Gemeinderätin der Woche: Lara Can (SP)
Seit kurzem sitzt Lara Can für die SP im Gemeinderat. Politisch möchte sie ihre Akzente in wirtschafts- und migrationspolitischen Fragen setzen. Dies hat mit einer prägenden Erfahrung an der ungarischen Grenze zu tun.
Es gibt einfachere Einstiege. Die erste Gemeinderatssitzung von Lara Can war jene vor den Sommerferien, die von fünf Uhr nachmittags bis kurz vor Mitternacht ging und thematisch breiter wohl kaum hätte sein können: Taylor Swift im Letzigrund, öffentliche Pissoirs, Velopolitik, Nahostkonflikt. «Es war sehr intensiv, ein Sprung ins kalte Wasser», sagt sie und schmunzelt. Aber es sei auch lehrreich gewesen.
Die 26-Jährige ist für die SP in den Gemeinderat nachgerückt, nachdem Marion Schmid am 3. Juli ihr Mandat niedergelegt hatte. Gleich bei ihrem ersten Tag – eine Doppelsitzung – reichte Can eine schriftliche Anfrage zum Thema Überwachung durch die Stadtpolizei ein. Sie und Moritz Bögli (AL) wollen vom Stadtrat unter anderem wissen, inwiefern die Stadt garantiert, dass bei der Polizei keine verbotene Gesichtserkennungstools wie PimEyes eingesetzt werden. Anlass für diese Anfrage war eine Recherche von Tsüri.ch, die Zweifel an der Rechtmässigkeit der Ermittlungspraktiken der Stadtpolizei bei der Identifikation von Teilnehmer:innen unbewilligter Demonstrationen aufgeworfen hat.
«Ich bin mit der Rassismusproblematik aufgewachsen.»
Lara Can
Dass diese Anfrage von ihr kommt, überrascht kaum. Beim 1.-Mai-Komitee ist sie schon mehrere Jahre Sprecherin und zudem für die Sicherheit zuständig. Auch bei den Jungsozialist:innen (JUSOs), deren Zürcher Sektion sie von 2017 bis 2019 präsidierte, sei «Repression» ein wiederkehrendes Thema gewesen. Neben dem Recht auf Protest setzt sie sich auch für das Recht auf ein menschenwürdiges Leben für alle ein. Migrationspolitik ist ihr auch aus familiären Gründen wichtig: «Can», der Name kommt aus dem Türkischen, ihr Grossvater wanderte in die Schweiz ein. «Ich bin mit der Rassismusproblematik aufgewachsen. Zuhause waren die rassistischen SVP-Initiativen immer wieder Gesprächsthema», erzählt sie.
Dieser Hintergrund veranlasste sie 2016 dazu, mit einer Gruppe aus Zürich an die ungarische Grenze zu fahren, um Geflüchtete auf der Balkanroute mit dem Nötigsten zu versorgen. «Damals war es bitterkalt und gewisse Menschen kamen mit Flipflops und Frostbeulen an den Füssen an. Wir haben dann Kleider und Essen verteilt.» Es sei ein zentraler Politisierungsmoment in ihrem Leben gewesen.
Wenn sie von ihrem Werdegang erzählt, passt vieles zusammen, die lange Zeit bei den JUSOs, der frühere Job als Sekretärin der SP Migrant:innen Schweiz, verschiedene freiwillige Engagements. Einzig, dass sie daneben noch Volkswirtschaft an der Uni Zürich studiert, hätte man wohl nicht erraten; fokussiert der Studiengang doch auf die neoklassische Theorie, bei der – einfach gesagt – davon ausgegangen wird, dass die Menschen rationale Akteure sind, die stets nur ihren eigenen Nutzen maximieren wollen.
Mit der sozialen Idee der Linken passt das wenig zusammen. Can ist sich dessen bewusst. Das Studium empfindet sie als «zu neoliberal», und gerade die grundlegenden Annahmen würden zu wenig hinterfragt. Das sei auch der Grund, weshalb sie beim Verein «Plurale Ökonomik» aktiv gewesen sei, der das Studium mit verschiedenen Theorien und Methoden diverser gestalten möchten. Und für Can ist klar: «Es gibt einen Mangel an linken Ökonom:innen und deshalb auch einen Mangel an linken Antworten auf ökonomische Fragen, vor allem bezüglich Care-Arbeit.» Zuletzt hatte sie sich dazu im Rahmen des Initiativekomitees für einen «wissenschaftlichen Pilotversuch Grundeinkommen» eingebracht.
Nun ist für die junge SP-Politikerin aber mindestens bis 2026 Gemeinderat angesagt. Ihre konkrete inhaltliche Rolle muss sie im Amt nun erst einmal finden. Was für sie feststeht: Sie will eine konsequente, antikapitalistische und feministische Politik verfolgen.
Warum sind Sie Gemeinderätin geworden?
Als ich 2022 für den Gemeinderat kandidiert habe, lag der Frauenanteil bei unter einem Drittel. Die JUSO hat damals entschieden, mit vier Spitzenkandidatinnen Gegensteuer zu geben und ich war eine davon. Dass ich jetzt nachrutschen konnte in ein deutlich diverseres Parlament, ist ein Teilerfolg aus Repräsentationssicht. Trotzdem ist dieses Gemeinderatsamt immer noch privilegierten Menschen vorenthalten: Es wird Schweizerdeutsch gesprochen in den Ratssitzungen, die Entschädigung reicht für viele nicht aus, um den Lohnausfall zu kompensieren und von rechter Ratsseite ertönen rassistische Voten.
Gleichzeitig hat der Gemeinderat die einzigartige Chance, konkrete Verbesserungen in ökonomischen sowie gesellschaftlichen Lebensrealitäten zu erreichen. Beispielsweise bei der Reinigung: Wenn wir sicherstellen, dass möglichst alle Personen, die für die Stadt Reinigungen ausführen, auch bei der Stadt angestellt sind, dann macht das einen realen Unterschied für Menschen, die sonst häufig unter prekären Anstellungsbedingungen leiden. Das ist die Art von Politik, die ich im Rat machen will.
Mit welche:r Ratskolleg:in der politischen Gegenseite würden Sie gerne mal ein Bier trinken gehen?
Die Zeit für Feierabendbier ist in meinem Kalender rar. Wenn ich sie dann mal habe, möchte ich sie deshalb mit meinen Freund:innen und Liebsten verbringen. Für den Austausch mit der Gegenseite gibt es während den Sitzungen oder in der Kommissionsarbeit Zeit.
Welches Abstimmungsergebnis hat Sie bisher am meisten geärgert?
Eigentlich habe ich mich am meisten über eine Nicht-Abstimmung geärgert: Dass «Züri autofrei» 2020 vom Bundesgericht für ungültig erklärt wurde, nachdem es das Verwaltungsgericht für gültig erklärt hatte, war für uns Initiant:innen eine riesige Überraschung und ein ebensolcher Frust. Bis heute finde ich es demokratiepolitisch fragwürdig, dass hier ein Exempel statuiert wurde, anstatt nach einer Möglichkeit zu suchen, die Bevölkerung selbst entscheiden zu lassen, in was für einer Stadt sie leben möchte.