Grünen und auch als deren Präsident bei der Wahlschlappe 2023.

Balthasar Glättli ist sowohl geschätzt als auch umstritten, doch eins ist sicher: Sein Name ist vielen Stadtzürcher:innen geläufiger als der mancher amtierenden Stadträt:innen.

Die Politologin Sarah Bütikofer kommt im Interview mit Tsüri.ch zum Schluss: «Die Chancen standen für die Grünen selten so gut, drei Sitze zu erobern.»

Für die Bürgerlichen heisst das: Wollen sie ihre Sitze halten, respektive Glättli verhindern, müssen sie geeint antreten. Doch das Gegenteil scheint der Fall.

Bürgerliche verzetteln sich und ebnen Linksgrün den Weg

Am Dienstag verkündete die SVP überraschend, dass ihr Stadtratskandidat Ueli Bamert auch das Präsidium angreifen will.

Dass sich die SVP einen anderen bürgerlichen Kandidaten als den freisinnigen Parteipräsidenten Avdili gewünscht hätte, der sich schon mehrfach kritisch gegenüber der SVP geäussert hat, kann man sich denken.

Bamert betont im Interview mit der NZZ zwar, seine Kandidatur richte sich in erster Linie gegen Raphael Golta, den Stapi-Anwärter der SP.

Fest steht aber: Mit diesem Entscheid unterstützt die SVP Avdili nicht als überparteilichen, bürgerlichen Kandidaten, sondern tritt in direkte Konkurrenz mit der FDP. Gegenüber dem Tages-Anzeiger nennt Avdili den Entscheid «unnötig».

Das Thema Präsidium ist allerdings erst einmal sekundär. Für den langjährigen Stadtrat Golta stellen die Ambitionen Avdilis kaum eine echte Gefahr dar. Die SVP hat es in der Stadt Zürich allgemein schwer. Seit den 90er-Jahren ist sie gar nicht mehr in der Regierung vertreten. Stand jetzt dürfte das Stadtpräsidium bei der SP bleiben.

Relevanter ist die Frage, was ein Bruch innerhalb des bürgerlichen Blocks für den Erhalt des zweiten FDP-Sitzes bedeutet.

Wenn die linksgrüne Stimmbevölkerung ihre Leute geschlossen auf den Zettel schreibt und Balthasar Glättli zusätzlich Wähler:innen mobilisiert, dann wären die Bürgerlichen umso mehr darauf angewiesen, zusammenzuarbeiten.

Verzetteln sie sich aber ob der Präsidiumsfrage, profitiert davon weder die SVP noch die FDP, sondern die Linke und insbesondere die Grünen.

Und die haben, Stand jetzt, eine sehr passable Ausgangslage. Dank einer aufsehenerregenden Kandidatur und der unfreiwilligen Unterstützung der Bürgerlichen.

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2023-05-02 Nina Graf Portrait-13

Aufgewachsen am linken Zürichseeufer, Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft an den Universitäten Freiburg (CH) und Basel. Sie machte ein Praktikum beim SRF Kassensturz und begann während dem Studium als Journalistin bei der Zürichsee-Zeitung. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin untersuchte sie Innovationen im Lokaljournalismus in einem SNF-Forschungsprojekt, wechselte dann von der Forschung in die Praxis und ist seit 2021 Mitglied der Geschäftsleitung von We.Publish. Seit 2023 schreibt Nina als Redaktorin für Tsüri.ch.

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