Senkung der Gewinnsteuern: Beide Seiten warnen vor fehlendem Geld
Zürich stimmt am 18. Mai über die Gewinnsteuern ab. Tsüri.ch hat Zürcher:innen aus Gastronomie, Politik und Gewerkschaft nach ihrer Einschätzung gefragt.
Unternehmen müssen ihren Gewinn versteuern. Hat eine Firma ihren Sitz im Kanton Zürich, beträgt dieser Gewinnsteuersatz sieben Prozent. Das soll weniger werden, fordern der Regierungsrat und eine Mehrheit des Kantonsparlaments aus SVP/EDU, FDP, GLP und Mitte. Am 18. Mai entscheidet nun das Zürcher Stimmvolk, ob der Gewinnsteuersatz für Unternehmen auf sechs Prozent gesenkt werden soll.
Es wäre bereits die zweite Steuersenkung: Im Mai 2019 sagten die Zürcher Stimmberechtigten bereits einmal Ja zu einer Gewinnsteuersenkung, damals von acht auf sieben Prozent.
Das Argument der Befürworter:innen: Der Kanton Zürich habe die zweithöchsten Gewinnsteuern der Schweiz, einzig in Bern zahlten Firmen mehr. Das könnte dazu führen, dass Unternehmen abwanderten und ihre Steuern anderswo bezahlten. Dem solle mit einer Senkung der Gewinnsteuern entgegengewirkt werden.
Das Gegenteil befürchten die Gegner:innen der Initiative: SP, Grüne, EVP, AL, die Gewerkschaften sowie die Städte Zürich und Winterthur, und ergriffen das Referendum. Durch die Senkung würden dem Kanton und den Gemeinden Steuerausfälle von bis zu 350 Millionen Franken drohen, wie sie in einer Hochrechnung projizieren. Geld, das in der Infrastruktur fehlen würde.
Tsüri.ch hat bei Zürcher Gastronomen, Politiker:innen und Gewerkschaften nachgefragt, wie sie sich zur Vorlage positionieren.
Das Ja-Lager
SVP-Regierungsrat und Vorsteher der Finanzdirektion, Ernst Stocker, hat sich für die Senkung der Gewinnsteuer eingesetzt. «Wir wollen unsere heutigen Steuern sichern und den Wohlstand im Kanton Zürich festigen», sagt er. «Die Senkung ist massvoll, fördert die Stabilität, stärkt die Resilienz des Kantons Zürich und hält ihn konkurrenzfähig.»
Für den Gastronomen und Unternehmer Valentin Diem, der in Zürich unter anderem die «Neue Taverne» oder das Pop-Up «Soi Thai» bewirtschaftet, zählt vor allem das Argument der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU).
«Laufen die Geschäfte gut, sind auch die Beizen voll und die Stadt lebendig.»
Valentin Diem, Gastronom und Unternehmer
KMU hätten oftmals tiefe Gewinne, «da hilft jede Linderung». Wichtiger sei jedoch, dass der Standort Zürich mittel- und langfristig attraktiv bleibe. Davon würde schlussendlich auch die Gastronomie profitieren: «Laufen die Geschäfte gut, sind auch die Beizen voll und die Stadt lebendig.»
Die Stadtzürcher FDP-Gemeinderätin Martina Zürcher ist ebenfalls für die Vorlage. Die Gegner:innen der Vorlage würden «Ängste vor Steuerausfällen und Steuererhöhungen in den Gemeinden schüren».
Das, obwohl die letzte Senkung der Gewinnsteuern von acht auf sieben Prozent nichts in dieser Art habe eintreten lassen, «entgegen aller im Vorfeld geäusserten Schreckensnachrichten». Im Gegenteil: «Die Stadt Zürich hat Jahr für Jahr rekordhohe Steuereinnahmen, welche kürzlich zu einem Rechnungsüberschuss von einer halben Milliarde Franken führten.»
«Unser Wohlstand fällt nicht vom Himmel, er ist das Resultat fleissiger und innovativer Arbeit sowie guten politischen Rahmenbedingungen. Eine davon ist die Steuerlast, die im Kanton Zürich verhältnismässig hoch ist.»
Përparim Avdili, Stadtzürcher FDP-Präsident
Auch der Stadtzürcher FDP-Präsident Përparim Avdili findet klare Worte für die Vorlage: «Unser Wohlstand fällt nicht vom Himmel, sie ist das Resultat fleissiger und innovativer Arbeit sowie guten politischen Rahmenbedingungen. Eine davon ist die Steuerlast, die im Kanton Zürich verhältnismässig hoch ist», sagt Përparim Avdili.
Die Steuerlast habe unter anderem dazu geführt, dass in den letzten Jahren mehr als 1000 Unternehmen aus Zürich weggezogen seien. «Damit Arbeits- und Ausbildungsplätze nachhaltig gesichert werden können, braucht es deshalb zwingend ein Ja zur Steuervorlage vom 18. Mai», sagt Avdili.
Das Nein-Lager
Die Stadt Zürich hat gegen die Gewinnsteuersenkung das Gemeindereferendum eingereicht. Stadtrat und Vorsteher des städtischen Finanzamts Daniel Leupi (Grüne) bringt an, dass auch die Unternehmen von den «enormen Investitionen» von Stadt und Kanton profitieren würden. Leupi verweist darauf, dass die Konzerne in der Stadt Zürich in den letzten 20 Jahren Steuererleichterungen in der Höhe von 3,5 Milliarden erhalten haben. «Bei einer weiteren Steuersenkung zahlt die Bevölkerung mit einem Leistungsabbau oder die Stadt mit höherer Verschuldung.»
«Es ist zu befürchten, dass diese Ausfälle durch Kürzungen in Bildung, Gesundheit, Kultur und Klimaschutz kompensiert werden.»
Simon Meyer, Koordinator des Gewerbevereins und Co-Präsident der Grünen Kanton Zürich
«Wir wollen eine Regierung, die haushälterisch mit den Einnahmen umgeht und nicht einfach fahrlässig auf 350 Millionen verzichtet», sagt Simon Meyer vom Gewerbeverein. «Von der erneuten Gewinnsteuersenkung profitieren insbesondere grosse Unternehmen, bei denen sich die Entlastung finanziell deutlich auswirkt», für Klein- und Kleinstbetriebe sowie Selbständige hingegen bliebe der Nutzen allerdings gering. «Eine Steuerpolitik, die fast ausschliesslich grossen, gewinnstarken Unternehmen zugutekommt, greift zu kurz», sagt er.
Die geringeren Einnahmen würden ausserdem zu Lasten der Allgemeinheit gehen. «Es ist zu befürchten, dass diese Ausfälle durch Kürzungen in Bildung, Gesundheit, Kultur und Klimaschutz kompensiert werden.»
«Entweder werden unsere Steuern steigen, damit Grosskonzerne weniger zahlen. Oder der Staat spart bei Schulen, Infrastruktur oder den Löhnen unserer Polizist:innen, Lehrpersonen oder beim Pflegepersonal.
Dimitri Aich, Projektleiter Kommunikation der Unia Zürich-Schaffhausen
Gegen die Vorlage ist auch Dimitri Aich, Projektleiter Kommunikation der Unia Zürich-Schaffhausen. «Zürich ist bereits heute unglaublich attraktiv für internationale Unternehmen. Auch mit den aktuellen Steuersätzen», sagt er.
Es sei daher «unnötig und gefährlich», die Steuern für Grosskonzerne zu senken. Aich warnt vor den Folgen: «Entweder unsere Steuern werden steigen, damit Grosskonzerne weniger zahlen. Oder der Staat spart bei Schulen, Infrastruktur oder den Löhnen unserer Polizist:innen, Lehrpersonen oder beim Pflegepersonal. Das hilft nur Grossaktionären und darf daher nicht sein!»
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Sofies Begeisterung für die Medienbranche zeigt sich in ihren diversen Projekten: Sie leitete den Zeitungs-Kurs im Ferienlager, für die Jungen Jorunalist:innen Schweiz organisiert sie seit mehreren Jahren das Medienfestival «Journalismus Jetzt» mit. Teilzeit studiert sie an der ZHAW Kommunikation. Zu Tsüri.ch kam sie zunächst 2022 als Civic Media Praktikantin. 2024 kehrte sie dann als Projektleiterin und Briefing-Autorin zurück und momentan macht sie als erste Person ihr zweites Tsüri-Praktikum.