Stadt-Land-Graben

Zürich und Winterthur gegen den Rest – warum die Städte im Kanton fast nie gewinnen

Zürich und Winterthur sind jung, progressiv – und politisch machtlos. Denn im Kanton Zürich gilt: Wer das Land nicht überzeugt, verliert.

Escher-Wyss-Platz Tempo 30
Die kleineren Gemeinden werden Zürich und Winterthur bei der Mobilitätsinitiative wohl im Stich lassen. (Bild: Thomas Hug-Di Lena)

Wer im Kanton Zürich eine Abstimmung gewinnen will, braucht mindestens 225’000 Stimmen; zumindest bei einer durchschnittlichen Stimmbeteiligung von etwa 50 Prozent.

Die Stadt Zürich könnte eine Initiative mit 60 Prozent Ja-Stimmen annehmen – und trotzdem verlieren. Warum? Weil Gemeinden wie Hinwil und Andelfingen nein sagen.

Was bedeutet dies für den Graben zwischen progressiven Städten Winterthur, Zürich und Uster im Vergleich zum konservativen Rest? Können die drei grössten Städte des Kantons gegen das Land gewinnen?

Am Sonntag entscheiden die Zürcher Stimmberechtigten über das Vorkaufsrecht und über die Mobilitätsinitiative. Bei beiden Vorlagen wird ein deutlicher Gegensatz zwischen den drei grossen Städten und den kleineren Gemeinden erwartet, der Einfachheit halber hier als «Stadt-Land-Graben» bezeichnet.

Welche Macht dabei die drei grössten Orte bei Abstimmungen haben, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Die Volksinitiative «Gegen Steuergeschenke für Grossaktionär:innen» der Alternativen Liste (AL) im Jahr 2022 war mit einer Mehrheit von 50,47 Prozent eine der knappsten im Kanton Zürich. Zudem weisen die Resultate einen klaren Stadt-Land-Graben auf.

Uster unterstützt die Städte nur manchmal

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei anderen Abstimmungen: Klimagesetz, Anti-Chaoten-Initiative oder der Elternzeit. Zürich und Winterthur gegen den Rest, manchmal mit Unterstützung aus Uster, der drittgrössten Stadt des Kantons.

Warum dies so ist, darüber gibt es diverse Studien, wie der kürzlich publizierte Stadt-Land-Monitor von Sotomo. Die Menschen in Zürich, Winterthur oder Uster sind jünger, weltoffener und besser ausgebildet. Das schlägt sich auch mit deutlich progressiveren Ergebnissen an der Urne nieder.

Auf dem Land dagegen leben mehr ältere Menschen mit engerer Verbindung zur Region – sie setzen eher auf Sicherheit, Tradition und lokale Verbundenheit.

Zürich, Winterthur und Uster können am kommenden Sonntag nicht im Alleingang die Abstimmungen zum Vorkaufsrecht gewinnen und jene zum Tempo-30-Verbot bodigen. Denn gemeinsam kamen sie bei der Abstimmung zu den Steuergeschenken auf 117’000 Stimmen. Um das knappst mögliche Resultat von 225’000 Stimmen zu erreichen, fehlt noch einiges. 

Städte brauchen Unterstützung vom Land

Wenn die Städte gewinnen wollen und so abstimmen, wie normalerweise bei Stadt-Land-Vorlagen, sind sie auf eine mindestens 45-prozentige Unterstützung vom Land angewiesen. Damit kämen sie auf das Minimum, das es braucht, um eine Abstimmung für sich zu entscheiden.

Selbst mit überdurchschnittlicher Mobilisierung im Abstimmungskampf sind Zürich, Winterthur und Uster auf die Unterstützung von kleineren Gemeinden angewiesen. 

Ob die grossen Städte am Sonntag Unterstützung der Landbevölkerung kriegen? Beim Tempo-30-Verbot wohl kaum, denn dies betrifft die kleineren Gemeinden wenig. Das Vorkaufsrecht hat bessere Chancen, weil die Wohnkrise längst auch in der Agglomeration angekommen ist.

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simon

An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Nina. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.

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Kommentare

Marie
27. November 2025 um 07:27

Was das Ganze leider (aus linker Perspektive) noch zusätzlich erschwert ist die Dauer der Einbürgerung. Gerade in den Städten leben viele junge, gut ausgebildete Menschen, die wie ich nicht politisch partizipieren dürfen, weil sie keinen Pass haben