System NZZ: Wie die Zeitung einen Kulturkampf führt
Wie gross der Einfluss der NZZ auf die Zürcher Politik ist, zeigen zwei Beispiele: das Schauspielhaus und die Zentralwäscherei.
Einen «liberalen Kompass» sollen Journalist:innen mitbringen, heisst es in Stelleninseraten der NZZ. Doch mit Eric Gujer als Chefredaktor scheint die Zeitung von diesem liberalen Kompass abgekommen zu sein. Unter ihm arbeitet sich die Zeitung regelmässig an Linken und Woken ab, während sie auf der politisch rechten Seite selbst vor rechtsextremen Begriffen nicht zurückschreckt. Das zeigen acht Beispiele von Artikeln.
Dennoch, die NZZ gilt als Leuchtturm in der Schweizer Medienlandschaft. Punkto Qualität schnitt das Blatt auch dieses Jahr im Medienqualitätsranking super ab. Seit Beginn des Rankings belegt die NZZ stets den Spitzenplatz in der Kategorie Tages- und Onlinemedien.
Wo Neue Zürcher Zeitung draufsteht, wissen die Leser:innen, was drin ist: rechtsbürgerlicher Qualitätsjournalismus. Dass die NZZ als liberale Zeitung der FDP nahe steht, ist bekannt. NZZ Aktien erwerben kann, wer Mitglied der FDP ist oder ihr nahesteht.
Der Einfluss der Zeitung in die Realpolitik ist aber vielleicht weitreichender, als man annimmt. Ein Zürcher Gemeinderat, der anonym bleiben will, sagt gar: «FDP-Stadtrat Michael Baumer wäre ohne die NZZ wohl kaum gewählt worden.»
Bei den Stadtratswahlen im Frühling 2018 ging es für die FDP um viel: Filippo Leutenegger musste seinen Sitz verteidigen und der zweite FDP-Sitz im Stadtrat war hart umkämpft. Michael Baumer konnte diesen für die Freisinnigen nur knapp retten und zog in den Stadtrat ein.
Die ersten Umfragen damals haben Baumer wenig Chancen eingeräumt, mag sich der Gemeinderat erinnern. Dann sei Baumer aber vermehrt Thema in den Medien gewesen. «Dann las ich gefühlt jede Woche etwas in der NZZ von Michael Baumer. Durch Namedropping war er auf einmal Stadtgespräch, man interessierte sich für ihn», sagt er.
Ein Blick in die schweizerische Mediendatenbank zeigt: In der NZZ fiel ein Jahr vor den Wahlen 61 Mal der Name «Michael Baumer», im Tages-Anzeiger waren es 33 Mal. Im ähnlichen Verhältnis stand die Berichterstattung vier Jahre später bei den Wiederwahlen. Die NZZ mache die Bürgerlichen im rot-grünen Zürich überproportional stark, so der Gemeinderat.
Wie gross der Einfluss der Zeitung auf die Zürcher Politik ist, zeigen zwei Beispiele. So brachte ihre Berichterstattung wohl die Schauspielhaus-Intendanz Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann zu Fall und bringt regelmässig die Zentralwäscherei in die Bredouille. Beides mit Unterstützung der Freisinnigen.
Der Fall der Schauspielhaus Intendanz
Sie sind angetreten, das Schauspielhaus zu verjüngen, diverser zu gestalten und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen: Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann. Dieses Ziel verfolgten die beiden von Anfang an offensiv. Die Pandemie zog ihnen ein Strich durch die Rechnung. Das Publikum wurde zwar jünger und diverser, doch nach diversen Schliessungen und wechselnden Pandemie-Bestimmungen blieben in den Aufführungen auch mal Sitze leer.
Mit Triggerwarnungen und Gendersternen in Programmheften, einer vergleichsweise hohen Quote an PoC-Schauspieler:innen und einer Diversitätsbeauftragten passte das Schauspielhaus nicht mehr in die gewohnten Reihen der Zürcher Hochkultur rund ums Opern- und Kunsthaus.
Die Signale aus dem Schauspielhaus waren klar: Eines der grössten Kulturhäuser der Stadt versucht, aus der bürgerlichen Diskursmacht auszubrechen.
Ein gefundenes Fressen waren die fehlenden Ticketverkäufe, denn das «woke» Konzept stiess dem Zürcher Bürgertum sauer auf. «Es kriselt im House of Wokeness» titelte die NZZ am Sonntag Anfang Oktober 2022 erstmals, wenige Tage später heisst es in der NZZ «Der woke Einheitsbrei vergrault die Zuschauer». Es folgen Beiträge mit Titeln wie «Macht das Schauspielhaus Zürich ein Theater für alle, oder subventioniert die Stadt mit 40 Millionen ein sektiererisches Gesellschaftsexperiment?». Darin schreibt NZZ-Feuilletonchef Benedict Neff: «Wenn ein Mann in Uniform die Bühne betritt, weiss das Publikum schon, dass diese Figur ein Arschloch ist.»
«Das Publikum war nicht so divers und woke, wie dargestellt. Es gab Unzufriedenheiten im Stammpublikum, aber das war eine kleine, laute und eher bürgerliche Minderheit. Die meisten aber schätzten unser Programm», sagt eine Schauspielhaus-Mitarbeiterin, die anonym bleiben will.
Der kausale Zusammenhang von Wokeness und Publikumsschwund, das Narrativ der NZZ, übernahmen auch andere Medien – vorne mit dabei die Sonntagszeitung und die Weltwoche. «Das geschaffene Narrativ hielt sich: Wir sind zu woke, wollen zu viel Geld, die Leute kommen nicht und die zwei Intendanten richten das Haus zu Boden», sagt die Schauspielhaus-Mitarbeiterin. «Dabei hatten wir auch Produktionen, die ausverkauft waren.»
«Die NZZ hat sich zusammen mit der FDP mit dem Schauspielhaus eine grosse Institution geschnappt und damit ein Exempel statuiert.»
Schauspielhaus-Mitarbeiterin
Die Gemüter waren im Herbst 2022 erhitzt, das Schauspielhaus war das Thema Nummer eins in den Medien und beschäftigte ab da auch die Zürcher Politik.
Im Gemeinderat gab es in dieser Zeit gleich drei schriftliche Anfragen an den Stadtrat. Federführend waren jeweils die beiden FDP-Gemeinderät:innen Flurin Capaul und Yasmine Bourgeois. Die Fragen betrafen unter anderem die Vertragsverlängerung der Intendanz und die Subventionen, die Auslastung im Schauspielhaus und durchgeführte Sensibilisierungsworkshops zu Rassismus und inklusiver Sprache.
«Die FDP hat keinesfalls zusammen mit der NZZ das Schauspielhaus in den Schwitzkasten genommen», sagt Capaul. Das Publikum habe gefehlt, die Einnahmen seien weggebrochen und das Programm fand zu wenig Anklang, so der Gemeinderat. Die FDP habe daraufhin reagiert.
Während sich die rechtskonservativen Medien und Politiker:innen am woken Programm abarbeiteten, hiess es auf SRF: Auf Festivals und in der überregionalen Presse komme das Programm indes gut an.
Um Klarheit zu schaffen, lud das Schauspielhaus selbst im Januar 2023 zum Publikumsgipfel. Wenige Wochen später im Februar war klar: Der ausgelaufene Vertrag mit den beiden Intendanten wird nicht verlängert. Laut NZZ am Sonntag habe der Verwaltungsrat des Theaters die Vertragsgespräche mit dem Duo abgebrochen, die NZZ bezog sich dabei auf «mehrere Quellen». Im Vordergrund dieser Gespräche standen die Löhne der Schauspielhaus-Mitarbeitenden. Das Intendanten-Duo soll höhere Löhne für die Belegschaft gefordert haben, der Verwaltungsrat wollte angeblich sparen.
Yasmine Bourgeois sagte damals gegenüber der Zeitung: «Ich bin erleichtert über diese Trennung. Die zwei Intendanten haben sich mit dem woken Programm verrannt.»
«Die NZZ hat sich zusammen mit der FDP mit dem Schauspielhaus eine grosse Institution geschnappt und damit ein Exempel statuiert», sagt die Schauspielhaus-Mitarbeiterin. Dies habe durchaus Signalwirkung und könne anderen im Wege stehen, wenn es darum geht, aus den bürgerlichen Reihen auszubrechen.
Kulturkampf auf dem Nacken der Kleinen
Auch andere Kulturinstitutionen in Zürich waren jüngst heftiger Kritik der NZZ ausgesetzt. So etwa die Zentralwäscherei (ZW) oder die Rote Fabrik.
Anfang Jahr fand in der ZW eine Veranstaltung des Revolutionären Aufbaus statt, an dem ein Mitglied des palästinensischen Netzwerks Samidoun auftrat, das Mitglied hat mittlerweile ein Einreiseverbot in die Schweiz. «Subventioniert, links – und antisemitisch?» titelte daraufhin die NZZ.
Weil die Zentralwäscherei von der Stadt jährlich einen Mieterlass bekommt, stellten GLP und FDP-Gemeinderäte eine schriftliche Anfrage. «Wir wehren uns dagegen, dass antisemitische Organisationen in subventionierten Räumen auftreten», sagte Jehuda Spielman gegenüber dem Tages-Anzeiger. Die Stadt rügte die ZW schlussendlich für den Event.
In der Roten Fabrik fanden im September die Aktionstage Enough statt. Im Rahmen des Programms stand Ramsis Kilani auf der Bühne. Der deutsch-palästinensische Aktivist sollte über Siedlerkolonialismus und Widerstand sprechen. Für die FDP vertritt Kilani antisemitische Positionen und die Partei forderte in der NZZ die Absage des Events. Weil die Meinungsfreiheit rechtlich stark geschützt sei, sei ein Eingriff in die Programmfreiheit der Roten Fabrik nicht angezeigt, hiess aber damals seitens der Stadt.
«Inhaltlich mag Kritik angebracht sein, doch damit trägt die NZZ ihren Kulturkampf bei den Kleinen aus», sagt Sascha. Sascha heisst eigentlich anders und ist seit Jahren in der Zürcher Kulturbranche unterwegs und beobacht das Geschehen kritisch. «Die NZZ nimmt sich nun die Kleinen vor. Die ZW und die Rote Fabrik werden immer schlecht wegkommen, wenn sie von der NZZ und der FDP angegriffen werden. Sie sind nicht aufgestellt, um dagegen anzuhalten», so Sascha.
NZZ is watching you
Das Schauspielhaus, die ZW und die Rote Fabrik zeigen: Die NZZ beobachtet die Zürcher Kulturhäuser genaustens.
Subventionierte Betriebe müssen beobachtet und auch kritisiert werden dürfen. Doch es scheint, als nehme sich die NZZ diese Orte nacheinander und einzeln vor, um eine öffentliche Debatte und so politische Wirkung in ihrem Sinne zu erzeugen. Wo immer sich ein Einfallstor auftut, geht die Zeitung rein. Eine professionelle und konservative Übermacht steht dann alternativen Kulturräumen gegenüber.
Einzelne Veranstaltungen und Momentaufnahmen führen dazu, dass bürgerliche Politiker:innen Gelder, die der alternativen Kultur zugutekommen sollen, infrage stellen und so Einfluss auf die Programme nehmen. Und so hinterlassen all diese Beispiele einen fahlen Nachgeschmack: Flankiert von der freisinnigen Politik im Gemeinderat, führt die NZZ einen Kulturkampf an.
Die NZZ wollte sich auf Anfrage nicht äussern und liess die Fragen innert der gesetzten Frist unbeantwortet.
Der Beitrag wurde nachträglich um ein Statement der FDP ergänzt.
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