Kulturkampf um Ferienlager Fiesch: «Im Wallis gehört Fleisch dazu!»
Der Gemeinderat stärkt das Ferienlager Fiesch finanziell. Für Diskussionsstoff in der Ratssitzung sorgten zwei Vorstösse, die eine klimafreundlichere Ernährung und bessere Zugänglichkeit für Kinder aus ärmeren Familien fordern.
Für manch Zürcher:innen bedeutet das Ferienlager Fiesch im Wallis lebendige Jugenderinnerungen, den Beginn einer lebenslangen Freundschaft oder den ersten Kuss.
Jeden Sommer bietet das Lager 670 Stadtzürcher Kindern und Jugendlichen verschiedenste Sportkurse und Workshops zu Medien, Kunst oder Musik. Eine unpolitische Sache, wie man meinen könnte.
Nicht für den Zürcher Gemeinderat. Der diskutierte am Mittwoch knapp eine Stunde lang über das kulinarische Angebot sowie die Zugänglichkeit des Ferienlagers.
Anlass gab ein Antrag des Stadtrats, den jährlichen Beitrag von 150’000 auf 260’000 Franken anzuheben und eine einmalige Zusatzzahlung in der Höhe von 120'000 zu sprechen.
Begründet wurde dies mit besseren Löhnen für Betreuer:innen und Leiter:innen sowie mit gestiegenen Kosten des Feriendorfs Fiesch. Bis auf die SVP waren diese Erhöhungen im Rat unbestritten.
Für viel Diskussionsstoff sorgte stattdessen das Essen.
«Die Stadt Zürich hat Ernährungsrichtlinien und Klimaziele», sagte Urs Riklin (Grüne). Diese verlangten eine gesunde und klimaverträgliche Verpflegung – und daran müsse sich auch das Ferienlager Fiesch halten.
Ein Postulat aus seiner Partei fordert den Stadtrat auf zu prüfen, inwiefern das Menüangebot des Ferienlagers in diese Richtung verändert werden kann. «Pflanzliche Menüs sollen dabei den Standard bilden», heisst es darin.
Denn aktuell würde täglich Fleisch- oder Fisch angeboten, so Selina Walgis (Grüne). Und normalerweise esse man in den Lagern, was auf den Tisch kommt. «Wenn man Nachhaltigkeit vorleben und vermitteln will, muss man sie auch beim Essen umsetzen», sagte Walgis.
Das war gefundenes Fressen für die Bürgerlichen.
«Es geht um die Steuerung von Kleinkindern, sodass sie später Linksgrün wählen.»
Samuel Balsiger (SVP)
«Gerade im Wallis gehört Fleisch dazu!», sagte Flurin Capaul (FDP). Zudem gehe es um die individuelle Freiheit. «Die Personen im Fiesch sollen selber entscheiden können, was sie essen.»
Roger Meier (FDP) setze nach: Es gehe bei diesem Postulat um Umerziehung. Und schliesslich könnten die Teilnehmer:innen bereits jetzt angeben, ob sie vegetarisch essen wollten oder nicht. «Es werden immer zwei Menüs angeboten. Zudem gibt es immer ein Salatbuffet.»
«Klimaziele haben nichts mit Ideologie zu tun.»
Selina Walgis (Grüne)
Noch stärker blies die SVP in das Kulturkampfhorn. Es sei «ätzend», dass die Grünen in jeden Vorstoss ihre Ideologie einbringen müssten, so Stefan Urech (SVP). Parteikollege Samuel Balsiger war sich sicher: «Es geht um die Steuerung von Kleinkindern, sodass sie später Linksgrün wählen.»
«Klimaziele haben nichts mit Ideologie zu tun», entgegnete Walgis. Und Riklin wies darauf hin, dass auch bei Einhaltung der Richtlinien noch immer Fleisch aufgetischt werden könne. Unterstützung bekamen die Grünen von SP, AL und GLP, sodass das Postulat an den Stadtrat überwiesen wurde.
Dieselbe Mehrheit war dafür, die Teilnahme am Lager niederschwelliger zu gestalten. Zwar können bereits heute ärmere Familien eine Kostenübernahme bei der Stadt einfordern. Doch SP und AL forderten in einem Postulat, dass die Stadt über diese Vergünstigungen besser informiert und höhere Ermässigungen spricht. Der Prüfauftrag wurde mit 75 zu 45 Stimmen an den Stadtrat überwiesen.
Weitere Themen aus dem Rat
Zeichen gegen Gewalt an Frauen
Die Ratssitzung am Mittwoch begann mit einer Aktion zum «Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen», der am Dienstag stattfand. Über 20 Gemeinderätinnen aus AL, SP und Grünen verlasen Fälle von Feminiziden aus diesem Jahr.
«Jeden zweiten Tag wird eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist», sagte Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne). Lara Can (SP) machte politische Entscheidungen mitverantwortlich und kritisierte etwa die Forderung aus dem Ständerat, Soldaten wieder Munition nach Hause zu geben. Die Aktion löste im Rat grosse Betroffenheit aus.
SVP gegen «ACAB»-Graffitis
«Die Stadt Zürich ist mittlerweile eine reine Graffiti-Stadt», sagte Stephan Iten (SVP) im Gemeinderat. Polizeifeindliche Parolen wie «ACAB» oder «Kill Cops» würden aus seiner Sicht zu wenig konsequent entfernt. In einem Postulat verlangte er daher, solche Schmierereien auf dem gesamten Stadtgebiet – auch auf Privatflächen – «sofort und konsequent» zu beseitigen.
Von Links kam Kritik: Anna Graff (SP) sprach von erheblichem Aufwand und bezweifelte den Nutzen; Sven Sobernheim (GLP) gab zu bedenken, dass die Stadt nicht ohne Weiteres private Flächen reinigen dürfe. Moritz Bögli (AL) kritisierte die Einführung einer Sonderregelung einzig zugunsten des Polizeipersonals. Aus der FDP wiederum wurde ihm mangelnde Wertschätzung für die Polizei vorgeworfen. Das Postulat fand schliesslich nur bei SVP, FDP und Mitte/EVP Unterstützung. AL, Grüne, SP und GLP lehnten es ab, sodass es nicht überwiesen wurde.
FDP-Volksinitiative wird nicht sistiert
Die FDP wollte ihre Aufstockungsinitiative sistieren und damit die Forderung aufrechterhalten, bestehende Gebäude um ein Stockwerk erhöhen zu können, um ein «besseres, grösseres und vielfältigeres Wohnungsangebot» zu schaffen.
Eine Mehrheit des Parlaments lehnte den Sistierungsantrag jedoch ab. Und weil der Stadtrat die Initiative aus rechtlichen Gründen als ungültig einstuft, könnte sie somit bald vom Tisch sein. Die Initiative habe fachliche Schwächen, die nicht «verheben», sagte Jürg Rauser (Grüne). Zudem könnten die angestrebten Ziele ohnehin im Rahmen der laufenden Revision der Bau- und Zonenordnung (BZO) umgesetzt werden.
Mehr Geld für die Tonhalle
Die Trägerschaft der Tonhalle Zürich erhält höhere jährliche Beiträge. Grund dafür: Die angespannte finanzielle Lage der Kulturinstitution. «Die Tonhalle weist seit Jahren Defizite aus, vor allem aufgrund stark steigender Kosten», sagte Stadtpräsidentin Corine Mauch.
Es liege im Interesse der Stadt, dass das Angebot der Tonhalle weitergeführt werden könne. Künftig sollen jährlich knapp zwei Millionen Franken zusätzlich an die Tonhalle fliessen; ab 2026 beläuft sich die Subvention damit auf knapp 23 Millionen Franken pro Jahr. Unterstützt wurde die Erhöhung von allen Parteien, mit Ausnahme der SVP. Diese fürchtet zu hohe Ausgaben der Stadt.
Weniger administrativer Aufwand im Spital
«Die Gesundheitskosten sind in den letzten Jahren stark gestiegen», sagte Pascal Lamprecht (SP). Zudem bestehe ein Fachkräftemangel. In dieser Lage könne die Digitalisierung entlastend wirken. Zusammen mit zwei FDP-Politikern reichte er deshalb ein Postulat ein, das den Stadtrat auffordert zu prüfen, wie der administrative Aufwand für das medizinische Personal in den städtischen Gesundheitseinrichtungen reduziert werden kann – etwa durch den Einsatz von KI, Tablets oder anderen digitalen Lösungen. Der Prüfauftrag wurde von allen Parteien unterstützt.
Kulturlegi soll noch breiter zugänglich werden
Der Caritas-Ausweis richtet sich an Menschen mit kleinem Budget und ermöglicht Vergünstigungen – etwa bei städtischen Sportangeboten. Eine Mehrheit des Rats sprach sich dafür aus, den jährlichen Beitrag der Stadt um die knappe Hälfte auf insgesamt 142’000 Franken zu erhöhen. Zudem soll die Stadt prüfen, ob die 20 Franken Ausstellungskosten der Kulturlegi für besonders prekär lebende Bevölkerungsgruppen übernommen werden können. Scharfe Kritik kam einzig von der SVP. Ihr Exponent Michele Romagnolo bezeichnete das Vorhaben als «Tyrannei».
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Studium der Politikwissenschaft und Philosophie. Erste journalistische Erfahrungen beim Branchenportal Klein Report und der Zürcher Studierendenzeitung (ZS), zuletzt als Co-Redaktionsleiter. Seit 2023 medienpolitisch engagiert im Verband Medien mit Zukunft. 2024 Einstieg bei Tsüri.ch als Autor des Züri Briefings und Berichterstatter zur Lokalpolitik, ab Juni 2025 Redaktor in Vollzeit. Im Frühjahr 2025 Praktikum im Inlandsressort der tageszeitung taz in Berlin.