«Fermentation ist mehr als nur ein Trend»
124 vorgeschlagene Workshops, über 60 freiwillige Helfer*innen, 400 Teilnehmer*innen und 56 durchgeführte Kurse: Das war das Openki-Workshopfestival vom vergangenen Wochenende. Wir waren mit dabei und haben Gemüse fermentiert sowie Blumen-Guerillero Maurice Maggi auf einen Stadtspaziergang begleitet.
In der Küche einer guten Freundin blubbert und gärt es vor sich hin. In ihrem Kühlschrank warten fermentierte Radieschen und Rotkraut in Einmachgläsern darauf, verzehrt zu werden. Auf der Kommode neben dem Kochherd verwandeln Kefirpilze in grossen Gläsern Wasser, Zitronenschnitze und getrocknete Beeren während zwei Tagen in eine natürlich hergestellte kohlensäurehaltige Limonade mit vielen Mineralien und Vitaminen. Sie reichert diese mal mit Rosmarinzweigen und Minzeblättern, mal mit frischen Himbeeren und anderen Früchten an.
Kefirkulturen vermehren sich konstant. Sie sind zum Teilen da, zum Weitergeben. Auch mir drückte meine Freundin eines Tages ein Glas voll glibbriger, weisser Kügelchen, den sogenannten Scoobies, in die Hand. «Viel Spass damit», sagte sie. Hoffnungsvoll trug ich die kleinen Pilze in meine Küche – um nach nicht einmal zwei Wochen das Handtuch zu werfen. Immer wieder vergass ich, die Flüssigkeit rechtzeitig abzugiessen. Ein anderes Mal wartete ich vergeblich auf die Bläschen der Kohlensäure, die sich eigentlich längst hätten bilden sollen.
Fermentieren, also Lebensmittel mit Hilfe von Bakterien vergären beziehungsweise «kontrolliert vergammeln» zu lassen und sie dadurch haltbar und geschmackvoller zu machen – das Kochen ohne Hitze – ist eine Bewegung, die sich nicht nur in der Haute Cuisine durchgesetzt hat. In meiner Nachbarschaft werden Kefir-Kulturen mit der gleichen Selbstverständlichkeit herumgereicht wie zu klein gewordene Kinderkleider.
Das Selberhestellen von Kimchi, Sauerkraut, Kombucha, Sauerteig, Chillisaucen, Tempeh und Kefir-Limonade – ein Rückbesinnen auf alte Traditionen? Eine analoge Antwort auf die fortschreitende Digitalisierung, die viele von uns Tag für Tag zu stundenlangem Sitzen vor dem Bildschirm zwingt und in uns den Wunsch nach Einfachheit weckt? Ein Versuch, wieder einen Bezug zu unseren Lebensmitteln herzustellen sprich selber zu hören, zu sehen und vor allem zu riechen, ob etwas noch geniessbar ist – ohne dafür auf die Angaben eines Herstellers angewiesen zu sein?
99 Prozent der Versuche laufen gut, wenn man sich an die Regeln hält.
Fermentista Maya Minder
«Fermentation ist mehr als nur ein Trend», sagt Maya Minder, während dem sie uns am Openki-Workshop einen rosafarbenen Randen-Kefir-Prosecco-Drink reicht. Die Zürcherin ist Fermentista, Künstlerin und Köchin. «Erforscherin einer unsichtbaren Welt der Mikroben», wie sagt. In ihrem Atelier im Kreis 5 vereint sie ihre zwei Leidenschaften: Kunst und Essen.
Die vergangenen zwei, drei Generationen hätten die älteste Konservierungsmethode der Welt zwar aus ihren Küchen verdrängt, langsam werde das Handwerk aber von vielen – darunter auch Sterne-Köch*innen und Wissenschaftler*innen – wiederentdeckt. Fermentieren sei gesund – da die Bakterien die Lebensmittel quasi vorverdauen und in den Darm begleiten, wo sie weiter verstoffwechseln – und es sei Kultur. «Beim Fermentieren lebst du im ständigen Austausch mit der Umwelt und mit jahrtausend altem Wissen, das geholfen hat, Menschen das ganze Jahr über mit Nährstoffen zu versorgen», sagt Minder und drapiert in Honig eingelegte Preiselbeeren, Reiswaffeln mit einem Sellerie-Karotten-Kimchi obendrauf und eingelegte Blaubeeren mit Chilli auf einem Teller.
Während ich in Gedanken bei meinem gescheiterten ersten Kefir-Versuch bin und den kleinen Scoobies, die derzeit in meinem Kühlschrank verkümmern, sagt Minder: «Es braucht Zeit, bis man richtig reinkommt, aber grundsätzlich ist Fermentieren nicht so schwer. Jeder kann sich das Handwerk aneignen.»
Wichtig sei, den eigenen Sinnen zu vertrauen. Wenn man merke, dass etwas nicht mehr gut ist, dürfe man ruhig auch mal etwas wegschmeissen. «99 Prozent der Versuche laufen gut, wenn man sich an die Regeln hält.» Je mehr man fermentiere, desto sensibler werde die Nase. Minder: «Ein ganz spannender Prozess, der auch zeigt, dass wir viel zu wenig Begriffe haben, um Düfte zu definieren. Tobt euch aus, probiert rum! Und ganz wichtig dabei: Verwendet immer frisches Gemüse und genügend Salz.»
Am Ende des Workshops stehen auf dem grossen Tisch in der Mitte des Ateliers jede Menge vakuumierte, marrokkanische Zitronen, Kimchi- und Sauerkrautgläser sowie abgefüllte Starterkulturen für das Ansetzen von Kombucha (wie der Wasserkefir ein probiotisches Getränk, dessen Starterkultur auch Teepilz genannt wird).
Wer kein Problem damit hat, mit Pilzen und Bakterien zu experimentieren, für den haben wir hier ein Rezept zum Nachmachen:
<div style="background-color:#3dafe8;color:white;font-weight:bold;padding:10px"> Wasserkefir</div> <div style="font-size:18px;padding:10px;background-color:#dddddd"> <strong>1L Wasser (CH-Hahnenwasser eignet sich gut) <br /> 2-3 Zitronenscheiben (gibt Frische) <br /> 1 dünne Scheibe Randen (für die Farbe) <br /> 1 Trockenfrucht (Feige, Datteln, Goji, etc.) (Mineralienspender) <br /> 50g-80g Zucker (für den Geschmack und als Nahrung der Kefirpilze)<br /> </strong><br /> Mindestens 2 EL Wasserkefirknöllchen in ein geeignetes Gefäss (Glas, Keramik) geben. Zucker, Wasser, Zitronen, Randen und nach belieben (Trocken-) Früchte hinzugeben. Zugedeckt bei Zimmertemperatur stehen lassen. Nach zwei bis drei Tagen kann man die Flüssigkeit durch ein Sieb in eine Karaffe oder Bügelflasche giessen, die Knöllchen anschliessend unter kaltem Wasser ausspülen und das ganze im ersten Gefäss mit frischen Zutaten neu ansetzen. Dabei nie mit Metall arbeiten. Tipp: Wenn man mal pausieren möchte, kann man die Knöllchen mit Wasser und 1 TL Zucker in den Kühlschrank stellen. «Er schläft und ruht dann und du kannst beruhigt in die Ferien fahren», so Minder, die die Scoobies als ihre Babys, ihre «kleinen Haustiere» bezeichnet. </a>
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«Die lebendigen Kulturen, die der Wasserkefir in sich trägt, sind gesund für unser Mikrobiom und spenden Frische und Energie. Wasserkefir ist quasi mein Kaffee-Ersatz am Nachmittag», so Minder. Ihr Favorit: Kefir mit frischen Kräutern oder Früchten fermentiert. Mehr Infos unter https://www.sonmas.ch/.
Blumen-Guerillero in Aktion
Während mit Maya Minders Kurs das Openki Workshopfestival, bei dem unter anderem Pilze züchten, die Kunst des Auflegens oder Atmens gelehrt wurde, eröffnet wurde, war der Kurs «Blumen Graffiti» von Maurice Maggi, dem Zürcher «Blumenrebellen» einer der letzten im Programm.
Maggi streift seit 36 Jahren durch Zürich, um in Baumrabatten, Strassenrändern und öffentlichen Kiesplätzen Pflanzen anzusäen. Wer etwa vor dem Supermarkt in einer kleinen Rabatte plötzlich Zucchetti oder Federkohl wachsen sieht, der kann sicher sein, dass es sich beim Urheber wahrscheinlich um Maggi handelt. Sein Credo: «So farbenfroh wie möglich.»
Seine Leidenschaft zur Botanik hat Maggi auf Umwegen entdeckt. Weil es «eine Lehre zum Hippie» nicht gab, begann er 1972 im städtischen Labor Zürich eine Lehre als Chemielaborant. Es folgten Lehrabbruch, viele besetzte Häuser, ein Leben in Brissago und Amsterdam. Schliesslich legte Maggi mit einer Ausbildung als Landschaftsgärnter den Grundstein seiner Laufbahn als Blumen-Guerillero. «Als City Boy entdeckte ich damals die Natur und Pflanzenwelt. Ich war plötzlich nicht mehr der schlaksige, bleiche Kerl, sondern ein wilder, unerschrockener Haudegen.»
Während des Workshopfestivals führt der heute 64-Jährige die Teilnehmer*innen einmal rund ums das Gelände des Maxim Theaters, am Shilquai vorbei und wieder zurück. Für ihn ist klar: «Die Stadt ist zu versiegelt. Dabei bräuchte es nicht viel, um grüne Inseln und Biotope in die Stadt zu bringen. Wir werden künftig immer dichter zusammenleben, da sind solche Grünflächen entscheidend.» Teils sei die Biodiversität in der Stadt auch schon heute grösser als auf dem Land, weil die Böden nicht mit Pestiziden behandelt werden würden. Maggi: «Dies sollte die Stadt endlich begreifen und fördern – das ist mein grosser Kampf.»
Rechtlich befindet er sich mit seinen Aktionen laut eigener Aussage in einem Graubereich: «Ich pflanze im öffentlichen Raum an, wo ich ja auch Vogelfutter streuen dürfte.» Einem Gerichtsprozess wäre er nicht abgeneigt, weil er neugierig sei, ob er bei einer Verurteilung alles, was er angepflanzt hat, wieder ausreissen müsste, sagt er schmunzelnd.
Aufgeben – auch das war schon mal eine Option und zwar als er Ende der 80er-Jahre für vier Jahre nach New York ging – damals ein Hotspot des Guerilla Gardenings. Als er danach wieder nach Zürich zurückkehrte, merkte er, dass er tatsächlich etwas bewirkt sprich das Stadtbild mit seiner Blumenkunst auch vier Jahre später geprägt hat. Für ihn stand sodann fest, dass er seinen «Kampf» weiterführen wird.
«Ich säe am liebsten Ess- oder Heilpflanzen.»
Blumen Guerillero Maurice Maggi
Hier ein paar von Tipps des stadtbekannten Blumen-Guerilleros:
- «Auf jenen Flächen, die zum grössten Teil unberührt bleiben, besteht die grösste Chance, dass etwas wachsen kann», so Maggi und zeigt auf die Fläche unter einer Parkbank.
- «Ich säe am liebsten Ess- oder Heilpflanzen.» Schönkraut, dass er oft antreffe, sei etwa ein gutes Mittel gegen Warzen und Hornhaut.
- «Die ideale Zeit, um auszusäen ist der Spätsommer. Vier Gramm Samen pro Quadratkilometer, ganz fein ausgestreut, reichen. So, und jetzt helft ihr mir, meinen stumpfsinnigen Kampf weiterzuführen», sagt er und ermuntert alle Kursteilnehmer*innen, mit Samen von rund 50 verschiedenen Pflanzensorten wie zum Beispiel Malven-, Fenchel- oder Wiesensalbeisamen einen ungenutzten Kiesplatz am Shilquai zu begrünen.
- «Die Blumen und Pflanzen sollten bis September stehen gelassen und nicht zurückgeschnitten werden. Dies auch, weil Insekten ihre Eier dort ablegen. Wenn ihr einen*eine Gärtner*in der Stadt seht, der*die bereits im Juni Pflanzen zurückschneidet, fragt ihn*sie, ob das wirklich nötig ist.»
- Seine Lieblingsblume: Die Gemeine Wegwarte, die nur am Morgen in einem kräftigen blau blüht. Maggi: «Aber auch die Glockenblume, den Wiesensalbei, das Johanniskraut, Brennesseln und Disteln mag ich sehr.»
- Ein Maggi-Quote zum Schluss: «Die Trottoirs der Stadt Zürich sind durchschnittlich 1,5 Meter breit und haben insgesamt eine Fläche von 4,2 Quadratkilometern. Wenn wir 10 cm zum Begrünen opfern würden, hätten wir bereits eine Fläche Grün gewonnen, die zweimal so gross ist wie die Josefwiese.»
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