Gemeinderats-Briefing #83: Ein guter Anlass

Eine grosse Mehrheit des Gemeinderats will den Eurovision Song Contest im nächsten Jahr nach Zürich holen. So einstimmig wie erhofft fällt die Zustimmung aber nicht aus.

Erst am Sonntag hat die Schweizer Stimmbevölkerung dem Stromgesetz zugestimmt, das einen verstärkten Ausbau der Erneuerbaren Energien im Land vorsieht. Am gleichen Tag sagten fast 90 Prozent der Zürcher:innen Ja zu einem neuen Rahmenkredit für das Elektrizitätswerk der Stadt (EWZ) über 200 Millionen Franken, mit dem die Weiterentwicklung der städtischen Energieinfrastruktur vorangetrieben werden soll.

Bereits gestern ging es weiter mit den Weichenstellungen beim Um- und Ausbau der Energieversorgung. Im Zürcher Gemeinderat stand ein weiterer Rahmenkredit für das EWZ zur Diskussion. Dieses Mal ging es um ganze 300 Millionen Franken.

Gemeinderats-Briefing V02_Negativ_b
Illustration: Zana Selimi (Bild: Zana Selimi)

Das Geld will man laut Weisung für die Erhöhung der Kapazitäten im Bereich erneuerbarer Energie verwenden. Mit dem Bau und dem Erwerb von Anlagen, die Energie aus Wasser, Wind und Sonne erzeugen, soll insbesondere die Abhängigkeit von Stromimporten im Winter reduziert werden.

Zwar kann das EWZ bei einem Rahmenkredit letztendlich selbst entscheiden, für welche konkreten Projekte das Geld ausgegeben wird. In der Weisung wurden jedoch vor allem für den Bereich Wasserkraft schon Beispiele genannt, die alle aus einer Liste des «Runden Tischs Wasserkraft» stammen. Das Gremium aus verschiedenen Akteur:innen im Bereich Wasserkraft beriet mehr als ein Jahr lang die Herausforderungen des Sektors auf Bundesebene. Dabei ging es um Energiesicherheit genauso wie Klimaschutz und den Erhalt der Biodiversität.

Bei mehreren bestehenden Wasserkraftwerken in den Alpen soll eine Erhöhung der Staumauern geprüft werden – unter anderem am Grimselsee im Kanton Bern. Gegen ein solches Projekt hatten Niklaus Scherr (AL) und der heutige Stadtrat André Odermatt (SP) bereits im Jahr 1996 ein Postulat eingereicht, weil es die dortigen Hochmoore gefährde.

Durch das Abschmelzen des Trift-Gletschers in den Urner Alpen sei es ausserdem möglich, dort ein neues Wasserkraftwerk zu bauen, heisst es in der städtischen Vorlage. Des Weiteren werden hochalpine Solaranlagen sowie Windparks als Energieerzeugungsanlagen erwähnt. Im Bereich Wind kann das EWZ bisher nur Beteiligungen im Ausland vorweisen, bald sollen Projekte im Waadtländer Jura hinzukommen.

Triftsee
Hier könnte irgendwann eine Staumauer stehen: Triftsee und Triftgletscher. (Bild: Noah Dustin von Weissenfluh, Unsplash)

Anders als beim 200-Millionen-Kredit vor einigen Monaten stimmte der Gemeinderat dem neuerlichen Kredit nicht einstimmig zu. Johann Widmer (SVP) sprach von einer «Mogelpackung», da so viele unterschiedliche Stromerzeugungsanlagen in eine Weisung gepackt worden seien. Den Ausbau der Wasserkraft-Kapazitäten sehe man in seiner Fraktion als unbedingt notwendig an, Solar- und Windanlagen, von denen manche vor Ort umstritten sind, lehne man ab, so wie auch insgesamt den Kredit.

Bei der AL standen die Zeichen genau umgekehrt. Andreas Kirstein sprach von guten Solar- und Wind-, aber auch ein paar «unsinnigen» Staudammprojekten. Speziell der Erhöhung des Grimselsee-Staudamms wolle man sich weiter widersetzen, der Weisung aber mehrheitlich zustimmen.

«Wir laufen Gefahr, die ökologischen Krisen noch zu verstärken, statt sie zu mildern.»

Michael Schmid (AL) zu den vom EWZ projektierten Wasserkraftprojekten.

Als einziger seiner Fraktion lehnte Michael Schmid die gesamte Weisung ab. Die Wasserkraft-Projekte überzeugten ihn nicht, erklärte er. Insbesondere, weil den Auswirkungen auf das Artensterben kaum Rechnung getragen werde. Beim Bericht des runden Tisches, auf den verwiesen werde, sei es zu groben Rechen- und Verfahrensfehlern gekommen, die Biodiversität sei nur oberflächlich behandelt worden. «Mit einigen der Wasserkraft-Projekte, die im Rahmenkredit aufgeführt werden, laufen wir Gefahr, die ökologischen Krisen noch zu verstärken, statt sie wie beabsichtigt zu mildern», schloss er.

In den anderen Fraktionen waren die vorgestellten Projekte weniger umstritten. Benedikt Gerth (Die Mitte) mahnte, dass es bislang nicht immer gelungen sei, die lokale Bevölkerung mitzunehmen und dass sich das verbessern müsse. Michael Schmid (FDP) entgegnete, dass sehr vielen Projekten vor Ort mit grosser Mehrheit zugestimmt werde, «natürlich kann es da auch mal eine Ablehnung geben».

Am Schluss stimmten alle Fraktionen ausser der SVP und dem linken Michael Schmid alle Parlamentarier:innen dem Rahmenkredit zu. Als Nächstes ist wieder die Stimmbevölkerung dran.

Uneinstimmig für den ESC

Wenn es in diesen Tagen in Zürich an einem nicht mangelt, dann an Anlässen. Am kommenden Wochenende werden alleine der feministische Streiktag, die Zurich Pride und das Stolze Open Air Tausende Menschen anlocken. Spätestens jetzt ist der Event-Sommer eingeleitet. Für die einen ist das Angebot mehr als ausreichend, für die anderen darf es ruhig noch etwas mehr sein. Das zeigte sich auch in der gestrigen Diskussion um die Austragung des Eurovision Song Contest (ESC) 2025.

Nach dem Sieg von Nemo vor einigen Wochen wird die Show im nächsten Jahr in der Schweiz stattfinden und die aussichtsreichen Städte beeilen sich, sich als Austragungsort ins Spiel zu bringen. In Zürich wurden in der Woche nach Nemos Sieg gleich zwei Postulate für eine Austragung vor Ort eingereicht. «Die Zeit hat nicht gereicht, beide Vorstösse zusammenzuführen», erklärte Marco Denoth (SP). Beide wurden in den letzten Wochen für dringlich erklärt und gestern noch längst über der Zeit diskutiert. Denn der Stadtrat will noch im Juni seine Bewerbung abgeben und damit mit Basel und Genf gleichziehen. Mit den Postulaten wolle man ihm den Rücken stärken, so Denoth.

«Ich gebe zu, ich habe schon Grossanlässe, die in der Stadt hätten stattfinden sollen, verhindert», sagte der Sozialdemokrat mit Blick auf seine Ablehnung einer Olympia-Bewerbung Zürichs. Beim ESC sei Zürich jedoch ein guter Austragungsort, denn man habe im Falle der Zusage nicht nur einen ökologischen Einfluss auf die Durchführung, sondern sei als offene, solidarische und inklusive Stadt auch die Plattform, die dieser Grossanlass brauche.

Denoth sprach von einer Einstimmigkeit im Parlament hinter dem ESC. Denn die beiden Postulate von SP und GLP sowie von FDP und Die Mitte/EVP unterschieden sich nur insofern, als dass Letztere eine «Zusammenarbeit mit privaten Partnern» sowie angestrebte positive Effekte für die lokale Wirtschaft stärker betonten.

Gleiches galt für die AL. Es gebe in der Fraktion Befürworter:innen und solche, denen der ESC egal sei, so Sophie Blaser. Sie fragte in die Runde, ob der Stadtrat wirklich einen Motivationsschub für eine ESC-Bewerbung brauche oder ob die Postulate nicht vielmehr einen Blankoscheck für die Stadt darstellten, um Geld für den Grossanlass auszugeben.

«Wenn nur noch stattfinden könnte, was alle in diesem Rat gut finden, dann wäre es sehr langweilig in Zürich», erklärte Michael Schmid (FDP) in die Richtung von SVP und den Verneinenden in den linken Parteien.Eine reale Einstimmigkeit kam aber nicht zustande. Die SVP lehnte beide Vorstösse ab, Sebastian Zopfi sprach von einer Ideologisierung des «einst ehrwürdigen Goncourt Eurovision de la chanson». Gemeint war damit die von Nemo vorgebrachte und von SP und GLP in ihrem Postulat aufgegriffene Forderung nach einem dritten Geschlechtseintrag in der Schweiz. Den Wettbewerb brauche Zürich neben der Pride und der Street Parade nicht auch noch. «Zeigen Sie sich grosszügig und lassen Sie eine andere Stadt mit einer vielleicht kleineren queeren Szene davon profitieren», so Zopfi.

Die Grünen waren gespalten: Während Dominik Waser Zürich als «queerste Stadt der Schweiz» für prädestiniert hielt, den ESC auszutragen, votierte ein Teil der Fraktion aus Ablehnung gegen Grossanlässe dagegen.

Gleiches galt für die AL. Es gebe in der Fraktion Befürworter:innen und solche, denen der ESC egal sei, so Sophie Blaser. Sie fragte in die Runde, ob der Stadtrat wirklich einen Motivationsschub für eine ESC-Bewerbung brauche oder ob die Postulate nicht vielmehr einen Blankoscheck für die Stadt darstellten, um Geld für den Grossanlass auszugeben.

«Wenn nur noch stattfinden könnte, was alle in diesem Rat gut finden, dann wäre es sehr langweilig in Zürich», erklärte Michael Schmid (FDP) in die Richtung von SVP und den Verneinenden in den linken Parteien.

Das Bild sah am Ende jedenfalls alles andere als einstimmig aus: Während die SVP als einzige Fraktion geschlossen beide Vorstösse ablehnte, enthielten sich FDP, sechs von sieben AL-Mitgliedern und drei Grüne beim SP- und GLP-Postulat, zwei Grüne und ein AL-Mitglied lehnten es ab. Beim Vorstoss von FDP und Die Mitte/EVP enthielten sich die SP und drei Grüne, die AL und zehn Grüne lehnten ab. Ein Ja zum ESC kam trotzdem in beiden Fällen raus.

Weitere Themen

  • Mittels Postulat forderten Liv Mahrer (SP) und Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne) den Stadtrat auf, Massnahmen zur Unterstützung von Diversität und Vielfalt der Buchhandlungen in der Stadt zu prüfen. Hintergrund ist die Entscheidung der städtischen Pestalozzi Bibliothek, ihre Beschaffungen künftig an externe Anbieter auszulagern. Dies gefährde kleinere, lokale Buchhandlungen, heisst es im Postulatstext. Alle Fraktionen ausser FDP und SVP nahmen den Vorstoss an. Stadtrat Filippo Leutenegger (FDP) erklärte, er nehme ihn gerne entgegen, aber «Wunder werden wir keine bewirken können».
  • Man freue sich riesig über das Urteil des Verwaltungsgerichts zu Zweitwohnungen, heisst es in einer von Tanja Maag verlesenen Fraktionserklärung der AL. Dieses hatte im März einen Rekurs von Zweitwohnungs-Anbietern wie Airbnb gegen eine BZO-Teilrevision abgewiesen, mit der bewirkt werden soll, dass befristet vermietete Zweitwohnungen nicht mehr dem Mindestwohnanteil angerechnet werden dürfen. Die Zeit des Zauderns sei nun vorbei, hiess es in Richtung von Stadtrat André Odermatt. Eine erneute, von der SP angekündigte Initiative, Business-Apartments nach dem Luzerner Modell zu verbieten, bezeichnet die AL als Ablenkungsmanöver von der Untätigkeit des eigenen Stadtrats.
  • Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne) machte in einer persönlichen Erklärung auf den feministischen Streik am morgigen Freitag aufmerksam. «Wir gehen auf die Strasse, weil wir uns für eine feministische, diskriminierungsfreie und gewaltfreie Zukunft für alle einsetzen», erklärte sie.
  • Michele Romagnolo (SVP) erzählte in einer persönlichen Erklärung davon, dass seine Fraktion sich bei der letzten Critical Mass (CM) ein Bild vor Ort gemacht habe. Sein Fazit: Es gehe um «Alkohol, Party, Drogen und Krawall» sowie des Weiteren darum, die Stadt Zürich lahmzulegen. Er forderte Stadträtin Karin Rykart (Grüne) auf, die CM zukünftig nur auf Routen zu bewilligen, wo sie den Verkehr nicht störe.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare