Podium zu Integration: «Redaktionen widerspiegeln rassistische Gesellschaft»

Rund ein Drittel der Personen in Zürich haben keinen Schweizer Pass. Weder in der Berichterstattung noch in den Redaktionen sind diese Menschen mit Migrationshintergrund entsprechend vertreten. Warum? Und wie kann sich das ändern? Diesen Fragen widmete sich das letzte Podiumsgespräch unseres Fokusmonats Journalismus.

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Albina Muhtari, Christoph Keller, Heinz Bonfadelli, Edna Becher und Rahel Bains auf dem Podium im Bogen D. (Bild: Sofie David)

Am Dienstagabend führte Tsüri-Redaktionsleiterin Rahel Bains mit vier Podiumsgästen ein Gespräch zum Thema Journalismus und Integration. Wieso sind Menschen mit Migrationshintergrund in den Redaktionen und in der Berichterstattung untervertreten? Und wie können wir das ändern? Im Bogen D diskutierte Bains mit Albina Muhtari, Gründerin von Baba News und Mitglied der Neuen Schweizer Medienmacher:innen (NCHM*), Radiojournalistin Edna Becher von Radio LoRa, Christoph Keller, langjähriger Journalist und ebenfalls Mitglied der NCHM* und Medien- und Kommunikationswissenschaftler Heinz Bonfadelli. 

Das Podium widmete sich zuerst Baba News und Radio LoRa – zwei Medienformate, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, vom Framing, das Menschen mit Migrationshintergrund oft als Täter:innen oder Opfer darstellt, wegzukommen. Mit «Framing» ist der meist bewusst konstruierte Rahmen gemeint, in welchem Medien über Menschen mit Migrationshintergrund berichten. Beide Formate setzen dabei auf eine Berichterstattung aus der Migrationscommunity heraus, anstatt über sie zu berichten. «Bei uns sind migrantische Personen Subjekt und nicht Objekt. Sie erzählen aus ihrer Perspektive», berichtete Becher von ihrer Arbeit beim alternativen Lokalsender.

Strukturelles Problem

Klar ist: Längst nicht alle Schweizer Medien verfolgen diese Strategie. «Wir haben im Journalismus ein strukturelles Problem», hielt Keller mit Blick auf die problematische Untervertretung von Menschen mit Migrationshintergrund in der Berichterstattung fest. Einerseits aufgrund der Besetzung der Redaktionen, andererseits wegen des Mindsets, das hinter dem Framing von Menschen mit Migrationshintergrund stecke. 

Auch Bonfadelli geht von einem strukturellen Problem aus. Medien würden sich oft an Expert:innen aus Politik und Wirtschaft mit gesellschaftlich hohem Status orientieren, die dann über statt mit Menschen mit Migrationshintergrund sprechen: «Unsere Inhaltsanalysen haben gezeigt, dass Leute mit Migrationshintergrund in den Medien wenig zu Wort kommen.»

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Heinz Bonfadelli sieht die Verantwortung für eine diversere Berichtersattung auch beim Bundesamt für Kommunikation. (Bild: Sofie David)

Expert:innen scheinen ein Knackpunkt in der Diskussion zu sein. Denn, da waren sich die Podiumsteilnehmer:innen einig, sobald ein:e Expert:in einen Migrationshintergrund aufweist, werde ihm:ihr Befangenheit gegenüber gewissen Themen vorgeworfen. Das sei interessant, meinte Keller, denn wenn «ein ganz normaler Schweizer Mann» über ein Thema berichte, frage ja auch niemand, ob dieser aufgrund seines Hintergrundes befangen sein könnte. Edna Becher stimmte zu und fügte an: «Dass jemand frei von Befangenheit ist, ist für mich ein liberaler Mythos.»

Wo liegen die Wurzeln?

Dass die Schweizer Medien in Bezug auf Diversität ein Problem haben, wurde im Podiumsgespräch schnell offensichtlich. Doch: «Wo liegt das Problem?», fragte Bains in die Runde. Bonfadelli verwies auf die älteren Männer, welche die Redaktionen nach wie vor dominieren: «Sie wählen A, die Themen und B, die Perspektiven auf diese Themen.» Keller sah es ähnlich: «Die Diskussion, die wir führen, ist eine Machtfrage, die sich grundsätzlich und strukturell stellt. Wollen wir Macht abgeben und demokratisch mit denen teilen, die Teil unserer Gesellschaft sind?» Falls ja, müsse man dafür kämpfen – jeden Tag: «Die Bastionen geben ihre Macht nicht freiwillig ab.»

«Wenn eine Kultur herrscht, in der man nicht hinterfragen darf, bringen Diversity Boards nichts.»

Albina Muhtari, Baba News

Muhtari verortete das Problem in der Zusammensetzung und im hierarchischen Denken der Redaktionen: «Wenn eine Kultur herrscht, in der man nicht hinterfragen darf, bringen Diversity Boards und dergleichen nichts.» Nicht vergessen dürfe man, dass Redaktionen nicht in einem Vakuum schweben, fügte Becher an: «Sie widerspiegeln unsere rassistische Gesellschaft.» Man müsse deshalb bei den Ursachen beginnen. Und sie nannte gleich ein Beispiel: «Wer kann sich die journalistische Ausbildung mit schlecht bezahlten Praktika leisten?»

Was tun?

Die Ideen der Podiumsteilnehmer:innen, wie man auf den Missstand im Journalismus reagieren kann, waren vielfältig. Keller zeigte sich überzeugt davon, dass innerhalb der Redaktionen eine Interventionskultur nötig sei: «Gremien, die sich um Diversity in einem Unternehmen kümmern sollen, helfen nur, wenn sie eingreifen dürfen, wenn sie mit dem roten Stift kommen und sagen: So geht es nicht.» 

Bonfadelli zog zudem den Staat in die Verantwortung: «Es wäre die Aufgabe des Bundesamtes für Kommunikation entsprechende Richtlinien zu produzieren.» Zudem sieht er auch beim Publikum eine Verantwortung, das den Medien vermehrt Feedback geben solle. 

Becher und Muhtari, die mit ihren Medienformaten schon einen Schritt weiter sind als viele anderen Schweizer Redaktionen, appellierten zum Schluss des Podiums an die Journalist:innen. Man müsse Diskurse, die stattfinden, hinterfragen, andere Perspektiven anschauen und Zusammenhänge aufschlüssen, so Becher. Und Muhtari erinnerte an die Grundsätze des Journalismus: «Journalist:innen sollen sich an den Grundwerten des Berufs orientieren; dass man etwas herausfinden möchte, bereit ist zuzuhören, Meinungen zulässt und nicht schon vorgefertigte Geschichten im Kopf hat.» 

Die ganze Veranstaltung gibt es hier als Video.

Fokus Journalismus

Der Journalismus kriselt, wir reden darüber! Während des Monats April setzen wir uns intensiv mit dem Journalismus auseinander. Dabei beleuchten wir Themen wie die Gleichstellung im Journalismus, die Rolle von Diversität im Journalismus bei der Integration (und inwiefern es sie überhaupt gibt) und die Grenzen zwischen Klimajournalismus und Aktivismus. Im Rahmen des Fokusmonats finden eine Pitch-Night sowie drei thematische Podiumsveranstaltungen statt. Alle Infos findest du auf tsri.ch/journalismus

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