Jugendliche geben den Ton an und fordern verspäteten Schulbeginn

Ein Novum im Gemeinderat: Jugendliche präsentieren ihre politischen Anliegen und ernten Respekt – und Widerstand.

Dass etwas aussergewöhnlich ist, merkte man gleich zu Beginn der Versammlung am Mittwochabend. Einige Politiker:innen mussten auf ihre Stammplätze verzichten, andere schielten immer wieder nervös in dieselbe Richtung. 

«Sie wohnen heute einem geschichtsträchtigen Moment dieses Parlaments bei», verkündete der Ratspräsident Guy Krayenbühl. 

Der Grund: Zum ersten Mal in der 131-jährigen Geschichte des Gemeinderats wurden Vorstösse aus der Zürcher Jugendkonferenz behandelt. Acht Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren waren im Parlament vor Ort, um ihre Postulate dem 120-köpfigen Rat vorzustellen. Und dies taten sie besser als manche Politiker:innen im Saal. 

Acht Jugendliche sassen im Ratsaal – teilweise an den Stammplätzen der Politiker:innen. (Bild: Kai Vogt)

Konkret wurden sieben Anliegen diskutiert, die bereits vergangenen November dem Stadtparlament übergeben wurden. 

Und gleich der erste war es, der beim Stadtrat auf Ablehnung stiess. Die Idee: Baustellen begrünen. Dies soll mit mobilen Pflanzenmodulen erreicht werden, die auf Baustellen platziert werden. «Es ist schade, dass ich zuerst nun eine Ablehnung begründen muss», sagte Stadträtin Simone Brander. Doch die Idee sei nicht umsetzbar, da auf den Baustellen der Platz fehle. 

Diese Sichtweise beschrieb Michael Schmid (AL) als zu eng – er sehe durchaus Möglichkeiten, etwa bei den Wänden von Grossbaustellen. Unterstützung erhielt er von Marco Denoth (SP), der selbst als Bauleiter arbeitet und die Idee prüfenswert findet. 

So kam es, dass der erste Vorstoss der Jugendlichen trotz Ablehnung des Stadtrats knappe Zustimmung fand. Doch schon da merkte man: Die Politiker:innen gehen nicht zimperlich mit den Jugendlichen um. 

«Die Jugendlichen müssen nach Rabatten googlen, anstatt nach Katzen- und Hundevideos.»

Karin Stepinski (Die Mitte)

«Mögen Sie die Oper?», fragte etwas später die 14-jährige Sophie Lutz. «Ich weiss nicht, wie ich sie finde, denn ich war noch nie dort. Und so auch viele andere Jugendliche.» Die Tickets seien teuer. Zudem fehle es an einer Übersicht zu den bestehenden Angeboten. Deshalb brauche es Vergünstigungen für Jugendliche im Kultur- und Freizeitbereich, die mit der Einführung eines Schüler:innenpasses erreicht werden sollte. Dabei gehe es auch um Chancengleichheit. 

«Es gibt bereits genug Rabatte, die Jugendlichen müssen nur danach googlen, anstatt nach Katzen- und Hundevideos», entgegnete darauf Karin Stepinski (Die Mitte). Ihre Fraktion lehne den Vorschlag ab. Ausserdem sagt sie: «Wir wollen die Jugendlichen ernst nehmen. Und das geht nur, wenn wir nicht alles einfach durchwinken, sondern ernsthaft prüfen.»

Die linke Ratsseite begrüsste den Vorstoss. Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne) betonte, dass bei Freizeitaktivitäten das Portemonnaie eine grosse Rolle spiele. «Der Schüler:innepass kann ungleiche Möglichkeiten ausgleichen.» Das kulturelle Angebot sichtbarer zu machen, sei eine gute Idee. Etwa eine Website wäre möglich, wo übersichtlich die kulturellen Angebote der Stadt für Jugendliche ersichtlich sind. Auch dieser Vorstoss wurde mit 57 Ja zu 52 Nein-Stimmen an den Stadtrat überwiesen. 

Die Jugendlichen plädierten für die Abschaffung von Früh- und Spätstunden und für einen vergünstigten ÖV. (Bild: Kai Vogt)

Die Jugendlichen wollen auch Verbesserungen in ihrem unmittelbaren Umfeld, der Schule. 

Schulen sollten sich stärker mit Diskriminierung auseinandersetzen, besonders mit der Diskriminierung von religiösen Minderheiten, forderte Iqra Khan. Antisemitismus und Islamfeindlichkeit seien grosse Probleme. Und die würden sich auch bei Lehrpersonen zeigen. «So werden zum Beispiel Schülerinnen mit Kopftuch benachteiligt», so Khan. Ihr Postulat wurde von allen angenommen – einzig die SVP lehnte es ab. 

Carlo Helbling plädierte für die Abschaffung von Früh- und Spätstunden. «Wir sind noch jung und brauchen den Schlaf für unser Gehirn und unsere Gesundheit», sagte der 14-Jährige. Der ehemalige Lehrer Balz Bürgisser (Grüne) unterstrich die Wichtigkeit des Anliegens, das auch von der Wissenschaft gestützt werde. Erneut war es die SVP, die sich querstellte. «Wir benötigen Mitarbeitende, die sich konzentrieren können – von morgens bis abends», sagte Stephan Iten (SVP). Die Jungen sollten halt nicht bis spät auf Tiktok sein.

Auch dieses Postulat nahm der Rat an. Stadtrat Filippo Leutenegger erklärte, dass es zusammen mit einer parlamentarischen Initiative behandelt werde, die SP, Grüne und AL im März eingereicht hatten. Darin fordern die Parteien, dass der Unterricht in der Sekundarschule frühestens um 8 Uhr beginnen dürfe.

Schliesslich wurden alle Postulate angenommen, so auch jene für vergünstigte ÖV-Billette oder mehr unverbindliche Sportangebote. Mit ihren Anliegen trafen die Jugendlichen den Zahn der Zeit. Das neue politische Instrument der Jugendvorstösse, das mit der totalrevidierten Gemeindeordnung 2021 eingeführt wurde, war somit ein Erfolg. 

Weitere Themen der Woche: 

  • Abschaffung der Entsorgungs-Coupons erntet viel Gegenwehr: Gleich drei Postulate fordern den Stadtrat dazu auf, die Streichung der Entsorgungs-Coupons in der Stadt rückgängig zu machen. Und zwar sind es die SVP, die FDP und die AL, welche die Coupons aufrechterhalten möchten – zumindest so lange, bis ein «praktikables Ersatzangebot» geschaffen wurde. Diesen Mittwoch wurden alle drei Postulate für dringlich erklärt. Das bedeutet, dass sie nächste Woche im Rat diskutiert werden.
  • FDP kritisiert Stadt für angeblichen «Zensurversuch»: Am Mittwoch verlas der FDP-Politiker Michael Schmid eine Fraktionserklärung. Darin ging es um den Umgang der Stadt mit der Wiedergabe ihrer Position zur Genderstern-Initiative in der Abstimmungszeitung. Die Kritik: Die Stadtverwaltung habe nach einer ersten, regelkonformen Überarbeitung des Minderheitsstandpunkts der FDP eine zweite Überarbeitung vorgenommen. Nun fordert die Partei die Geschäftsleitung des Gemeinderats dazu auf, ihren «unverfälschten Minderheitsstandpunkt» in der Abstimmungszeitung zu publizieren. Die linke Ratsseite kritisierte die Erklärung vehement; die FDP drohte, den Rechtsweg zu beschreiten.
  • AL möchte Untersuchung der Wahl des Geschäftsführers der Zürcher Filmstiftung: Vor knapp einer Woche berichtete der Tages-Anzeiger über die Wahl des neuen Geschäftsführers der Zürcher Filmstiftung. Ein Mitglied der Findungskommission sei trotz Befangenheit nicht in den Ausstand getreten. Die AL kritisierte das Handeln von Stadtpräsidentin Corine Mauch. Sie war mit Heidi Burch und Kaspar Winkler in der Kommission, unternahm aber nichts gegen die Befangenheit von Winkler. «Die Geförderten werden ganz genau geprüft, aber bei der Wahl des Geschäftsführers werden die eigenen Regeln nicht so ernst genommen», kritisierte Sophie Blaser (AL). Die Wahl von Hercli Bundi, der Geschäftspartner von Winkler, solle nun untersucht werden.
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