Les Belles de Nuit: «Wollen endlich wieder tanzen»
Die Frauen von Le Belles de Nuit vernetzen seit Jahren Frauen und queere Künstler*innen in der hiesigen Techno-Szene, organisieren Festivals und Partys, weisen immer wieder auf die mangelnde Diversität von Festival- oder Club-Line-ups hin und fordern mehr kulturelle Freiräume auch für Menschen über 25. Vor allem aber wollen sie endlich wieder tanzen.
Zürich hat unzählige Kollektive – was treibt diese an, wie sind sie organisiert und wie haben sie das Jahr 2020 erlebt? Wir haben es in dieser Serie für dich herausgefunden.
Les Belles de Nuit (LBDN) ist ein Kollektiv, das sich zum Ziel gesetzt hat, das Schaffen und Vernetzen von Frauen und queeren Künstler*innen in der elektronischen Clubszene zu fördern. Seit Jahren lancieren sie Festivals mit wohlklingenden Namen wie La Danse des Belles de Nuit oder La Bouffe des Belles de Nuit, die mit avantgardistischen, nationalen und internationalen Line-ups versuchen, Musik, Tanz, Kunst und Clubkultur zugleich zu vereinen.
Begonnen hat alles 2013 am Festival «Swisstanbul», das damals zweimal jährlich ausgetragen wurde, jeweils einmal in Zürich und einmal in Istanbul. «Wir merkten, dass wir dort den einzigen weiblichen Act stellten. Dies galt es zu ändern und eine Art DJ-Austausch mit Frauen aus der türkischen Metropole wurde lanciert», erzählt Gründungsmitglied Eva Geiser vor wenigen Wochen in der Streambar der Zentralwäscherei. Für Eva zählen diese Festivals denn auch zu den schönsten Momenten seit der Gründung des Kollektivs. «Zwei Kulturen, eine Clubkultur, die selbe Thematik: Gender Equality in der Clubkultur. Diese sehr lebhaften Festivals waren nicht nur ein Riesenspass, ich fand den interkulturellen Austausch sehr bereichernd und lehrreich.»
Es ist der 10. Dezember. Les Belles de Nuit hat das DJ-Pult und den dazugehörigen Live-Stream übernommen. Es ist der letzte Abend, an dem die Streambar Musik aufgrund der neu verordneten Corona-Massnahmen nicht nur online, sondern auch vor Publikum verbreiten darf. Alle Anwesenden wissen das, man geniesst die wummernden Bässe zum vorerst letzten Mal. Vor Ort ist auch Nathalie Brunner alias DJ Playlove, ebenfalls LBDN-Gründungsmitglied.
Immer mehr Frauen hinter den DJ-Pulten
Sie sagt: «Als wir angefangen haben, gab es in der Schweiz kein vergleichbares Frauen-Kollektiv, das sich wie wir klar der Techno- und Clubkultur verschrieben und Festivals und Partys organisiert hat.» Seither habe sich viel getan, zahlreiche kleine Kollektive hätten sich zusammengeschlossen. Immer weniger Frauen würden sich davor scheuen, technische Fertigkeiten zu erlangen, die es brauche, um erfolgreich hinter einem DJ-Pult zu stehen. Nathalie: «Sie machen einfach und probieren aus».Trotzdem müsse man sich weiterhin dafür einsetzen, dass in Club- und Festival-Line-ups mehr Diversität gelebt – sprich gebucht – werde. Das Kollektiv wünscht sich, dass vor allem Clubs noch mehr versuchen, junge Frauen aufzubauen und zu fördern.
Sie seien indes keine «Aggro-Feministinnen», welche die Männerwelt per se nur schlecht fänden. Vielmehr müsse man gemeinsam daran arbeiten und sich gegenseitig unterstützen. «Es geht um die Aufteilung des ganzen Kuchens», so Natalie. Der Frauenstreik habe bereits viel bewirkt, man sei jedoch noch nicht am Ziel angelangt. Es werde noch Jahre brauchen, bis man in einem wirklich gleichberechtigten Verhältnis angelangt sei.
Tsüri.ch: Das Jahr 2020 in drei Worten?
Les Belles de Nuit:
- Zwangsentschleunigung, Geduld, Besinnung
- Kreativität, Herausforderung, anders denken
- Klo, Papier, Kaufen
- Intensiv, Besinnung, Resilienz
- Selbstgenügsamkeit, Standortbestimmung, Sehnsucht
- Reflektion, Wertschätzung, Selbstliebe
- Herausforderung, Kreativität, Veränderung
Was für Herausforderungen hat die Corona-Krise mitgebracht?
Einige Dinge sind klarer geworden. Wir hatten endlich Zeit uns zu fragen, wofür wir eigentlich stehen, was wir erreichen wollen und inwiefern sich diese beiden Dinge über die Jahre vielleicht verändert haben. Abgesehen davon war 2020 natürlich ein Jahr mit maximal wenig Spass – auch für uns. Das gezielte Zusammenkommen mit dem Kollektiv zeigte, dass immer noch eine Wichtigkeit in unseren gemeinsamen Zielen steckt und es wurde mehr wertgeschätzt, zusammen an einem Strang zu ziehen und füreinander da zu sein. Die Sitzungen wurden strukturierter und es wurde gezielter gearbeitet.
Was ist eure Message als Kollektiv?
- Das zu tun, worauf man Lust hat, wofür das Herz brennt.
- Sei wer du bist. Sei selbstbewusst und spinn dich in alle nur erdenklichen Richtungen aus.
- Gewisse Dinge machen zusammen einfach viel mehr Spass und Sinn.
- Das Leben ist bunt und Diversität macht Spass. Und: Frau muss nicht alles allein machen.
- Die Verbindung und Treue im Herzen ist grösser als jeder Lockdown.
Wer oder was inspiriert euch?
- Tracy Moffat, Izzy Brown, Syrus Marcus Ware
- Miis Mami, Grace Jones, Electric Indigo, Divine
- Jede Frau, die an sich selbst glaubt, ehrlich und mutig ist. Die lernt, an sich selbst zu glauben und mutig wird.
- Die erste Frau im Weltall Walentina Tereschkowa, Michelle Obama, Madonna. Und die Les Belles – immer wieder, jede auf ihre Art.
- Alle, die an sich selbst wachsen möchten und die Gemeinsamkeit nicht fürchten. Die ihren Herzen folgen und an sich selber glauben.
Weshalb tut ihr das, was ihr tut in Zürich – und nicht in einer anderen Stadt?
Zürich, the little big City, ist eine Stadt, die Platz macht für Kultur, für Nachtkultur. Deren Ebbe und Flut es uns durch ihren fruchtbaren Boden ermöglicht, unseren Garten zu entdecken und hoffentlich einige Samen zu säen. Zürich ist unsere geliebte Homebase. LBDN haben wir immer schon international gedacht und meist lokal umgesetzt. Einerseits haben wir uns hier verankert, waren aber immer bereit, mal einen anderen Hafen zu besuchen.
Wir wohnen hier – ZüriLOVE – wenn die Mittel und Zeit vorhanden wären, würden wir uns auch bestimmt noch mehr über die Grenzen hinaus bewegen.
Zahlt ihr euch einen Lohn aus? Wenn ja, weshalb? Wenn nein, weshalb nicht?
Wir sind nach 8 Jahren an einem Punkt angelangt, an dem wir über eine finanzierte Stelle nachdenken, weil alles professioneller geworden ist. Es braucht sehr viel Energie, diese Stelle gestemmt zu bekommen und die Entscheidung «Bleiben wir weiterhin Underground oder nehmen wir die Herausforderung an, noch weiter zu wachsen» zu treffen. Wir haben bisher keine Löhne ausbezahlt, wir geben alle unsere Freizeit und Liebe seit jeher ehrenamtlich in das Herzensprojekt.
Waren die Stadt und ihre Bewohner*innen bislang gut zu euch? Wo haben sie euch Steine in den Weg gelegt, wo Türen geöffnet?
Wir haben volle Unterstützung von der Szene, auch wenn wir manchmal kritisiert werden, wenn wir wiedermal mit dem Finger auf die Diversität von Festival- und Club-Line-Ups hinweisen. Daraus entsteht fast immer ein spannender Dialog und der Wunsch, Umstände weiter zu entwickeln. Weiter werden wir von diversen kulturellen Fachstellen bei Projekten unterstützt und damit auch von den Bewohner*innen der Stadt und des Kantons.
Was war euer schönster und/oder prägendster Moment seit der Gründung?
Das letzte Festival, das in Zürich organisiert wurde. Eine wunderbare Erfahrung, die ganze Arbeit des Vereins zu sehen und sie mit dem Publikum aber auch mit allen Personen, die an dem Festival mitwirkten, zu teilen. Es ist gut, sich 2021 daran zu erinnern, dass mit Kultur, viel Liebe und Arbeit möglich ist, Vorurteile zu überwinden und einen sicheren Raum zu schaffen, in dem jede*r, unabhängig von Geschlecht oder Glauben, das Leben feiern, friedlich Spass haben und positive Erinnerungen schaffen kann.
Weitere schöne und prägende Momente waren die Auszeichnungen für unser Schaffen. 2018 die Weisse Eule des «Swiss Nightlife Awards». 2019 haben wir von der Fachstelle Kultur des Kantons Zürich einen Anerkennungspreis für die Förderung von kultureller Teilhabe erhalten. Ein grosse Ehre die auch neue Verantwortung mit sich bringt und in gewisser Weise auch ein neues Kapitel von LBDN darstellt.
Wie geht ihr als Gruppe kollektiv mit Entscheidungsprozessen um?
Wir führen eine offene Gesprächskultur – logo – an gut strukturierten Vereinsmeetings. Seit es das Kollektiv gibt, wurden die Aufgaben immer wieder neu verteilt, also Verantwortlichkeiten geschaffen, wo die jeweilige Person auch mal ohne die Zustimmung von allen eine Entscheidung treffen kann. Aber grundsätzlich wird alles offen und basisdemokratisch besprochen und Inputs sind von allen gefragt.
Je nachdem dauert das dann auch etwas länger. Natürlich tritt man sich dabei manchmal auch mal auf den Fuss, ist auch mal sauer oder beleidigt. Aber mit der Zeit stellt sich eine Ehrlichkeit ein, ein Vertrauen, dass das auch so sein darf und im schlimmsten Fall spricht man ein paar Tage später nochmals drüber und reinigt die Luft. Wir lernen auch immer wieder zu unserer eigenen Konfliktfähigkeit dazu.
Was wünscht ihr euch von Zürich?
Kulturelle Freiräume für buntes Treiben und um neue kreative Plattformen zu entwickeln. Die bezahlbar sind, wo wir laut sein können. Generell auch noch mehr Toleranz und Anerkennung für die Kultur der elektronischen Musik, deren Liebhaberei nicht mit 25 aufhört. Und noch mehr Farbe und Diversität.
Ihr seid es, die unsere Stadt zu der machen, die sie ist. Sie beleben – kulturell, aber auch politisch. Was plant ihr für das kommende Jahr?
Die Szene und Menschen, die für Ähnliches einstehen wie wir, weiter zusammenzubringen und mit positiver Energie gemeinsam aus der Pandemie durchstarten. Und endlich mal wieder tanzen.
<div style="background-color:#3dafe8;color:white;font-weight:bold;padding:10px"> Serie «Zürcher Kollektive»</div> <div style="font-size:18px;padding:10px;background-color:#dddddd"> Immer mehr Menschen dieser Stadt schliessen sich zu einem Kollektiv zusammen. Für diese Serie wollten wir wissen: Was treibt diese Menschen an? Wie gehen sie mit Entscheidungsprozessen um? Wie haben sie, die das kulturelle Leben dieser Stadt prägen, das Jahr 2020 gemeistert? Und was ist trotz der widrigen Umstände für die kommenden Monate geplant?<br/><br/> <a href="https://tsri.ch/zh/was-ist-eigentlich-ein-kollektiv-zuerich/"target="_blank">1. Was ist eigentlich ein Kollektiv?</a> <br/> <a href="https://tsri.ch/zh/urban-equipe-die-zukunft-der-stadt-geht-uns-alle-etwas-an/"target="_blank">2. Urban Equipe</a> <br/> <a href="https://tsri.ch/zh/ziegel-oh-lac-rote-fabrik-kollektiv-serie/"target="_blank">3. Ziegel oh Lac</a> <br/> <a href="https://tsri.ch/zh/organ-tempel-zuercher-kollektive-serie/"target="_blank">4. Organ Tempel</a> <br/> <a href="https://tsri.ch/zh/zentrum-fur-kritisches-denken-gebildeten-menschen-fallt-es-nicht-immer-leicht-sich-selbstkritisch-gegenuberzutreten/"target="_blank">5. Zentrum für kritisches Denken</a> <br/> <a href="https://tsri.ch/zh/die-jungthaeter-jeder-gemeinsame-moment-bringt-uns-weiter/"target="_blank">6. Jungthaeter</a> <br/> <a href="https://tsri.ch/zh/vo-da-rassismus-geht-uns-alle-etwas-an-ob-als-privilegierte-oder-als-benachteiligte/"target="_blank">7. Vo da.</a> <br/> <a href="https://tsri.ch/zh/literatur-fur-das-was-passiert-zuercher-kollektive-julia-weber-gianna-molinari/"target="_blank">8. Literatur für das, was passiert</a> <br/> <a href="https://tsri.ch/zh/f96-wir-wollen-eine-kultur-des-gegenseitigen-zuhorens/"target="_blank">9. F 96</a> <br/> <a href="https://tsri.ch/zh/tempofoif/"target="_blank">10. Tempofoif</a> <br/> <a href="https://tsri.ch/zh/regula-rec-2020-war-eine-achterbahnfahrt-der-gefuhle/"target="_blank">11. Regula Rec</a> <br/> <a href="https://tsri.ch/zh/lauter-kollektive-wir-freuen-uns-wahnsinnig-wieder-konzerte-zu-organisieren">12. Lauter </a> <br/> <a href="https://tsri.ch/zh/tauchstation-politische-entscheide-konnen-leben-retten-oder-gefahrden/">13. Tauchstation </a> <br/> <a href="https://tsri.ch/zh/radio-megahexfm-politisch-subjektiv-radikal/">14. Radio Megahex </a> <br/> <a href="https://tsri.ch/zh/fagdom-lgbtqia-zuercher-kollektive/">15. Fagdom</a> <br/>
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