Was hat der Spanische Bürgerkrieg mit Zürich zu tun?

Alle dachten, dass über den Fall Ameti diskutiert wird. Stattdessen beschäftigte sich der Gemeinderat mit den Rückkehrer:innen des Spanischen Bürgerkriegs und inklusiver Sprache.

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Zum Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs fanden in der Schweiz Demonstrationen statt. (Bild: Schweizerisches Sozialarchiv)

Selten waren im Gemeinderat so viele Journalist:innen vor Ort wie vergangenen Mittwochabend. 

Grund dafür war die Annahme, dass über den Fall Sanija Ameti gesprochen wird, die für die GLP im Gemeinderat sitzt. Nach dem Shitstorm in den vergangenen Tagen rechneten viele mit einer hitzigen Debatte. Doch überraschend blieb das Thema aussen vor, und auch Ameti war nicht anwesend. So liess man die aufgebrachte Diskussion erstmal abkühlen.

Stattdessen arbeiteten die Ratsmitglieder unerwartet fleissig die immer-lange Traktandenliste ab.

Als Zürcher:innen vom Spanischen Bürgerkrieg zurückkehrten 

Es ist ungewöhnlich, dass der Gemeinderat eine Frage debattiert, die über 80 Jahre zurückgeht. Doch genau dies war am Mittwoch der Fall.

Im Mittelpunkt: Die sogenannten Spanienfreiwilligen, die während des Spanischen Bürgerkriegs in den 1930er Jahren nach Spanien reisten, um Freiheit und Demokratie gegen die faschistischen und monarchistischen Generäle zu verteidigen. «Aus der Schweiz haben sich im internationalen Vergleich ausserordentlich viele nach Spanien begeben, um die spanische Republik zu verteidigen», sagte Sophie Blaser (AL). Rund 800 Schweizer:innen nahmen teil. Dabei sei die Schweiz die einzige Demokratie gewesen, die ihre Rückkehrer:innen strafrechtlich verfolgte, so Blaser. Viele mussten nach ihrer Rückkehr eine Haftstrafe absitzen und wurden in der Gesellschaft diskriminiert. 

Doch inwiefern waren die Zürcher Behörden für diese Diskriminierung und Stigmatisierung verantwortlich? Diese Frage stellten 2021 die AL-Politiker David Garcia Nuñez und Andreas Kirstein in einem Postulat. Das Präsidialdepartement gab dem Sozialarchiv daraufhin den Auftrag, einen Bericht zu erarbeiten, der nun diesen Sommer veröffentlicht wurde.

Stadtpräsidentin Corine Mauch schilderte die Ergebnisse: «Die städtischen Institutionen haben die Rückkehrer:innen und ihre Familien unterstützt. Eine materielle Diskriminierung ist nicht zu erkennen.» Jedoch sei der Tonfall gegenüber den Betroffenen feindselig und missgünstig gewesen. 

«Was bedeutet diese Erinnerung für unsere Zukunft?»

David Garcia Nuñez

Kritik an der Studie kam von der SVP: «Es handelt sich hier um bestellte Ergebnisse», monierte Stefan Urech (SVP). Linke Gemeinderät:innen hätten bereits im Vorstoss gesagt, welches Resultat sie sich wünschten. So würde man nichts Neues lernen. Daraufhin widersprechen mehrere Ratsmitglieder und wiesen darauf hin, dass viele Fragen im Bericht unbeantwortet bleiben.

Das Fehlen von Quellen sei schade, aber nicht verwunderlich, so David Garcia Nuñez. Doch hätten die Historiker:innen eine gute Ausgangslage, um mehr herauszufinden. Klar sei bereits jetzt: «Die Spanienkämpfer:innen mussten hier mit Stigmatisierung leben. Was bedeutet diese Erinnerung für unsere Zukunft?», fragte Nuñez. Und er fügte an: «Was macht der Stadtrat und dieses Parlament heute, um diskriminierende Strukturen zu durchbrechen?»

Ann-Catherine Nabholz (GLP) betonte, dass es nun an der Wissenschaft liege, die Geschichte weiter aufzuarbeiten. Zum Schluss der Debatte nahm der Gemeinderat den Bericht an und schrieb das Postulat ab. 

Damit die Behördentexte alle verstehen

Erstaunlich wenig Diskussion löste hingegen das Postulat aus, das die Verbesserung der Barrierefreiheit und Verständlichkeit in der Kommunikation städtischer Behörden forderte.

Mit dem Postulat greifen die Unterzeichnenden Tamara Bosshardt (SP), Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne) und Leah Heuri (SP) ein Anliegen auf, dass die SVP im Rahmen der Volksinitiative «Tschüss Genderstern» formulierte: die Forderung nach einer möglichst verständlichen Sprache bei der Kommunikation der Stadt. 

Dies allerdings mit einem Augenzwinkern, denn im Postulat schreiben sie: «Inklusion und Verständlichkeit müssen nicht gegeneinander ausgespielt werden.» Eine inklusive Sprache sei das Fundament, um politische und gesellschaftliche Partizipation zu ermöglichen, sagte Leah Heuri (SP). 

Konkret sollen zum Beispiel behördliche Texte, die sich an die Bevölkerung richten, künftig eine leicht verständliche Zusammenfassung erhalten. Zudem soll es Erklärvideos zu städtischen Abstimmungen geben.

Die Idee fand im Rat breite Zustimmung – sogar bei der FDP. Nur die SVP lehnte das Postulat als einzige Partei ab. Mit einer klaren Mehrheit wurde es an den Stadtrat überwiesen.

Weitere Themen der Woche:

  • Standortmarketing soll weiterhin gefördert werden: Die Stiftung «Greater Zurich Area» (GZA) betreibt Standortmarketing für den Wirtschaftsraum Zürich. Heisst: Sie arbeitet daraufhin, dass sich internationale Firmen oder Start-ups in Zürich ansiedeln. Die Stadt förderte die Stiftung bisher und wird es nun auch weiterhin tun: Am Mittwochabend beschloss der Gemeinderat, die GZA bis 2027 mit einem jährlichen Beitrag von 250'000 Franken zu fördern. Dabei lobte Corine Mauch die Stiftung, da sie sich künftig noch stärker auf die Ansiedlung von nachhaltig agierenden Firmen fokussieren werde. Kritik kam hingegen von den Grünen und der AL: Zürich solle nicht noch mehr lukrative Firmen anlocken. Dadurch würden noch mehr gutverdienende Angestellte in die Stadt ziehen, die dann in überteuerten Appartements lebten und die Wohnungskrise weiter verschärfen würden.
  • Mehr Unterstützung für das Cabaret Voltaire: Der Geburtsort des Dadaismus, das Cabaret Voltaire im Zürcher Niederdorf, wird für die Jahre 2025 bis 2028 mit einem jährlichen Beitrag von 419'800 Franken gefördert. Dies entspricht einer Steigerung von 100'000 Franken. Die Erhöhung wird mit unbeständigen Einnahmen aus Drittmitteln und schwankenden Bareinnahmen begründet. Zudem soll das zusätzliche Geld dazu beitragen, dass das Cabaret weiterhin gute Arbeitsbedingungen bieten kann und am Nachmittag geöffnet ist.
  • Mehr Raum für die Schulen Riedenhalden und Pfingstweid: Da der Raum für die Schulen in Zürich immer knapper wird, hat der Gemeinderat die Förderung von zwei Projekten beschlossen, die Abhilfe schaffen sollten. Das Schulhaus Riedenhalden in Affoltern soll für 7,6 Millionen Franken umgebaut werden. Und auch für die Schule Pfingstweid wurde Geld gesprochen: Bis die Schule Hardturm bezogen werden könne, brauche es in Zürich-West ab 2025 zusätzlicher Schulraum, heisst es in der Weisung. Dafür wurde nun an der Pfingstweidstrasse 60 den Einbau von Schulräumen entschieden, wofür ein Budget von 5,5 Millionen Franken abgesegnet wurde. 
  • Kirche Wipkingen soll ab 2026 von Schulkindern genutzt werden können: Von 2018 bis zu diesem Sommer wurde die Reformierte Kirche Wipkingen von der Klimajugend zwischengenutzt. Künftig sind die Räumlichkeiten für die Verpflegung und Betreuung der Kinder der Schule Waidhalde vorgesehen. Dafür soll ein Mehrzwecksaal, eine Bibliothek und Betreuungsräume für rund 10 Millionen Franken eingebaut werden. Dieses Geld sprach der Gemeinderat am Mittwoch. Laut Maya Kägi Götz (SP) sei der Einzug auf Sommer 2026 vorgesehen.
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