Gemeinderats-Briefing #31: Gut Fonds will Weile haben

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Ein Wohnraumfonds und ein Mindestlohn für Zürich

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Für die einen waren die beiden Geschäfte, die gestern im Gemeinderat eine Mehrheit fanden, wichtige Meilensteine für ein sozialeres Zürich. Für die anderen gingen sie in die völlig falsche Richtung. Zumindest boten die Debatten um einen städtischen Wohnraumfonds und einen städtischen Mindestlohn Platz für einige Fraktionserklärungen, etwas Wahlkampf sowie ein saftiges Überziehen der Sitzungszeit um 45 Minuten.

Wohnraumfonds hat eine Mehrheit

Bereits in der Budgetdebatte im Dezember war der Wohnraumfonds ein Thema gewesen (wir berichteten), denn der Stadtrat hatte schon Geld für seine Einführung in 2023 budgetiert. Wenige Wochen später war die entsprechende Weisung des Stadtrats nun parat zur Diskussion – fast sechs Jahre, nachdem SP, Grüne und AL mit einer Motion die Einrichtung eines solchen Fonds gefordert hatten. Die Forderung selbst sei allerdings schon fast 20 Jahre alt, erklärte der zuständige Stadtrat Daniel Leupi (Grüne). Er könne sich erinnern, dass sie schon kurz nach seinem Eintreten in den Gemeinderat 2002 im Thema gewesen sei. Man habe jedoch abwarten müssen, bis der Kanton die rechtlichen Voraussetzungen für ein soches Instrument geschaffen habe.

Leupi reagierte damit auf Häme gegen die rot-grüne Wohnbaupolitik von bürgerlicher Seite. 30 Jahre seien die Linken in der Verantwortung, so SVP-Fraktionschef Samuel Balsiger kurz zuvor. Die Mieten seien trotzdem immer weiter gestiegen. Auch der Wohnraumfonds werde nicht die plötzliche Wende bringen, denn das Problem liege – wie sollte es anders sein? – bei der Masseneinwanderung. Auch die FDP erklärte die linke Wohnraumpolitik für gescheitert und den Fonds, so der Titel ihrer Fraktionserklärung, für einen «weiteren Schritt in die falsche Richtung». Von allen Zürcher:innen durch Steuergelder finanziert, biete das Instrument nur einer privilegierten Minderheit günstigen Wohnraum. Und das seien mitnichten diejenigen, die ihn am dringendsten brauchen, sondern die mit Glück oder guten Beziehungen. Zudem verknappten mehr gemeinnützige Wohnungen das Angebot auf dem übrigen Wohnungsmarkt, was die Preise nur weiter anheize, so FDP-Gemeinderat Hans Dellenbach für die bürgerliche Minderheit in der entsprechenden Sachkommission Finanzdepartement.

«Ich glaube, die Platte der SVP hat einen Sprung.»

Luca Maggi, Grüne, über das Argument der SVP, die Einwanderung treibe die Mietpreise nach oben

«Es ist absurd, zu sagen, dass die nicht profitorientierten Wohnbauträger an den höheren Immobilienpreisen schuld sind», entgegnete Martin Busekros (Grüne). Schliesslich gehöre ihnen weniger als ein Drittel der Wohnungen. Der 300 Millionen Franken schwere Fonds, der gemeinnützige Bauträger mit finanziellen Beiträgen beim Bau, Erwerb und Umbau von Liegenschaften unterstützen soll, sei ein Hebel: «Geht man von einem durchschnittlichen Beitrag von 15 Prozent aus, kommt man damit auf eine Wirkung von 2 Milliarden auf dem Immobilienmarkt.» Patrik Maillard (AL) sprach davon, der «St. Moritzisierung der Stadt Zürich» entgegenzutreten und fand den Fonds ein durchdachtes Konzept. Auch Simon Diggelmann (SP) nannte ihn «ein sehr sorgfältig ausgearbeitetes Förderinstrument». Anders sah dies Christian Traber (Die Mitte). Man sei zwar für den sozialen Wohnungsbau, aber «wir glauben nicht, dass so eine komplexe, schwierige Sache zum Fliegen kommen kann». Isabel Garcia legte dar, dass in ihrer GLP das Pro gegen das Contra überwogen habe. Ausschlaggebend sei vor allem gewesen, dass der Wohnungsmangel für das finanzschwächere Drittel der Bevölkerung ein grosses Problem darstelle und inzwischen auch die Mittelschicht betreffe. Ihr Änderungsantrag, dass für die betroffenen Liegenschaften Belegungsvorschriften gelten sollten, wurde ohne Gegenstimme angenommen. Damit steht die Mehrheit für das Vorhaben, das noch einmal durch die Redaktionskommission muss, bevor endgültig darüber abgestimmt wird. Und das dann schlussendlich vors Volk kommt.

Mindestlohn mit Ausnahmen

Auch bei der Forderung nach einem Mindestlohn war die Spaltung zwischen linker und rechter Ratsseite eindeutig. Die FDP titulierte in ihrer neuerlichen Fraktionserlärung gegen einen «Irrweg» und warnte vor einer Rechtsunsicherheit für Unternehmen, die entstehe, wenn nun jede Gemeinde ihren eigenen Mindestlohn einführe. Das «Instrument aus der planwirtschaftlichen Mottenkiste» heble zudem gut funktionierende Sozialpartnerschaften aus, indem es vor geltenden Gesamtarbeitsverträgen (GAV) gelten soll. Fanny de Weck (SP) entgegnete, Studien würden belegen, dass ein moderater Mindestlohn weder den Unternehmen noch dem Arbeitsmarkt schade: «Er nützt allen.» Bei den bisherigen kantonal eingeführten Mindestlöhnen, die wie in Neuchâtel oder Genf vor GAV gelten, sei auch nicht bekannt, dass diese den Vertrag aushebelten.

Das Vorhaben geht aus der Volksinitiative «Ein Lohn zum Leben» hervor, die massgeblich von linken Parteien, Gewerkschaften und Sozialverbänden getragen wurde. Der Stadtrat präsentierte mit seiner Weisung einen Gegenvorschlag, der den Initiativtext in weiten Teilen übernommen hatte. Die zuständige gemeinderätliche Sachkommission Sozialdepartement stellte gleich mehrere Änderungsanträge, präzisierte unter anderem den Geltungsbereich, schränkte die Ausnahme für Unter-25-Jährige etwas ein und erhöhte den geforderten Mindestlohn wegen der Teuerung von 23 auf 23.90 Franken. Kommissionsmitglied Walter Angst (AL) sprach von einem «kooperativen Verfahren». Im Vergeich zum Wohnraumfonds waren die Rollen von GLP und Mitte vertauscht. Ronny Siev erklärte, die GLP sei sehr besorgt über die Situation von Working Poor und teile das Anliegen, dass jede Person mit Vollzeitstelle ihren Lebensunterhalt bestreiten können soll. Ein Mindestlohn sei aber kein geeignetes Mittel zur Lösung. Josef Widler (Die Mitte) wiederum sagte, es sei «nicht so, dass die Mitte/EVP-Fraktion darauf gewartet hätte, einen Mindestlohn einzuführen». Seine Begründung, warum sie das Vorhaben trotzdem unterstütze, war interessant: «Wenn die Initiative zur Abstimmung kommt, ist mit grosser Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass sie angenommen wird. Drum haben wir uns überlegt, was wir machen können, um einen Kompromiss zu finden.» Zudem sei es wichtig, dass die Kinder sozial schwacher Familien nicht in die Sozialhilfe abglitten. Man fordere ausserdem in drei Jahren einen Bericht, der die Auswirkungen der Verordnung evaluiere. Eine Haltung, die Susanne Brunner (SVP) angesichts der kommenden Kantonsratswahlen für einen kleinen Wahlkampfauftritt nutzte: Während drei Parteien klar für den Mindestlohn und drei klar dagegen seien, sei es «eine grosse Tragik» für die Mitte, dass sie sich dem Pro-Lager angeschlossen habe. Auch diese Vorlage geht aufgrund der Änderungsanträge zunächst in die Redaktionskommission, bevor endgültig über sie abgestimmt wird.

Weitere Themen der Woche:

  • Zwei neue Schulanlagen für Zürich: Die beiden Schulanlagen Saatlen und Utogrund sollen neu gebaut werden. Während die SVP beim Neubau in Saatlen kurzfristig einen Rückweisungsantrag gegen den bislang grössten und teuersten Schulhausbau Zürichs stellte, stimmte sie am Ende doch mehrheitlich mit dem Rest des Gemeinderats der Weisung zu. Der Neubau der Schulanlage Utogrund war im Rat unumstritten, die Weisung wurde einstimmig angenommen. FDP, SVP und Mitte votierten allerdings gegen ein Begleitpostulat von Balz Bürgisser und Urs Riklin (beide Grüne), in dem diese möglichst wenig Parkfläche auf dem begrenzten Platz forderten.
  • Ja zur Frauen Fussball EM: Eine Mehrheit des Gemeinderats hat sich für die Bewerbung Zürichs als Austragungsort der Frauen Fussball Europameisterschaft ausgesprochen. Die entsprechende Weisung des Stadtrats sieht für den Fall einer Zusage Ausgaben in Höhe von 18'450'000 Franken vor. Der Gemeinderat nahm diese gegen die Stimmen der SVP und vereinzelter Grüner an. Die Grünen waren zuvor mit einem Änderungsantrag gescheitert, die Ausgaben nochmals um 1,5 Millionen Franken für eine Netto-Null kompatible Durchführung zu erhöhen. Beschlossen wurde gegen die Stimmen von SVP und AL die Förderung des Frauen- und Mädchenfussballs mit 2 Millionen Franken, unabhängig von der Zusage der EM-Austragung. Während die SVP darauf verwies, dass dafür nicht genug Fussballplätze zur Verfügung stünden, sah die AL eine Benachteiligung anderer Sportarten gegenüber dem schon am meisten geförderten Fussball.
  • Der Verein Sexuelle Gesundheit Zürich soll in den Jahren 2023 bis 2026 mit 521'900 Franken jährlich unterstützt werden. Eine entsprechende Weisung des Stadtrats wurde einstimmig vom Gemeinderat angenommen. Das sind etwa 130'000 Franken mehr als in den Jahren 2019 bis 2022. Damit sollen laut Kommissionsreferentin Tanja Maag (AL) die laufenden Präventionsangebote angesichts steigender Infektionszahlen mit sexuell übertragbaren Krankheiten ausgebaut werden. Für Walter Anken (SVP) sind die Mehrkosten vertretbar, «um HIV nach 40 Jahren endlich besiegen zu können».

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Sein Studium in Politikwissenschaften und Philosophie in Leipzig brachte Steffen zum Journalismus. Als freier Journalist schrieb er für die WOZ, den Tagesspiegel oder die Schaffhauser AZ. Laut eigenen Aussage hat er «die wichtigste Musikzeitschrift Deutschlands, die Spex, mit beerdigt». Seit 2020 ist Steffen bei Tsüri.ch. Sein Interesse für die Zürcher Lokalpolitik brachte das wöchentliche Gemeinderats-Briefing hervor. Nebst seiner Rolle als Redaktor kümmert er sich auch um die Administration und die Buchhaltung.

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