Gemeinderats-Briefing #59: Keine «Hippiekommune»

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Rat will keine Klimagenossenschaft in den Triemli-Hochhäusern, Plastikverbot ist nicht rechtens und ein Rezept sorgt für Verwirrung.

Die Ratssitzung startete mit einer persönlichen Erklärung von Ronnie Siev (GLP), in der er einmal mehr auf das Thema Antisemitismus aufmerksam machte. «Die Situation ist prekär und ich will, dass ihr euch darüber bewusst seid.» Zum einen nannte er Schmierereien gegen die jüdische Gemeinschaft, die in Zürich in den letzten Tagen vermehrt aufgetaucht waren, zum anderen eine Demonstration von vergangenem Wochenende, an der «Übles» skandiert worden war. Er mahnte die Sicherheitsdirektorin deshalb zur Vorsicht, damit die Situation nicht ausartet. Wie schwierig das für die Betroffenen ist, hat mein Kollege Simon Jacoby in Erfahrung gebracht; er hat mit Sievs Ratskollegen Jehuda Spielmann (FDP) und dem Autor Thomas Meyer gesprochen.

Damit war das Thema Antisemitismus abgehakt und man widmete sich anderen Anliegen, bei denen wieder weniger Einigkeit herrschte. Dass dies nicht in einem Wirrwarr an Änderungsanträgen ausarten soll, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Am Schluss bescherte die Debatte der Ratspräsidentin Sofie Karakostas einen Lachflash und erforderte eine dreimalige Wiederholung einer Stimmabgabe. 

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Illustration: Zana Selimi (Bild: Zana Selimi)

Ein Rezept für Verwirrung

Grund für die Verwirrung war ein Pilotprojekt für das sogenannte «Social Prescribing». Diese «sozialen Rezepte» sollen Menschen helfen, die nicht nur ein gesundheitliches Leiden haben, sondern auch in schwierigen sozialen Verhältnissen leben. So sollen neben medizinischen Behandlungen auch sozialarbeiterische Aufgaben angeboten werden, wie zum Beispiel Gartenarbeit oder Kochen. Durchführen sollen dies Fachpersonen aus der Sozialen Arbeit, namentlich «Link Worker». Das forderten David Garcia Nuñez und Ezgi Akyol (beide AL) bereits im Jahr 2020 in einer Motion, die schliesslich an den Stadtrat überwiesen wurde. 

Nun hat dieser ausgearbeitet, wie die Umsetzung aussehen und wie sie finanziert werden könnte: Gemäss entsprechender Weisung, will der Stadtrat den Pilot im ambulanten Bereich des Stadtspitals Zürich starten. Bereits 2024 sollen die ersten Sozialberatungen für Patient:innen möglich sein. Geplant wäre, das Projekt über vier Jahre lang durchzuführen und das Angebot bei Bedarf fortzusetzen oder falls nötig auszubauen. Eine Million Franken stellt der Stadtrat zur Verfügung.

Und genau bei diesem Punkt sieht die AL ihre Forderung ungenügend umgesetzt. Moritz Bögli sprach gestern davon, dass die Regierung versuche, die Idee bereits im Keim zu ersticken. Im Namen seiner Partei forderte er deshalb, dass der Stadtrat sich ein zweites Mal mit dem Projekt befasst und man in einem halben Jahr nochmals darüber abstimmt. In der Hoffnung, dass am Schluss höhere Geldbeträge respektive mehr Ressourcen gesprochen werden.

Bögli entschuldigte sich im Voraus für den komplizierten Antrag – vermutlich schon im Wissen, dass es zu einem ratsinternes Chaos kommen wird. Denn die einen Fraktionen wollten die Weisung des Stadtrats nicht zur Kenntnis nehmen, die anderen wollten ihn ablehnend zur Kenntnis nehmen und wieder andere wollten ihn zur Kenntnis nehmen. 

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Spoiler: Moritz Böglis Pulli war nicht der Grund für Sofia Karakostas Lachen. (Foto: Screenshot/Gemeinderat Zürich)

Bevor ich nun meine Verwirrung auf dich übertrage, überspringen ich ein paar Abstimmungen und somit leider auch den Lachflash von Ratspräsidentin Sofia Karakostas, die sich beim Vorlesen der Änderungsanträge mehrmals verhaderte und die Schlussabstimmung gleich mehrmals wiederholen musste, weil nicht mehr alle im Rat den Anträgen folgen konnten. Zugänglichkeit und Politik: Es ist ein Trauerspiel.

Am Ende schaffte man es dann aber doch noch, sich für etwas zu entscheiden – obwohl ich mir nicht sicher bin, ob wirklich alle Ratsmitglieder den Ausführungen Karakostas folgen konnten – und schickte den Bericht mit 62 zu 56 Stimmen nochmals zurück an den Stadtrat, der nun nochmals über die Bücher muss. Mein Kopf hofft auf eine leichtere Abstimmung in einem halben Jahr.

Rat will keine Klimagenossenschaft in Triemli-Hochhaus

Wir bleiben in den gesundheitlichen Gefilden – zumindest was die Gebäude betrifft. Denn die ehemaligen Personalhäuser der Stadtspitals Triemli erhalten eine neue Zukunft. Doch wie genau diese aussehen soll, ist noch unklar. Eine konkrete Idee haben der grüne Gemeinderat Dominik Waser und die Grünliberale Serap Kahriman. Denn sie forderten mit einem Postulat, dass der Stadtrat die künftige Nutzung der Triemli-Personalhäuser für eine «klimagerechte Genossenschaft» prüft.

«Die Erde ist ein Patient», zitierte Kahriman den Wissenschaftler Johann Röckstrom. Und weil auch der Bereich Wohnen dazu beiträgt, dem Klima zu schaden, sei es nötig, neue klimafreundliche Wohnformen zu testen. Die Triemli-Hochhäuser würden sich gut für ein solches Projekt eignen, da kleinflächiges Wohnen ohne grosse Anpassungen möglich wäre, führte Kahriman aus und betonte, dass das Postulat lediglich eines der drei Hochhäuser für das Projekt Klimagenossenschaft vorsieht.

Ungeachtet davon, liess sich Walter Anken von der SVP dazu verleiten, in der Vergangenheit zu schwelgen. Er habe als Student selbst in den Personalhäusern gewohnt und mochte den Panoramablick aus dem 13. Stock über die Stadt. Dass die Häuser bestehen bleiben, sei ihm ein Anliegen, allerdings will er auf keinen Fall, dass am Schluss «eine Hippiekommune» einzieht. Stattdessen soll die Bewohner:innenschaft durchmischt sein – so wie es auch die Gesellschaft sei, so Anken. Dass die Grünen es gerade in den alten sanierungsbedürftigen Triemli-Hochhäusern klimagerechtes Wohnen austesten will, kann er nicht verstehen.

«Man will sich selbst ein Haus schenken.»

Deborah Wettstein, FDP

Ähnlicher Meinung war auch die SP-Fraktion, weshalb sie das Postulat ablehnte. Die Idee der Klimagenossenschaft würden sie noch immer unterstützen, doch man wolle sich nicht so stark einschränken, was deren Standort betreffe, sagte Anjushka Früh. Zudem werde der Raum früher oder später wieder vom Spital genutzt. «Es ist fraglich, wie sinnvoll es ist, ein Projekt wie die Klimagenossenschaft, die auf Langfristigkeit ausgelegt ist, dort zu verwirklichen», so Früh. 

Während SVP und SP vor allem den ökologischen Aspekt kritisierten, ging die FDP gar noch einen Schritt weiter und warf den Postulant:innen Vetterliwirtschaft vor: «Man will sich selbst ein Haus schenken», kritisierte Deborah Wettstein. Anders könne sie sich nicht erklären, dass Dominik Waser vor kurzem eine Interessensgemeinschaft gegründet hat, die auf der Webseite schreibt, dass die Triemli-Hochhäuser als möglicher Standort infrage kommen würden. Es brauche eine Eigenleistung und nicht einfach «ein paar lustige Vorstösse», so Wettstein. 

Trotz Unterstützung von der AL und dem Willen seitens des Stadtrats, die Idee zu prüfen, verfehlte der Vorstoss mit 47 Ja-Stimmen zu 68 Nein-Stimmen sein Ziel ziemlich deutlich. Das Projekt «Klimagenossenschaft x Triemli-Hochhäuser» wird es also über einen anderen Weg schaffen müssen. 

Weitere Themen der Woche:

  • Plastikverbot vom Tisch: Weil der Plastikverbrauch in der Schweiz dreimal so hoch ist, wie in anderen europäischen Ländern, wollte die SP, Grünen und die EVP Einwegplastik per Gesetz aus der Stadt verbannen. Doch das geht laut Stadtrat nicht, weil es gegen übergeordnetes Recht verstossen würde. Ein Argument, das auf viel Verständnis stiess, weshalb die entsprechende Weisung vom Rat einstimmig angenommen wurde. Weniger klar war es bei der Frage, wie die Stadtverwaltung mit Einwegplastik umgehen soll. Denn nachdem der Stadtrat aufgrund eines Postulats von Gemeinderätin Anjushka Früh und Stadträtin Simone Brander (beide SP) geprüft hatte, wie dies umgesetzt werden könnte, kam er zum Schluss, dass die Forderungen bereits umgesetzt würden. Dieser Meinung war gestern auch eine Mehrheit des Parlaments, weshalb das Geschäft abgeschrieben wurde.  
  • (K)eine Chance für Viren 1: Weil sich viele Krankheitserreger über die Luft verbreiten, forderten die beiden SP-Gemeinderät:innen Anna Graff und Florian Blättler, dass die Stadt private Betriebe wie Restaurants, Einkaufsläden oder Kitas dabei unterstützen, CO₂-Messgeräte oder Luftfilter einzubauen. Für die rechte Ratshälfte ging diese Forderung zu weit und aus der Mitte kam Kritik. «Der Aufwand wäre unverhältnismässig», so Florine Angele von der GLP. Schliesslich wurde das Postulat mit 37 zu 75 Stimmen abgelehnt.
  • Hilfe für das Schweizerische Sozialarchiv: Der Kanton als auch die Stadt will ihre Förderungen in den Jahren 2024-2027 für das Schweizerische Sozialarchiv kürzen. Dies, weil der Verein zu sparsam mit dem Geld umgegangen sei, so der grüne Gemeinderat Balz Bürgisser. Anders sieht das Stadtrat Filippo Leutenegger: «Es ist keine Sparmassnahme, sondern ein Abbau von Reserven.» Trotzdem muss er sich nochmals mit dem Thema befassen: das Begleitpostulat von Bürgisser und Liv Mahrer (SP), das fordert, das Sozialarchiv bei Bedarf finanziell zu unterstützen, wurde mit 55 Ja- zu 54 Nein-Stimmen zur Prüfung überwiesen.
  • (K)eine Chance für Viren 2: Dass die Grippeimpfquote von Mitarbeitenden in den Stadtspitälern nur 25,7 Prozent beträgt, gibt Anna Graff (SP) und Frank Rühli (FDP) zu denken. Deshalb soll der Stadtrat prüfen, ob man eine neue Einheit innerhalb der Fachstelle Pandemievorsorge schaffen kann. Zwei befristete Stellen sollen sich dem Problem annehmen. Auch Walter Anken von der SVP fand die tiefe Quote «beschämend», bezeichnete die Forderung aber als unnötig. Dem pflichtete auch David Garcia Nuñez von der AL bei.Trotz einiger kritischen Stimmen wurde das Postulat am Schluss mit 88 zu 24 Stimmen dem Stadtrat zur Prüfung überwiesen.

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