Tunnel-Idee zwischen Kunsthaus und Stadelhofen wird weiterverfolgt

Es wäre ein gigantisches Projekt: ein Tunnel für Fussgänger:innen vom Stadelhofen zum Kunsthaus. Ob dieser wirklich notwendig ist, darüber ist sich der Gemeinderat uneinig – die Idee soll jedoch weiter geprüft werden.

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Der Tunnel wäre rund 400 Meter lang und könnte beim Kiosk auf dem Heimplatz enden. (Foto: Unsplash/Chris Nguyen)

Ein Begriff fiel diesen Mittwoch im Gemeinderat besonders häufig: visionär.

Thema war der geplante Umbau des Bahnhof Stadelhofens und die Idee, im Zuge dessen einen 400 Meter langen Tunnel für Fussgänger:innen vom Stadelhofen zum Heimplatz zu bauen. Man stelle sich also vor, beim Kiosk vor dem Kunsthaus auf eine Rolltreppe zu steigen und dann durch dickes Gestein zum Stadelhofen runterzurollen.

Ist das wirklich visionär oder gehört die Idee, Passant:innen in den Untergrund zu schicken, nicht bereits der Vergangenheit an?  

«Uns hat das bedeutend höhere Personenaufkommen überzeugt.»

Severin Meier (SP)

In der zuständigen Sachkommission seien anfangs fast alle skeptisch gewesen, ob das Projekt überhaupt notwendig sei, sagte Severin Meier (SP). «Wir haben uns gefragt: Was ist mit den grauen Emissionen?» Doch der anfängliche Widerstand sei letztlich geschwunden. Das überzeugende Argument: das voraussichtlich bedeutend höhere Personenaufkommen.

Bereits heute verkehren am Bahnhof Stadelhofen 770 Züge pro Tag, 80'000 Fahrgäst:innen nutzen ihn täglich. Damit ist er der drittfrequentierteste Bahnhof in Zürich und gehört zu den zehn am stärksten frequentierten Bahnhöfen in der Schweiz. Mit dem Bau des vierten Gleises, das die SBB bis 2037 umsetzen will, soll die Zahl der Fahrgäst:innen in den nächsten 20 Jahren um 50 Prozent steigen. Viele dieser Menschen wollen weiter in Richtung Hochschulgebiet, das derzeit ausgebaut wird. Ziel des Tunnels wäre es, den öffentlichen Verkehr am Bellevue zu entlasten.

«Es braucht mutige Infrastruktur-Investitionen.»

Carla Reinhard (GLP)

Am Mittwochabend waren sich die Lokal-Politiker:innen einig, dass es hier eine neue Lösung braucht. Doch bei der Frage der Ausgestaltung spalteten sich die Gemüter. 

Carla Reinhard (GLP) lobte die Tunnel-Idee als «mutige Infrastruktur-Investition». Vorgängig wurden mehrere Varianten geprüft, mit dem Resultat, dass der unterirdische Tunnel die besten Lösung sei. Andreas Egli (FDP) bezeichnete die Idee als «Zahnarztvorlage», sie koste viel und sei schmerzhaft, aber dennoch notwendig. Nur die SVP lehnte das Projekt vehement ab. Derek Richter (SVP) fand es viel zu teuer und nur eine halbe Lösung, da der Ausgang beim Heimplatz nur auf halber Strecke zwischen Bellevue und Hochschulgebiet liege.  

Stadelhofen Neu
Das vierte Gleis am Stadelhofen soll 2037 fertiggestellt werden und so aussehen. (Visualisierung: Giuliani Hönger Architekten)

Von linker Seite kam vor allem die Kritik, dass eine oberirdische Variante ökologischer wäre. Zudem könnte ein 400 Meter langer Tunnel auch zu einem «Angst-Raum» werden, besonders für Frauen, so Roland Hohmann (Grüne). Das Tiefbauamt soll nun oberirdische Alternativen noch eingehender prüfen. Dafür erhöhte eine Mehrheit den Kredit um 300’000 Franken. Zusätzlich wurde ein Postulat von Hohmann und seinem Parteikollegen Markus Knauss überwiesen. Sie fordern vom Stadtrat einen Bericht, der aufzeigen soll, inwiefern der potenzielle Bau des Tunnels mit dem Netto-Null-Ziel in Einklang gebracht werden könnte. 

Für einen endgültigen Entscheid, ob und wie das Projekt umgesetzt werden soll, war es am Mittwochabend aber zu früh. Zunächst ging es um einen Vorkredit von 11,6 Millionen Franken, der – mit Ausnahme der SVP und Teilen der Grünen – von allen Parteien angenommen wurde. Das bedeutet: Das Projekt wird vorerst weiterverfolgt, um eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu schaffen. In einem Jahr will der Rat das Thema erneut diskutieren. Das letzte Wort über das gigantische 100-Millionen-Franken-Projekt wird voraussichtlich 2031 die Zürcher Stimmbevölkerung haben.

Weitere Themen der Woche: 

  • Stadtrat muss Übergangslösungen für das Tram Affoltern prüfen: Die neue Tramlinie in Affoltern hätte bereits vor zwei Jahren in Betrieb gehen sollen. Da der Kanton das Projekt jedoch weiterhin auf unbestimmte Zeit zurückgestellt hat, forderten die Fraktionen von SP, Grünen, GLP und Die Mitte/EVP nun in einem dringlichen Postulat eine Übergangslösung. Es gehe darum, proaktiv der zunehmenden Belastung entgegenzuwirken, erklärte Anjushka Früh (SP). «Man könnte die Linie 32 in kürzeren Intervallen fahren lassen oder die Strecke Holzerhurd-Bucheggplatz wieder aufnehmen.» Michael Schmid (AL) kritisierte das Vorgehen: Statt über den Gemeinderat solle man sich direkt bei der regionalen Verkehrskonferenz einbringen. Dennoch war eine grosse Mehrheit des Rats bereit, das Postulat an den Stadtrat zu überweisen. Auch der zuständige FDP-Stadtrat Michael Baumer nahm das Anliegen dankend entgegen und fügte hinzu: «Es ist für mich unverständlich, dass der Kanton das Tram um zwei Jahre verzögert hat. Jede Verzögerung verteuert das Projekt.» Der Kanton sei für die kantonale Infrastruktur verantwortlich. Dass die Stadt bei der neuen Priorisierung nicht konsultiert wurde, sei sehr stossend, so Baumer. 

  • Weitere Millionen für Bahnhofquai-Haltestelle: Für die Erweiterung der Wartehallen bei der Haltestelle Bahnhofquai bewilligte der Gemeinderat am Mittwoch einmalige Ausgaben von 3,6 Millionen Franken. Geplant sind grössere Dächer, Solarzellen und Sitzbänke. Bereits im April hatte der Stadtrat rund 25 Millionen Franken für die Erneuerung der Tramgleise zwischen Bahnhofshalle und Limmat sowie den Umbau der Haltestelle genehmigt. Das übergeordnete Ziel des Projekts ist es, die Haltestelle barrierefrei zu gestalten.

  • Soziale Angebote im Familienbereich werden weiterhin unterstützt: Die SVP nutzte die Abstimmung über die weitere Finanzierung sozialer Angebote für Familien, um sich – wie schon öfter – über die hohen Staatsausgaben zu beklagen. Dies sorgte im Saal für viel Kopfschütteln und Ärger. Alle anderen Parteien waren dafür, dass die Beiträge an die GFZ Familienzentrum Katzenbach, Verein ELCH für Eltere und Chind und Verein Zentralstelle für Ehe- und Familienberatung Zürich weiterhin fliessen. Entsprechend fiel auch das Abstimmungsergebnis aus.

  • SVP und AL fordern städtisches Engagement beim alten Kinderspital: Das Kispi hat nun in der Lengg ein neues Zuhause gefunden. Was am alten Standort an der Steinwiesenstrasse geschehen soll, ist noch unklar – auch ein Neubau ist im Gespräch. Eigentlich liegt dies in der Zuständigkeit des Kantons, doch Reto Brüesch (SVP) und Karen Hug (AL) haben ein Postulat eingereicht, das den Stadtrat auffordert, sich für den Erhalt der Gebäude einzusetzen. Konkret soll geprüft werden, ob dort beispielsweise Alterswohnungen untergebracht werden können.

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