Gemeinderats-Briefing #82: Schluss mit Schlachten
2030 soll es vorbei sein mit dem Töten von Tieren auf Zürcher Stadtgebiet. Danach soll auf dem Schlachthofareal weiter Gewerbe bestehen, darüber ist man sich im Gemeinderat einig. Über den Weg dorthin aber nicht.
In Zürich wird noch mitten in der Stadt geschlachtet. Wobei das Schlachthofareal bei seiner Entstehung Anfang des 20. Jahrhunderts noch am Stadtrand lag. Heute ist die Liegenschaft neben dem Stadion Letzigrund direkt an der Grenze der Stadtkreise 4 und 9 und damit mitten in einem Gebiet, das stark wächst und sich dabei laufend verändert. 2030 soll es vorbei sein mit dem Töten von Tieren auf Zürcher Stadtgebiet. Das hat der Stadtrat Ende 2022 im Rahmen einer Nutzungsstrategie beschlossen (was bei den Gemeinderät:innen auf ein geteiltes Echo stiess). Aber was kommt danach? Das Gewerbe soll weiterhin seinen Platz dort haben, da sind sich alle Parlamentarier:innen einig. Doch hier endet die Einigkeit auch schon.
Gestern stellte der Stadtrat einen Zeitplan vor, der das weitere Vorgehen auf dem Areal darlegt.
Bereits im Jahr 2021 hatten SP und Grüne eine gemeinsame Motion eingereicht, die einen Gestaltungsplan für das Areal fordert. Dieser solle eine langfristige gewerbliche Mischnutzung mit einer öffentlichen Zugänglichkeit und Grün- und Freiraum für die Bevölkerung verbinden, so der Motionstext.
Auch die anderen Fraktionen hatten damals Ideen: Die AL wollte per Postulat die Einrichtung einer «Kunstwandelhalle» im Zentralgebäude des alten Schlachthofs prüfen lassen, die FDP ihrerseits mit einem Postulat einen «Zurich Food Cluster» für Gewerbe, Produktion und Innovation im Lebensmittelbereich dort entstehen lassen.
Im Bericht des Stadtrats heisst es, das Amt für Städtebau bereite aktuell eine Testplanung vor. Danach werde ein Masterplan ausgearbeitet und darauf folgend dann die Planungsverfahren erarbeitet. Erst dann, voraussichtlich im Jahr 2029, seien Planungsinstrumente wie ein Gestaltungsplan dran.
Die Frist von zwei Jahren zur Umsetzung der Gestaltungsplan-Motion wäre also unter keinen Umständen einzuhalten. Der Stadtrat bat deshalb den Gemeinderat darum, doch bitte den Bericht zur Kenntnis zu nehmen und die Motion als erledigt abzuschreiben.
Doch ganz so unkompliziert liessen sich die Parlamentarier:innen nicht abspeisen. Marco Denoth (SP) gab dem Stadtrat zwar recht: Einen Masterplan in zwei Jahren zu erstellen, sei beinahe ein Ding der Unmöglichkeit. Doch man wolle die Motion auch nicht einfach als erledigt abschreiben. Um deutlich zu machen, dass das Anliegen der Motionär:innen keineswegs erfüllt sei, solle das Wörtchen «erledigt» aus dem Antrag gestrichen und die Motion nur abgeschrieben werden.
Damit konnten sich viele Fraktionen anfreunden, die FDP allerdings nicht. «Wir trauen dieser Sache kein bisschen», erklärte Flurin Capaul. Er störte sich an der radikalen Streichung von 90 Arbeitsplätzen im Zuge der Schliessung des Schlachthofs und vermutete, dass bei der weiteren Planung gewerbliche Arbeitsplätze auch keine grössere Rolle mehr spielen würden.
Ein Indiz dafür sah er in der Zusammensetzung der sogenannten «Spurgruppe». Diese ist Teil des gerade erst gestarteten Mitwirkungsverfahrens in der Testplanung und soll sich aus Vertreter:innen verschiedener Anspruchsgruppen zusammensetzen. Doch: «Da sind fast keine Leute drin, die irgendetwas mit Arbeitsplätzen zu tun haben», sagte Capaul. Stattdessen fänden sich darin Personen, die selbst als städtische Angestellte tätig seien und nun der Stadt gegenüber Forderungen stellten. Der Gewerbeverband habe sich bereits aus der Gruppe zurückgezogen, weil das Thema Arbeitsplätze dort eine zu kleine Rolle spiele.
«Es gehen immer Arbeitsplätze verloren, wenn ein Betrieb aufgegeben wird», konterte Brigitte Fürer (Grüne). Beim Schlachthof wäre dies schon viel früher passiert, wenn das Areal nicht in städtischer, sondern privater Hand gewesen wäre, gab sie sich überzeugt. Sie äusserte, genauso wie Vertreter:innen der SP und Hochbauvorsteher André Odermatt (SP), die Hoffnung, dass sich FDP und Gemeinderat aus dem weiteren Planungsprozess nicht völlig zurückziehen.
Bis auf FDP und SVP nahmen alle Fraktionen den Bericht zur Kenntnis und schrieben die Motion ab, wenn auch unerledigt.
Impfungen und Tests sollen kostenlos werden
Apropos unerledigt: Um vorwärts zu kommen mit Geschäften und nicht irgendwann Sondersitzungen zum Abbau von Pendenzen machen zu müssen, überzog der Gemeinderat gestern um eine Viertelstunde.Im Eilverfahren diskutierte er am Ende eine Motion von Anna Graff (SP) und Yves Henz (Grüne) zum Thema kostenlose Infektionsprävention.
Angelehnt an die erfolgreiche Durchführung kostenloser Tests und Impfungen während der Corona-Pandemie, soll ein solches Angebot laut den Motionär:innen auf weitere übertragbare Krankheiten ausgedehnt werden. Das soll dazu führen, dass sich Menschen nicht aus Kostengründen von präventiven Massnahmen fernhalten, so Graff.
David Garcia Nuñez (AL) bezeichnete das Anliegen, und vor allem dessen «Verknüpfung mit der sozialen Frage» als «besonders sympathisch», allerdings sei es seiner Fraktion zu unfokussiert. Nicht als Motion, aber als Postulat unterstütze man es gern. Dieser Bedingung schlossen sich auch Nicolas Cavalli (GLP) und David Ondraschek (Die Mitte) an.
Auch Stadtrat Andreas Hauri (GLP) fand Präventionsarbeit wichtig. Doch anstatt gleich eine kreditschaffende Weisung ausarbeiten zu müssen, wie es eine Motion verlangt, sei es sinnvoll, zunächst Vorabklärungen zu machen, wo das aktuelle System mit diversen kostenlosen Angeboten zu einzelnen Infektionskrankheiten Lücken hat.
Während FDP und SVP sich an dem geplanten Ausbau kostenloser Leistungen auf Kosten der Steuerzahler:innen störten und ablehnten, sicherten sich die Motionär:innen mit der Umwandlung in ein Postulat eine breite Mehrheit. Yves Henz sprach zum Schluss von einem «goldenen Tag für die Stadt Zürich». Der «jahrhundertelange Kampf» der Linken für eine Gesundheit für alle gehe vorwärts. Die feierliche Stimmung wollte aber schon gar nicht mehr so recht passen zur ungeduldigen Aufbruchstimmung der Parlamentarier:innen, die hinaus in die Abendsonne drängten.
Sonnencreme soll weiter kosten
Das helle Himmelsgestirn mag dieser Tage unsere Gemüter erfreuen, aber die Sonne ist auch gefährlich. Die Schweiz habe eine der höchsten Hautkrebsraten der Welt, referierte Anna Graff (SP) zur Begründung einer Motion, die sie zusammen mit Dominik Waser (Grüne) eingereicht hatte. Darin fordern beide eine umfängliche Kampagne zum Schutz vor Hautkrebs.
Diese solle öffentliche Sensibilisierungsmassnahmen genauso umfassen wie die Bereitstellung von kostenloser Sonnencreme in öffentlichen Anlagen. Ausserdem sollten kostenlose Hautkrebs-Screenings angeboten werden.
Stadtrat Andreas Hauri konnte dem nichts abgewinnen. Hautkrebs mache lediglich zwei Prozent aller krebsbedingten Todesfälle aus und sei deshalb nicht so sehr zu priorisieren wie andere Krebsarten. Laut Expert:innen der Krebsliga Schweiz könne die kostenlose Abgabe von Sonnencreme sogar einen negativen Effekt haben und zu einem falschen Sicherheitsgefühl führen, aufgrund dessen man sich sogar stärker der Sonne aussetze als sonst. Auch regelmässige kostenlose Screenings könnten ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln. Hauri plädierte stattdessen dafür, den Fokus auf Schattenspender wie Bäume zu legen und nicht auf Sonnencreme.
«Als ich das Wort Eigenverantwortung gelesen habe, habe ich fast jubiliert.»
Walter Anken (SVP) über die Antwort des Stadtrats auf eine Motion für mehr Hautkrebs-Prävention.
Die weitere Diskussion fokussierte trotzdem auf die Sonnencreme und weniger auf die darüber hinaus geforderten Massnahmen. Thomas Hofstetter (FDP) betonte auch hier, kostenlos bedeute nur, dass die Steuerzahler:innen die Kosten tragen. Walter Anken (SVP) appellierte an die Selbstverantwortung und zeigte sich erfreut darüber, dass dieser Begriff auch Eingang in die Antwort des Stadtrats fand: «Als ich das gelesen habe, habe ich fast jubiliert.»
Nicolas Cavalli erinnerte an die Umweltauswirkungen von Sonnencreme und erklärte: «Wenn ich in der Badi meine Sonnencreme vergessen habe, hat sicher jemand von meinen Freund:innen welche dabei.» Auch David Ondraschek argumentierte, es sei nicht Aufgabe des Staates, seine Bürger:innen vor der eigenen Risikobereitschaft zu schützen.
Die Position der AL war ähnlich wie bei der Diskussion um Infektionsprävention: Man unterstütze das Anliegen, so David Garcia Nuñez, doch teile auch die Diagnose des Stadtrats, dass man mit Sonnencreme für alle nicht weiterkomme. Zudem störe man sich an einer «Sonnencreme-Giesskanne» für die gesamte Bevölkerung, die auch den Bewohner:innen des Zürichbergs zugutekomme. Als Motion lehne man den Vorstoss ab, als Postulat würde man ihm jedoch zustimmen.
Darauf liessen sich Graff und Waser ein, nur um am Ende doch ganz knapp zu scheitern: In den Reihen der Grünen hatte Urs Riklin sich gegen den Vorstoss entschieden und Nein gedrückt, woraufhin ein Gleichstand zwischen Ja- und Nein-Stimmen entstand. GLP-Gemeinderatspräsident Guy Krayenbühl entschied mit seinem Stichentscheid letztlich das Nein.
Weitere Themen
- Gegen die Stimmen von FDP und SVP wurde gestern ein Postulat von Anna Graff (SP) und Dominik Waser (Grüne) überwiesen, das die Stadt auffordert, sich der Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty Initiative anzuschliessen. Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich ein von pazifischen Inselstaaten angestossenes Projekt für internationale Zusammenarbeit. Das Ziel ist ein Vertrag zum Ausstieg aus fossilen Energien. In der Schweiz sind bisher Genf und Delémont der Initiative beigetreten.
- Einstimmig hat der Gemeinderat einer Weisung zugestimmt, die die Einrichtung eines Notfalllagers für Schutzmaterialien vorsieht. Insbesondere mit OP- und Atemschutzmasken soll für den Fall einer neuerlichen Pandemie vorgesorgt werden.
Sein Studium in Politikwissenschaften und Philosophie in Leipzig brachte Steffen zum Journalismus. Als freier Journalist schrieb er für die WOZ, den Tagesspiegel oder die Schaffhauser AZ. Laut eigenen Aussage hat er «die wichtigste Musikzeitschrift Deutschlands, die Spex, mit beerdigt». Seit 2020 ist Steffen bei Tsüri.ch. Sein Interesse für die Zürcher Lokalpolitik brachte das wöchentliche Gemeinderats-Briefing hervor. Nebst seiner Rolle als Redaktor kümmert er sich auch um die Administration und die Buchhaltung.