Das machen Stadtzürcher Quartiervereine

Sie setzen sich ein für die Bevölkerung, organisieren Veranstaltungen und stehen neu unter verschärfter Beobachtung der Stadt: Was machen eigentlich unsere Quartiervereine?

Martin E. Walder, CC BY-SA 4.0, von Wikimedia Commons
Jeden Dienstag und Samstag organisiert der Quartierverein Wipkingen einen Frischwarenmarkt auf dem Röschibachplatz. (Bild: Martin E. Walder, CC BY-SA 4.0, von Wikimedia Commons)

Sie haben den Auftrag, die Quartiere zu beleben, den Austausch innerhalb der Nachbarschaft zu fördern: Quartiervereine (QV) sollen das Scharnier zwischen der Stadt und der Bevölkerung sein. Die Stadt anerkennt sie als Vertretung der Quartierbevölkerung und unterstützt sie finanziell mit insgesamt knapp einer halben Million Franken pro Jahr.

Anfang Juli hat der Gemeinderat den Auftrag angepasst – und schaut den Vereinen nun genauer auf die Finger. Neu gibt es Subventionsverträge für die einzelnen Vereine und im Umgang mit Bargeld und Bankkarten strengere Regeln. Hintergrund waren Fälle von Veruntreuungen bei drei Quartiervereinen (mehr dazu).

In den letzten Jahren, besonders auch in den vergangenen Monaten, wurde viel über Quartiervereine gesprochen. Doch was machen die Organisationen eigentlich genau?

Tsüri.ch hat die zweite grosse Umfrage unter den Quartiervereinen lanciert (zur Umfrage von 2019). Von den 25 haben 13 Vereine die Umfrage teilweise oder komplett ausgefüllt.

Die Umfrage zeigt: Quartierverein ist nicht gleich Quartierverein.

Wie viele öffentliche Anlässe organisiert der QV pro Jahr?

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* Die Angaben beruhen auf den Mittelwerten, wenn ein Verein eine Spannbreite angegeben hat.

Die städtischen Quartiere werden unterschiedlich intensiv von ihren Vereinen animiert. Obenaus schwingt Wipkingen, wo der Quartierverein neben anderen Veranstaltungen jede Woche zwei Frischwarenmärkte organisiert.

Auch innerhalb des Jahres schaut es unterschiedlich aus. Der Quartierverein Seebach beispielsweise gibt an, dass sie während des Jahres rund zehn Veranstaltungen organisieren, in der Weihnachtszeit aber jeden Tag ein Adventsfenster bespielen.

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Wie schaut das Angebot der Quartiervereine aus?

Neben den am häufigsten genannten Anlässen wie Quartierfesten, Räbeliechtli-Umzügen oder Vernetzungsanlässen gibt es je nach Quartier auch Besonderheiten.

In Wipkingen werden bei Bedarf Runde Tische organisiert, beispielsweise zu den Zwischennutzungen Parki und Burrischopf, oder der Besetzung in der alten Post.

Oerlikon und Höngg waren Mitorganisatoren des Wettlaufs «Zürihegel», und der QV Wiedikon hat eine Tramtaufe ausgerichtet.

In der Umfrage konnten die QV angeben, welches der bestbesuchte Event ist, den sie selbst organisieren. Hier die Antworten:

  1. QV Hottingen: Quartierfest
  2. QV Enge: Neuzuzüger-Anlass
  3. QV Unterstrass: Bundesfeier
  4. QV Riesbach: Seefeldfest
  5. QV Seebach: Leutschenparkfest alle zwei Jahre, danach Bundesfeier
  6. QV Wiedikon: Neuzuzüger-Anlass
  7. QV Höngg: Räbeliechtlianlass oder alle zwei Jahre das Quartierfest
  8. QV Affoltern: Unterdorffest
  9. QV Oerlikon: Räbeliechtlianlass (ca. 500 Besucher:innen)
  10. QV Oberstrass: Oberstrass Määrt
  11. QV Hirslanden: HegiFäscht
  12. QV Wipkingen les bains: Frischwarenmarkt
  13. QV Wollishofen: Weihnachtsmarkt (2000 Besucher:innen)

Wie funktioniert die Beteiligung der Bürger:innen?

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Quartiervereine haben die Aufgabe, die Anliegen der Bürger:innen zu vertreten. Dazu gehört es auch, Inputs der Mitglieder und der Bevölkerung aufzunehmen und allenfalls in den politischen Prozess zu bringen.

Am meisten scheint dies via direkter Ansprache bei Anlässen zu geschehen, am zweitmeisten via E-Mail.

Drei Quartiervereine schreiben auch, dass sie sich mehr Beteiligung wünschten, diese jedoch «schleppend» laufe und im Rahmen von Freiwilligenarbeit schwer umsetzbar sei.

Gefragt nach ihrer Selbsteinschätzung geben alle Quartiervereine an, dass sie das Quartier repräsentieren. Ein Verein räumt jedoch ein, dass junge Personen und Ausländer:innen zu wenig vertreten seien.

Welches ist das wichtigste Anliegen aus der Bevölkerung, das aufgenommen wurde?

  1. QV Enge: Verkehrsthemen
  2. QV Riesbach: Kampf gegen die Wohnungsnot
  3. QV Seebach: Wir versuchen nicht ein einzelnes Bürgeranliegen umzusetzen, sondern den Prozess zu unterstützen und die Wege zur Verwaltung zu öffnen. Denn ein Einzelanliegen kann selten das ganze Quartier repräsentieren.
  4. QV Wiedikon: Wir bearbeiten pro Jahr über 50 Bürgeranliegen – von Schulwegsicherung über Kampf gegen Littering/Sprayereien, Schutz der Totenruhe auf dem Friedhof Sihlfeld bis zu sehr individuellen Sorgen & Anliegen
  5. QV Höngg: Gegen die Einstellung der Buslinie 38
  6. QV Affoltern: Adäquates Zentrum für Affoltern
  7. QV Oerlikon: Bei der Planung zum neuen Sportzentrum Oerlikon gab es wichtige Einwände, die wir aufgenommen und an den Stadtrat und Gemeinderat weitergegeben haben. Auch beim Entwicklungsplan MFO Ost (einst Standort der Maschinenfabrik Oerlikon) konnten wir uns einbringen.
  8. QV Oberstrass: Bauten, Verkehr
  9. QV Hirslanden: Aufwertung Klusplatz
  10. QV Wollishofen: Freiraum am Seeufer Wollishofen, Entwicklung des Angebotes im Schipfherhof, Einbezug bei den Velovorzugsrouten, VBZ-Linienplanung Bus 72 und 66

Wie ist der Verein aufgebaut?

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Die Differenzen sind gross: 1`150 Einzelmitglieder zählt Wiedikon, der grösste Quartierverein, der an der Umfrage teilgenommen hat. Am wenigsten Mitglieder meldet Hirslanden mit 211 Einzelmitgliedern. Gewiss, die Anzahl Mitglieder alleine sagt noch nicht viel darüber aus, wie stark verankert ein Quartierverein tatsächlich ist.

Die nachfolgende Grafik zeigt, wie viele Prozent der Bewohner:innen eines Quartiers Mitglied im entsprechenden QV sind.

Die repräsentativsten Vereine sind jene in Enge (6 Prozent), Wipkingen (5,64 Prozent) und Riesbach (5,54 Prozent).

Der Quartierverein Seebach schreibt dazu, dass es ihrer Ansicht nach nicht das Ziel sein muss, dass alle Mitglied des Vereins sind. Vielmehr solle angestrebt werden, dass jene Personen Mitglied seien, die planen, mindestens fünf Jahre im Quartier zu wohnen.

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Die Quartiervereine sind mehrheitlich der Ansicht, dass sie das Quartier und dessen Bevölkerung gut repräsentieren.

Einige zeigen sich in ihren Antworten auch selbstkritisch. Der Quartierverein Wiedikon schreibt, auch wenn sie politisch und in Bezug auf Geschlecht die Bevölkerung abdeckten, seien Kinder und Jugendliche sowie Ausländer:innen im Verein untervertreten. Auch die Verantwortlichen von Oerlikon und Hirslanden geben an, dass sie sich um mehr Wachstum bemühten.

Wer führt den Verein?

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Die Zusammensetzung des Vorstands der Vereine scheint bei allen in etwa gleich auszuschauen. In Bezug auf das Geschlecht sind die Vorstände in etwa ausgewogen, mit einem leichten Männerüberschuss.

Die parteipolitische Zusammensetzung der Vorstände, zumindest der Vereine, die diese Frage beantwortet haben, scheint ausgewogen.

Wie sieht die finanzielle Situation aus?

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Wie eingangs erwähnt, verteilt die Stadt jedes Jahr 500`000 Franken an die Vereine. Diese Subventionen sind zwar für die meisten eine zentrale Einnahmequelle, sie nehmen jedoch auch durch Mitgliederbeiträge oder Vereinsaktivitäten wie Märkte einen wesentlichen Anteil des Geldes ein.

Auch hier weisen die Quartiervereine Unterschiede auf: Bei manchen macht der Beitrag der Stadt den grössten Anteil aus, andere wiederum nehmen mehr über Mitgliederbeiträge oder andere Einnahmequellen ein.

Das sagt der Präsident der Quartierkonferenz

Martin Bürki ist Präsident der Quartierkonferenz, der Dachorganisation der 25 Quartiervereine. Bürki ist ausserdem selber Präsident des Quartiervereins Wollishofen und FDP-Gemeinderat.

Die meisten Quartiervereine, erzählt Bürki, seien entstanden, als die davor selbstständigen Vororte in Zürich eingemeindet wurden. Die Vereine sind als lokale Interessenvertretung gegenüber der zentralen Stadtregierung entstanden. «Deswegen sind die Zürcher Quartiervereine heute auch unterschiedlich, was Mitgliederzahlen und ihre Aktivitäten angeht», sagt Bürki. «Und deswegen ist Quartierverein nicht gleich Quartierverein.»

Dass die Beziehung zwischen der Stadt und den Quartiervereinen in den letzten Jahren angespannt war, konnte man in den Medien mitlesen. Die Stadt auf der einen Seite machte deutlich, dass sie nach den Veruntreuungsfällen künftig solche Vorfälle verhindern will. Auf der anderen Seite empfanden die Vereine die zusätzliche Kontrolle als Vertrauensverlust und fürchteten, dass sich die zusätzlich Reglementierung negativ auf die Freiwilligenarbeit auswirke.

Bürki sagt, er wolle die Diskussion um die Verträge jetzt abschliessen. Er hoffe auf eine gute Zusammenarbeit, auch unter einem neuen Präsidium. «Schlussendlich wollen wir ja alle dasselbe: lebenswerte Quartiere für die Stadt Zürich.»

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2023-05-02 Nina Graf Portrait-13

Aufgewachsen am linken Zürichseeufer, Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft an den Universitäten Freiburg (CH) und Basel. Sie machte ein Praktikum beim SRF Kassensturz und begann während dem Studium als Journalistin bei der Zürichsee-Zeitung. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin untersuchte sie Innovationen im Lokaljournalismus in einem SNF-Forschungsprojekt, wechselte dann von der Forschung in die Praxis und ist seit 2021 Mitglied der Geschäftsleitung von We.Publish. Seit 2023 schreibt Nina als Redaktorin für Tsüri.ch.

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