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Publikumsgipfel im Schauspielhaus: Dialog oder Duell der Generationen?
Das Schauspielhaus verliert Abonnent:innen. Konservative Stimmen sagen, das Theater sei zu divers und zu «woke». Am Publikumsgipfel im Pfauen wurde am Mittwoch darüber diskutiert, wie es mit dem Schauspielhaus weitergehen soll.
Rund 650 Personen versammelten sich am Mittwochabend im Foyer des Pfauen. Grund: Das Schauspielhaus Zürich veranstaltete ein «Publikumsgipfel», weil es von konservativen Seiten Kritik hagelte. Es sei seit der neuen Intendanz von Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg zu «woke» und zu divers geworden.
Das Publikum war erstaunlich durchmischt, ein Querschnitt der Zürcher Theatergänger:innen, die vor der Veranstaltung alle ein wenig angespannt wirkten.
Zu Beginn standen Stemann und von Blomberg auf der Bühne. Die beiden schienen etwas nervös, dennoch gefasst. Nach ein paar begrüssenden Worten wurde Moderator Tobi Müller auf die Bühne gerufen. Ebenfalls den ganzen Abend auf der Bühne war Elio Donauer von Tsüri.ch. Er war zuständig für den digitalen Raum, in dem das Publikum anonym vom Handy aus zeitnahe Fragen und Rückmeldungen geben konnte.
Der Abend war in folgende Podien aufgeteilt: «Künstlerisches Programm und Inszenierungen», «Was ist Stadttheater?» und «Theater als Begegnungsort».
Runde 1 – «Künstlerisches Programm und Inszenierungen»
In der ersten Runde wurden die Leitende Dramaturgin Katinka Deecke und Co-Leiter des Schauspielhauses Nicolas Stemann auf die Bühne gebeten. Nach einem kurzen Missverständnis zwischen Tobi Müller und Nicolas Stemann, ob sie sich nun auf der Bühne duzen oder siezen sollen, meinte Stemann: Das Schauspielhaus sei offenbar ein Stadtgespräch und das sei generell gut. Jedoch sei der momentane Ton nicht der angenehmste.
Als Deecke zu Wort kam und über die kleinen Einführungen, die sie vor jedem Stück im Foyer anbieten, sprach, kam aus dem Publikum die Meldung eines älteren Theaterbesuchers: «Ich bin schwerhörig und durch die Lautsprecher im Foyer verstehe ich jeweils nichts von den Einführungen.» Da es sich hier um ein technisches Problem handle, dass sich gut lösen dürfe, wurde die Kritik von Deecke dankend angenommen.
Nach dem kleinen Intermezzo kam die Frage auf, wie man die beiden Extreme von «Ich bin Steuerzahler:in, also habe ich Anspruch, was in meinem Theater läuft» und der gegenüberliegenden Seite mit «Ein Theater muss sich weiterentwickeln und sich leisten, Abenteuer einzugehen und das Publikum in neue Arten des Theaters zu einzuführen» unter einen Hut bringen kann. Die Antwort auf diese komplexe Frage blieb ernüchternd. Die Zürcher Bevölkerung sei kein homogenes Publikum und es sei schwierig, alle glücklich zu machen.
«Ein Teil des älteren Publikums hungert nach Originalen und nicht nach Stücken, die neu inszeniert werden», so ein Zuschauer, dem die Klassiker im Schauspielhaus fehlen. Diese Debatte sei alt, meinte Stemann. Oft sehnt man sich nach dem Theater, wie es in der eigenen Jugend war. Aber als Dramaturg habe man eigene theatralische Kunstwerke und hole sich dafür die Inspiration von den Originalstücken.
Runde 2 – «Was ist Stadttheater?»
In der zweiten Runde kam Diversitätsagentin des Schauspielhauses Yuvviki Dioh, Co-Leiter des Schauspielhauses Benjamin Blomberg und Schauspieler Michael Neuenschwander auf die Bühne. Während Neuenschwander sich selbst einen Stuhl auf die Bühne tragen musste, weil es zu wenige hatte, brachten sich die anderen beiden in Position.
Müller fragte Neuenschwander, weshalb sich der Ton gegenüber dem Schauspielhaus verschärft habe. Der Schauspieler überlegte kurz und sagte: «Ein Manko ist sicher auch der Pandemie zuzuschreiben, aber wir haben auch kein wirkliches Schauspiel-Ensemble – mit einem solchen könnte man jedoch Zuschauer:innen binden.» Das Publikum jubelte ihm daraufhin zu. Dioh fügte hinzu: «Der scharfe Ton kommt wohl auch daher, weil Stücke nun mit anderen Körpern auf der Bühne gespielt werden.» Damit deutete sie auf BIPoC und queere Schauspieler:innen an. «Aber diese Chance kann man nutzen, um neue Bindungen einzugehen», so Dioh weiter. Darauf bekam auch sie viel Zuspruch aus dem Publikum.
Runde 3 – «Theater als Begegnungsort»
In der letzten Runde sassen Seta Thakur, Leiterin der Medien– und Öffentlichkeitsarbeit des Schauspielhauses, Zora Maag,Theaterpädagogin, und Dirk Wauschkuhn, technischer Direktor des Schauspielhauses, auf der Bühne. Als das Gendern in den Programmheften zur Sprache kam, meinte ein Mann aus dem Publikum: «Ich spreche keine woke Sprache.» Darauf konterte Maag: «Durch Sprachen werden Realitäten geschaffen.» Damit meinte sie wohl, dass wenn man sich der Zeit und Sprache anpasst, auch mehr junge und diversere Menschen ins Theater kommen und sich von Stücken angesprochen fühlen.
«Der Austausch soll weitergeführt werden. Wir lancieren deshalb ein neues Format mit dem Titel ‹Schauspielhaus Stadtgespräch›, wo wir regelmässig in verschiedenen Quartieren in Zürich zum Austausch in kleinere Runde einladen», kündeten die Intendanten an. Am 10. Februar wird diese neue Reihe zum ersten Mal im «Karl der Grosse» stattfinden. So soll es dem Publikum weiterhin möglich sein, Fragen und Anmerkungen zu äussern. Die Schauspielhaus-Leitung zeigte sich willig, weiterhin im Dialog mit den Besucher:innen zu bleiben.
Der Publikumsgipfel war spannend und es wurde diskutiert. Es war mehr ein Dialog als ein Duell, was auch in einer Abstimmung an diesem Abend klar wurde. Dennoch war der Generationen-Gap den ganzen Abend deutlich spürbar und die Frage, wohin es mit dem Theater gehen soll, wird Zürich weiter beschäftigen.
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