Achtung, Gefahr durch Kinder!
Viele Schulwege sind gefährlich, weshalb immer mehr Kinder mit dem Auto gefahren werden. Dass es auch anders geht, zeigen die Vorbilder aus Paris, Mailand und Holland.
So zuverlässig wie die vorzeitige Dekoration an Weihnachten bestücken die Warnschilder zu Schulbeginn die Zürcher Strassen. In den vergangenen Jahren waren da Slogans wie «Achtung Kinder», «Achtung Schulweg» oder «Stoppen für Kinder» zu lesen. Und alle Jahre wieder frage ich mich, wovor hier gewarnt wird. Muss ich Angst haben? Sind Kinder eine Bedrohung für das Leben in der Stadt?
Offensichtlich lässt sich da schnell Entwarnung geben. In der Recherche zu dieser Kolumne konnte ich keinen Fall finden, wo ein:e Verkehrsteilnehmer:in durch ein Kind verletzt wurde. Was viel eher der Fall ist: Kinder werden auf dem Schulweg verletzt oder gar getötet. Diese Kampagnen zeigten in der Vergangenheit primär auf, wie verdreht unser Bezug zur Mobilität geworden ist.
Statt wirkungsvolle Massnahmen auf der Strasse umzusetzen, begnügen wir uns vielerorts damit, zu Schulbeginn ein paar Schilder aufzustellen. Diese Plakate sind zwar nett, sie lösen aber das Grundproblem nicht: Viele Schulwege sind zu gefährlich. Die Konsequenz: Eltern lassen ihre Kinder nicht mehr zu Fuss zur Schule gehen. Kinder verlieren so eine wichtige Möglichkeit zur selbstbestimmten Entwicklung.
Deshalb werden in der ganzen Schweiz immer mehr Kinder mit dem Auto zur Schule gefahren. Sogenannte Elterntaxis verschärfen gerade im Umfeld von Schulen das Verkehrsproblem weiter. So werden Kinder teilweise bis ins Oberstufenalter von den Eltern zur Schule gefahren. Zudem schränken rund ⅓ der Mittel- und Unterstufen im Kanton Zürich die Velonutzung auf dem Schulweg ein – meist aus der Annahme, dass der Schulweg mit dem Velo für viele Kinder zu gefährlich wäre.
In der Schweiz stecken die Bemühungen für sichere Schulwege noch in den Kinderschuhen. Einzelne Fachleute sind leider immer noch der veralteten Ansicht, dass die Aufhebung von Fussgängerstreifen die Schulwegsicherheit verbessern solle. Gewisse Gemeinden gehen gegen Elterntaxis vor, indem sie Halteverbote vor Schulen erlassen.
Dass es auch anders ginge, zeigen Beispiele aus dem Ausland. So wurden in Paris bereits über 200 Strassen um Schulen für den Autoverkehr gesperrt. Die Strassen werden dabei laufend umgestaltet in einladende Fussgängerzonen. Mit Pollern und Barrieren wird die Zufahrt für den Autoverkehr reguliert. Der Charakter der Strassen vor den Schulen hat sich so markant verändert.
In Mailand haben rund 17 Schulen Ideen eingereicht, wie der öffentliche Raum bei ihnen verbessert werden könnte. Unter dem Namen «Piazza Aperte» wurde das Projekt in die ganze Welt getragen. Die Stadt hat dabei neue Plätze geschaffen, wo vorher Verkehrsräume waren. Ein Mehrwert nicht nur für die Schulen, sondern für alle Anwohnenden.
Ein etwas einfacheres Konzept verfolgt die Niederlande mit ihren «Schoolstraten». Dieses wäre relativ einfach umzusetzen und wird inzwischen von vielen Ländern kopiert. Dabei werden die Strassen um die Schulen jeweils morgens und abends temporär gesperrt, damit Menschen zu Fuss oder mit dem Velo sicherer unterwegs sein können.
Statt reaktiv auf Unfälle zu reagieren, sollten wir unsere Prioritäten bei der Gestaltung sicherer Schulwege neu setzen. Statt jedes Jahr mit den gleichen Schildern vor den Schulen aufzutauchen, sollten wir den Mut aufbringen, die Straßen rund um Schulen so zu gestalten, dass sie für Kinder sicher und einladend sind. Bis das wirklich geschieht, werden aber die Schulweg-Kampagnen wohl noch viele Jahre daran erinnern, dass die grundlegenden Bedürfnisse von Kindern im Strassenraum nicht erfüllt werden.
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