Wie der Autotraum in Altstetten wertvolle Landreserven blockiert
Der Norden von Altstetten ist von Autostrassen durchzogen. Dabei könnte die wertvolle Fläche laut einer Gruppe Stadtplaner auch für Wohnraum genutzt werden. Unser Kolumnist Thomas Hug bezeichnet die Idee als «Win-win-win-Lösung».
Steigende Mieten, schwierige Wohnungssuche: Die Wohnungsnot ist langsam auch in Bundesbern angekommen. Deshalb hat der Bundesrat kürzlich zum Befreiungsschlag ansetzen wollen – ein runder Tisch sollte Lösungen liefern. Das Resultat war dann leider ernüchternd: Von nichts als heisser Luft war die Rede, andere kritisierten eine «Mä müsst mal»-Mentalität, die von jeglichen konkreten Massnahmen absehe.
Seit städtische Vertretungen im Bundesrat praktisch inexistent sind, mag die fehlende Bereitschaft, kreative Lösungen zu finden, wenig erstaunen. Dass einer der Schlüssel zum Wohnungsproblem gerade in einem Stadtzürcher Randquartier liegen könnte, scheint am runden Tisch niemandem aufgefallen zu sein.
Altstetten steht stellvertretend für eine Platzverschwendung, die der Bund in verschiedenen Städten produziert. In den 70er-Jahren baute man hier einen Autobahnstummel mitten in die Stadt hinein. Die sieben-spurige und bis zu 70 Meter breite Asphaltfläche hat heute nur einen Zweck: Statt bereits auf der Autobahn stauen sich die Autos mitten im Siedlungsgebiet, bevor sie vollends in die städtischen Gefilde eindringen können.
Wie viel Fläche damit für andere Nutzungen verloren geht, wird erst so richtig deutlich im Vergleich mit dem Zustand vor dem Autobahnbau. Angesichts der aktuellen Wohnungsnot in Zürich wäre es also logisch, wenn diese Landreserven zur Diskussion gestellt würden.
Das klingt im ersten Augenblick nach einer Utopie aus der Kategorie «zu schön, um wahr zu sein». Doch eine aktuelle Masterarbeit beweist das Gegenteil. Unter dem Titel «Die lebenswerte Stadt» entwarfen drei Studenten ihre Vision für einen neuen Stadtteil. Seit längerer Zeit präsentieren sie diese schon online, ohne dass die Initiative gross Wellen geschlagen hätte. Gerade in Zeiten der Wohnungsnot, wo um jeden Quadratmeter Wohnraum gefeilscht wird, scheint das doch erstaunlich.
Besonders interessieren dürfte den Bund die verkehrliche Leistungsfähigkeit. So konnten die Studierenden einen Weg aufzeigen, wie die Autobahn zu einer lebenswerten Stadtachse werden kann – die Kapazität für den Autoverkehr aber gewährleistet bleibt.
Eigentlich also eine Win-win-win-Situation. Der nördliche Teil Altstettens bekommt endlich ein verdientes Update. Lange genug hat er schon unter der Autoeinfallachse gelitten und wurde von der städtischen Planung oft stiefmütterlich behandelt. Der Bund könnte mit der Bebauung seines Grundeigentums ein Zeichen gegen die Wohnungsnot setzen, ohne neue Gesetze oder Verordnungen zu erlassen. Und die Stadt könnte eine Narbe wiederbeleben, die heute dem Tod geweiht scheint – und wo es ihr scheinbar an neuen Ideen fehlt.
«Statt heisser Luft lassen sich in Altstetten richtige Lösungen auf den Boden bringen.»
Thomas Hug, Mobilitätsexperte
Die Stadtautobahnen sind nicht gekommen, um zu bleiben. Ursprünglich sollten sie mitten im Stadtzentrum – unter anderem beim Letten und beim HB – aufeinandertreffen und den Autoverkehr so durch die Stadt leiten. Erst vor zwei Jahren wurde dieses Konzept offiziell für tot erklärt. Die Autobahnäste in die Stadt hinein haben nun Teil ihres Zwecks verloren. Der Abbruch der Sihlhochstrasse zwischen Wiedikon und der Allmende ist deshalb bereits mehrfach zum Politikum geworden – doch der Westast wäre wohl weitaus einfacher aufzuheben. Und mit der Wohnungsnot steht ein drängendes Problem im Haus, das es zu lösen gilt.
In Altstetten gibt es also Hausaufgaben für den Bund. Höchste Zeit, dass die beiden SVP-Politiker in die Hose steigen – Guy Parmelin als Verantwortlicher für das Wohnungswesen, Albert Rösti für die Autobahnen. Statt heisser Luft lassen sich in Altstetten richtige Lösungen auf den Boden bringen.
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