E-Trottis: Der falsche Sündenbock auf zwei Rädern

Sie sind überall: E-Trottinette. Auch in Zürich haben sie sich in den letzten Jahren rasend schnell ausgebreitet und gelten unter Fussgänger:innen als Feinbild Nummer eins. Dabei sind die Trottis laut unserem Kolumnisten Thomas Hug gar nicht das Problem. Doch für den echten Elefanten im Raum seien wir blind geworden.

E-Trottis
Sind E-Trottis wirklich das grösste Problem für Fussgänger:innen? (Bild: Thomas Hug)

Vor einem Monat habe ich an dieser Stelle über das Bedürfnis von Fussgänger:innen nach einer ästhetischen Stadt geschrieben. Über verschiedene Wege haben mich Feedbacks dazu erreicht. Was immer wieder genannt wurde: Ästhetisch oder nicht, das grösste Problem für Menschen, die zu Fuss in einer Stadt unterwegs sind, seien E-Trottinette und Velos auf dem Trottoir. Fair point. Aber: Ihr irrt. Deshalb möchte ich hier dem städtischen Volksfrust widersprechen.

Wo Gehwege schmal werden, ist das kaum je auf zu breite Velostreifen zurückzuführen. Wo Velos auf dem Trottoir fahren, liegt es selten an rücksichtslosen Velofahrenden. Und auch scheinbar egoistisch abgestellte E-Trottis zeugen primär von einer Verkehrskultur, die den Individualismus stärker zelebriert als die gegenseitige Rücksichtnahme.

Für den echten Elefanten im Raum sind wir blind geworden. Wir sehen die Probleme nicht mehr da, wo sie effektiv gelöst werden sollten – das Phänomen ist auch bekannt unter dem Begriff «Carblindness». Das schmale Trottoir entsteht, weil überdimensionierte Blechkisten zu wenig flexibel sind, um an engen Stellen auf Raum zu verzichten. Die Person, die mit dem E-Trotti auf dem Trottoir fährt, tut dies nicht mutwillig – sondern weil es auf der Strasse mit den Autos schlicht zu gefährlich wäre. Die Verkehrskultur durch die Windschutzscheibe lebt vom Hupen, nicht von zwischenmenschlicher Kommunikation.

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Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. (Illustration: Piero Masztalerz Cartoons)

Bei der SRF Rundschau ist indessen bereits die Rede von der «Reportage aus der Trottoir-Gefahrenzone»– man wähnt sich im Kriegsgebiet mitten in Zürich. Wer aber effektiv für Todesfälle im Strassenverkehr sorgt, dazu verliert die Sendung kein Wort.Es passt nicht ins Bild des bösen E-Trottis: Auf Zürichs Strassen sterben Fussgänger:innen vor allem durch Auto und Tram: 2022 waren es sieben Menschen, die zu Fuss unterwegs waren und ihr Leben lassen mussten.

Und dann gibt es da auch diesen Artikel im SonntagsBlick über die «Plage auf zwei Rädern», wo sich die Beteiligten über ein E-Trotti aufregen, während direkt daneben ein Lieferwagen auf dem Trottoir parkiert ist. Lieber SonntagsBlick - wie würdet ihr reagieren, wenn jemand mal über die «Plage auf vier Rädern» schreiben würde? Ein Shitstorm wäre nicht unwahrscheinlich.

«Alle Menschen haben das Recht, sich auf der Strasse wohl und sicher zu fühlen. Doch das geht nur, wenn der Strassenraum neu verteilt wird.»

Thomas Hug

Die «Plage auf zwei Rädern» lenkt vom wahren Problem ab – und viele fallen auf diese Finte rein. Denn der Vorteil der geteilten E-Trottis liegt auf der Hand: Sie können reguliert werden. Städte erlassen Fahrverbotszonen, wo die E-Trottis automatisch ausgebremst werden. Sie können Parkverbotszonen erlassen, wie zum Beispiel in Schaffhausen, wo E-Trottis neuerdings nur noch an ausgewiesenen Stationen zurückgegeben werden können. Alle diese Elemente können nur durchgesetzt werden, weil diese Unternehmen auf eine Bewilligung der Städte angewiesen sind. So sind die E-Trottis auch ein Experimentierfeld für Regeln, wie sie in Zukunft auch für Autos durchgesetzt werden sollten.

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In Schaffhausen ist das Abstellen von E-Trottis nur in designierten Zonen möglich. (Bild: urbanista.ch)

Man stelle sich vor: Autos, die im Fahrverbot einfach stehen bleiben und keinen Wank mehr tun. Die im Parkverbot nicht abgeschlossen werden können. Oder die gar nicht erst schneller als das Tempolimit fahren können. Ich höre schon die Worte der Autolobby im Hinterkopf: «Freiheitsberaubung!» Für geteilte E-Trottis gehört dies zur Normalität. Noch lernen wir, das Optimum aus den neuen Möglichkeiten herauszuholen. Und da geht noch mehr, um uns allen Ärger zu ersparen. 

Alle Menschen haben das Recht, sich auf der Strasse wohl und sicher zu fühlen. Doch das geht nur, wenn der Strassenraum bedingungslos neu verteilt wird. Genau deshalb darf in der ganzen Debatte das eigentliche Problem nicht vergessen gehen: Eine meist vierrädrige Blechkarrosse, die nur noch von einer Minderheit der Stadtbevölkerung regelmässig genutzt wird, aber eine Mehrheit des Strassenraums besetzt hält.

Thomas Hug

Thomas Hug ist Verkehrsplaner und Stadtentwickler bei urbanista.ch und engagiert sich für zukunftsfähige Lebensräume – stets auf der Suche nach dem richtigen Gleichgewicht von Arbeit, Aktivismus und Politik. Als Experte für Verkehrswende und nachhaltige, inklusive Mobilität versucht Thomas eine menschenzentrierte Sicht auf die Mobilität zu fördern. Er ist eher Generalist mit dem Blick auf das Ganze wie Spezialist mit dem Auge fürs Detail.

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