Parkplatz-Mania in Zürich: Wenn Parkraum den Wohnraum überflügelt

Während es in Zürich an Wohnraum mangelt, stehen viele Parkplätze leer. Damit schneide sich die Stadt ins eigene Fleisch, schreibt unser Kolumnist Thomas Hug. Denn ein Blick ins Ausland zeige: Wo Parkplätze abgebaut werden, fahren auch weniger Autos.

Wohnungen, Parkplätze
Aktuell gibt es in Zürich mehr Parkplätze zu mieten als Wohnungen. (Bild: Immoscout24/Thomas Hug)

Wer in Zürich auf Wohnungssuche ist, merkt schnell: Wohnungsinserate sind zwar rar, dafür werden allerhand Parkplätze angeboten. Der Eindruck trügt nicht – eine kurze Stichprobe auf einer einschlägigen Vermarktungsplattform zeigt: Aktuell sind in der Stadt mehr Parkplätze als Wohnungen zur Miete ausgeschrieben. Setzen die Immobilienfirmen also die Prioritäten falsch?

So einfach ist die Sache wohl nicht. Wer in Zürich ein Haus bauen will, muss auch Parkplätze bauen. Viele Parkplätze. Im Vergleich zu anderen Städten gehört die Stadt Zürich bei der Parkplatzpflicht für Wohnraum zu den konservativen Gemeinden. So haben Basel und Luzern diese Erstellungspflicht für Wohnraum an zentralen Lagen aufgehoben – sie definieren nur noch ein Maximum. Die Stadt Basel, die diese Regel schon länger kennt, profitiert davon: Es besitzen weniger Leute ein Auto als in Zürich und der Auto-Anteil am Gesamtverkehr ist einer der tiefsten im ganzen Land.

Das ist kein Zufall: Die Verfügbarkeit eines Parkplatzes ist einer der Haupttreiber für den Autobesitz. In San Francisco haben Forschende herausgefunden, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Pflichtbau von Parkplätzen und dem Autobesitz gibt. Dabei konnten sie nachweisen, dass der tiefere Autobesitz nicht nur daraus resultierte, dass Leute mit einem motorisierten Fahrzeug nur Wohnungen mit Parkplätzen mieten, sondern dass sie an gut erschlossenen Lagen auf ihr Auto verzichten, wenn kein Parkplatz zur Verfügung steht. Im Jahr 2018 hat San Francisco die Parkplatzerstellungspflicht abgeschafft.

In Zürich kann derweil sogar an gut erschlossenen Lagen bis zu ein Parkplatz pro Wohnung realisiert werden. Dies zielt völlig an der Lebensrealität der städtischen Bevölkerung vorbei. Die Mehrheit der Haushalte in Zürich verfügt bereits über kein Privatauto mehr. Und nur noch jede:r fünfte Zürcher:in verwendet das Auto als Hauptverkehrsmittel. Und wie viele Parkplätze es in der Stadt effektiv gibt, dazu gibt es nur wilde Schätzungen – erhoben werden die Privatparkplätze nicht.

Die Konsequenz ist nur logisch: Parkplätze stehen massenhaft leer. Hinter vorgehaltener Hand sprechen Vertreter:innen grosser Immobilienverwaltungen von Tausenden Parkplätzen in der Stadt, die sie nicht vermieten können. Die Credit Suisse berichtete 2012 von einem Leerstand in der Stadt Zürich von 48 Prozent (und durchschnittlich 29 Prozent Leerstand an gut erschlossenen Lagen). 

Die aktuelle Regelung dient niemandem ausser grossen Baufirmen, die mit dem Bau übergrosser Tiefgaragen gutes Geld verdienen. Denn die Parkplatzflut findet meist unsichtbar unter der Erde statt. Um in dichten Siedlungen solch grosse Parkplatzmengen realisieren zu können, müssen Areale weitestgehend unterbaut werden. So entstehen traurige Gartenlandschaften, wo kaum mehr ein Baum wächst und das Wasser nicht auf natürliche Weise in das Erdreich versickern kann.

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Unterbaute Flächen bieten oft keine Grundlage für begrünte Stadträume. (Bild: Thomas Hug)

Doch nicht nur der Umwelt schaden zu viele Tiefgaragenparkplätze – sie verteuern auch die Wohnungen unnötigerweise. Die CS empfiehlt daher den Bauherrschaften, die Anzahl Parkplätze möglichst zu minimieren und so «ineffizienten Kapitaleinsatz vorzubeugen und im Gegenzug moderatere Wohnungsmieten anbieten, was im heutigen Marktumfeld einen Wettbewerbsvorteil darstellt». Denn die Parkplätze führen heute zu hohen Mietertragsausfällen. Wenn ein Parkplatz nicht vermietet werden kann, subventionieren die bestehenden Mietverträge einen leeren Parkplatz. Bei Kosten von rund 40’000 Franken pro Tiefgaragenparkplatz kann dies bis zu 10 Prozent der Miete ausmachen.

Will eine Bauherrschaft heute weniger Parkplätze bauen, so muss sie ein Mobilitätskonzept erstellen. Darin werden dann alternative Angebote und Massnahmen festgehalten, damit auch wirklich weniger Leute vom Auto abhängig sind. Solche Konzepte bedeuten aber oft zusätzlichen Aufwand und ein gewisses Mass an Eigeninitiative. Als Standard haben sie sich leider bei Weitem noch nicht durchgesetzt. Der Gemeinderat möchte diese Mobilitätskonzepte vereinfachen – doch schlussendlich bleibt der Zusatzaufwand, den gerade kleinere Bauträger:innen nicht gehen möchten.

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Statt Parkplätzen sollten alternative Mobilitätsformen im Wohnungsbau stärker gefördert werden, findet der Experte. (Bild: Thomas Hug)

Die Parkplatzpolitik der Stadt Zürich legt sich heute also mehrfach selbst ein Ei. Sie zielt an jeglichen klima- und sozialpolitischen Ansprüchen vorbei. Was die NZZ schon vor 15 Jahren als «harzige Bemühungen» bezeichnete, ist auch heute nicht besser. Es wäre angezeigt, die Parkplatzerstellungspflicht deutlich abzuschwächen. Denn jede Tiefgarage, die wir heute zu viel bauen, bringt uns in Zukunft neue Verkehrsprobleme auf die Strasse und in die Stadt.

Thomas Hug

Thomas Hug ist Verkehrsplaner und Stadtentwickler bei urbanista.ch und engagiert sich für zukunftsfähige Lebensräume – stets auf der Suche nach dem richtigen Gleichgewicht von Arbeit, Aktivismus und Politik. Als Experte für Verkehrswende und nachhaltige, inklusive Mobilität versucht Thomas eine menschenzentrierte Sicht auf die Mobilität zu fördern. Er ist eher Generalist mit dem Blick auf das Ganze wie Spezialist mit dem Auge fürs Detail.

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