Racial Profiling

Anti-Rassismus: Stadtpolizei ist dem Kanton einen Schritt voraus

Während sich die Zürcher Kantonspolizei gegen Anti-Rassismuskurse sträubt, hat die Stadtpolizei Massnahmen ergriffen, um Racial Profiling vorzubeugen. Handlungsbedarf sehen Expert:innen vor allem bei der Diversität im Polizeikorps.

Unfriedlicher Ordnungsdienst Stadtpolizei Zürich
Die Stadtpolizei Zürich hat in den letzten Jahren verschiedene Massnahmen gegen Racial Profiling eingeführt. (Bild: Stadtpolizei Zürich)

«Ich lasse mir von Ihnen keine Rassismusdiskussion bei der Polizei aufzwingen.» Mit diesen Worten schmetterte der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr (parteilos) am Montag ein Postulat ab.

Drei Kantonsrätinnen – darunter auch die Stadtzürcher SP-Politikerin Mandy Abou Shoak – hatten darin Kurse zu Antidiskriminierung und Racial Profiling für die Kantonspolizei gefordert. Auch eine unabhängige Meldestelle zum «Whistleblowing-Schutz» forderten sie und prangerten problematische «Cop-Culture» an. 

In der Stadt Zürich sind ähnliche Postulate bereits angenommen worden, doch im bürgerlichen Kantonsrat hatte der Vorstoss keine Chance:  mit 117 zu 53 Stimmen wurde dieser abgeschmettert. Im Antwortschreiben des Regierungsrats heisst es: «Die Kantonspolizei kommt seit vielen Jahren ihren Hausaufgaben nach», und: «Das Vertrauen in die Schweizer Polizei ist gegeben.»

«Dass sich Bürgerliche mit Hand und Fuss wehren, ist suspekt»  

Dabei führt der Regierungsrat auch fragwürdige Statistiken an. So etwa, dass bis zu 98 Prozent der Bevölkerung mit der Arbeit der Kantonspolizei zufrieden sei. Befragt wurden dafür jedoch Personen, die etwa einen Einbruch erlebt haben oder an einem Verkehrsunfall beteiligt waren. Eine Befragung von Personen, die ins Visier der Polizei geraten sind oder Repression erlebt haben, dürfte ein anderes Bild zeichnen.

Philip Bessermann, Geschäftsleiter der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, spricht daher von einem «totalen Kategorienfehler» und fügt an: «Die Kantonspolizei und der Vorsitzende Mario Fehr wollen das Thema einfach abblocken.» Tatsächlich führt der Regierungsrat in seinem Antwortschreiben zahlreiche Massnahmen an, die schon heute umgesetzt werden.

So gebe es «eine offene Führungskultur» und Schulungen zum Umgang mit Minderheiten. Angehende Polizist:innen würden sich in der Ausbildung auch mit Racial Profiling auseinandersetzen, und für Beschwerden oder sonstige Meldungen sei die Ombudsstelle zuständig. «Rassismus hat bei der Kantonspolizei keinen Platz», heisst es weiter. 

Läuft bei der Kapo also alles einwandfrei? «Es gibt keine Rassismus-freie Gesellschaft,» sagt Philip Bessermann, Geschäftsleiter der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus: «Vorurteile sind in den Menschen und somit auch in Polizeibeamten verbreitet.» Jedoch könne man Massnahmen dagegen ergreifen: «Schwierig ist, dass es schweizweit keine öffentlich zugängliche Daten über den Einsatz von Polizeimitteln wie Personenkontrollen gibt.» So sei es unmöglich, die Dunkelziffer zu diskriminierenden Polizeieinsätzen einzuschätzen.

Solche Datenerhebungen würden den Grundstein legen, um die Dunkelziffer von missbräuchlichen Personenkontrollen anzugehen. «Es muss im Interesse von uns allen sein, diese Fakten herauszufinden, auch vom Regierungsrat. Ausser man hätte etwas zu verstecken.», so Bessermann. Doch selbst mit vorhandenen allgemeinen Daten sei noch nicht sichergestellt, dass der Anteil von Racial Profiling in der Polizeiarbeit bekannt würde, weil viele Betroffene aus Verdrossenheit keine Beschwerde oder Anzeige machten.

Stadtpolizei hat auf Racial-Profiling-Fälle reagiert 

Anders als die Kantonspolizei muss die Stadtpolizei Zürich seit 2018 alle Personenkontrollen in einer App festhalten. Diese Daten sollen auch dazu dienen, Rückschlüsse auf allfälliges Racial Profiling zu machen. Der Gemeinderat hat zudem im September mit klarer Mehrheit ein Postulat der SP angenommen, das den Stadtrat beauftragt, weitere Massnahmen gegen rassistische Polizeikontrollen zu prüfen.

Handlungsanlass gab insbesondere ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2024: Dieser hatte die Schweiz wegen rassistischer Diskriminierung verurteilt, weil sie einen Vorwurf des Racial Profiling nicht ausreichend geprüft hatte. Seither wurden auch neue Richtlinien für Personenkontrollen veröffentlicht und es wurde ein Pilotprojekt mit Bodycams durchgeführt. 

«Seit der Einführung der App hat eine gewisse Beruhigung eingesetzt», findet der Grünen-Gemeinderat Markus Knauss, der die Sachkommission Sicherheitsdepartement und Verkehr präsidiert. Seinen Aussagen zufolge ist die Problematik bei der Stadtpolizei in den letzten Monaten nicht mehr aufgetaucht.

Markus Knauss
Der Grüne Gemeinderat Markus Knauss präsidiert die Sachkommission Sicherheitsdepartement/Verkehr. (Bild: Tsüri.ch)

Menschen mit C-Ausweis im Polizeikorps?

Um Diskriminierung vorzubeugen, helfe es auch, wenn das Polizeikorps die Gesellschaft demografisch abbilden würde. In der Stadt Zürich gäbe es zwar zahlreiche Polizist:innen mit Migrationshintergrund, die Anzahl Frauen sei jedoch tief: 

Knauss ist überzeugt: «Die Polizei wäre eine andere, wenn wir mehr Frauen hätten, vor allem auf Kaderstufe. Dort sind Frauen noch immer stark unterrepräsentiert.» Stand Dezember 2023 war jede vierte Person, die bei der Stadtpolizei arbeitete, weiblich. Die Kantonspolizei gibt an, der Frauenanteil liege bei 24 Prozent, 14 Prozent der Mitarbeitenden hätten eine doppelte Staatsbürgerschaft. 

Auch Philip Bessermann beschäftigt die Frage der Repräsentation in der Polizei. Er sagt: «Den Polizeikorps für Menschen mit C-Ausweis zu öffnen, hätte ein riesiges Potenzial.» Er sei der Ansicht, dass Menschen, die hier seit vielen Jahren leben und einen sauberen Leumund haben, einwandfreie Polizist:innen sein könnten. Eine solche Massnahme würde zudem dem Personalmangel entgegenwirken. Diskriminierung im polizeilichen Alltag liesse sich auch dadurch mindern, dass rassismuskritische Personen diese Arbeit übernehmen. Es sei ein Problem, dass kaum linke Personen bereit sind, für die Polizei zu arbeiten: «wenn man diese Arbeit scheut, entsteht kaum eine Polizei, die nach linken Werten handelt.» 

Ohne Deine Unterstützung geht es nicht.

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2800 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 3000 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!

Jetzt unterstützen!
tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare