Gemeinderat der Woche: Benedikt Gerth (Die Mitte)
Benedikt Gerth ist ein ganz pragmatischer Mitte-Politiker und sucht sich für seine Anliegen die passenden von Links oder Rechts zusammen. Er findet, dass der Zürcher Norden in der Zürcher Politik manchmal etwas untergeht und dass der Einsatz für den Flughafen und die Bahn kein Widerspruch sein muss.
Zum Ende der Gemeinderatssitzung in dieser Woche lieferte sich Benedikt Gerth einen kurzen Schlagabtausch mit Stephan Iten (SVP), ob nun Affoltern oder Seebach mehr Einwohner:innen habe. Iten hatte ein Postulat mit eingereicht, in dem die Wiedereröffnung der Quartierwache Seebach gefordert wurde, Gerth ein Postulat, in dem der Erhalt einer Quartierwache in Affoltern verlangt wurde. Schlussendlich unterstützten sich beide Fraktionen in ihren jeweiligen Anliegen gegenseitig. «Wenn ich selbst etwas ähnliches für Affoltern fordere, wäre es inkonsequent, das SVP-Postulat nicht zu unterstützen», meint der 45-Jährige dazu. Die Stadt habe ein Quartierkonzept mit jeweiligen Quartierzentren, strebe aber ausgerechnet bei der Polizei eine Zentralisierung mittels Hauptwachen an, so Gerth, der als Grund dafür auch ein gewisses Misstrauen gegenüber der Polizei bei der linksgrün dominierten Stadtregierung vermutet.
Der Affolterner ist – ganz Mitte-Politiker – ein Pragmatiker, der sich für seine Anliegen die passenden Verbündeten von Links oder Rechts zusammensucht. Zuletzt spannte er für mehrere Vorstösse mit Heidi Egger (SP) zusammen, beispielsweise wenn es um die bereits erwähnte Quartierwache, ein quartierschonendes Verkehrskonzept für den provisorischen Recyclinghof oder die konfliktarme Umsetzung der Velovorzugsroute im Norden ging. Mit Egger, die ursprünglich aus Affoltern stamme und nun in Seebach wohnt, liessen sich pragmatische Lösungen für den Zürcher Norden finden, sagt er.
Dieser habe mit dem Flughafen und den Bahnlinien bereits eine sehr gute Infrastruktur, doch müssten die Quartieranliegen ernster genommen werden. «Ich würde nicht sagen, dass der Norden politisch vernachlässigt wird», so Gerth. «Aber er geht manchmal vielleicht etwas unter.» Das kürzlich vorgestellte Tramprojekt von Affoltern nach Stettbach begrüsst er, betont jedoch, dass ein kritischer Blick auf die Umsetzung wichtig sei: «Es wird dazu führen, dass viele Bäume, aber auch Parkplätze weichen müssen.»
Gerth ist Key Account Manager bei den SBB, er betreut dort die Westschweizer Partnerbahnen, die Dienstleistungen zum Beispiel im Bereich von Reparatur oder Personal bei den Bundesbahnen bestellen. Er ist nicht nur im Vorstand des Quartiervereins Affoltern, sondern Mitglied sowohl in der IG Pro Bahn als auch in der IG Pro Flughafen. Das sei kein Widerspruch, findet er: «Zürich hat unter anderem deshalb einen erfolgreichen Finanzplatz, weil es den Flughafen gibt. Eine gute Bahnanbindung unter anderem an das nahe Ausland ist für die Stadt aber auch essenziell.»
Für Kurzstreckenflüge brauche es sinnvolle Alternativen, das sei aber etwas, was man auf europäischer und nicht auf Gemeindeebene angehen müsse, meint er, und fügt an: «Hier drin hat man manchmal die Tendenz, Weltpolitik zu machen.» Er selbst sorgt sich lieber um die städtische Verkehrs-, Wirtschafts- und Energiepolitik als Mitglied der Sachkommission Tiefbau- und Entsorgungsdepartement sowie Departement der Industriellen Betriebe. Und fragt sich, ob man langfristig nicht eine alternative Energiequelle zur Müllverbrennung für die Fernwärme braucht oder ob ein zu flächendeckender Ausbau der Solarenergie nicht zu übermässig viel volatilem Strom für unser Netz führt.
Warum sind Sie Gemeinderat geworden?
Ich habe mich schon immer für die Politik interessiert, sowohl auf kommunaler und kantonaler als auch auf Bundesebene. Als es dann beruflich für mich passte und sich die Gelegenheit bot, habe ich es daher sehr gerne probiert in den Gemeinderat gewählt zu werden. Ich bin nach wie vor sehr zufrieden und dankbar, dass ich mein Amt ausüben darf. Wenngleich der Handlungsspielraum innerhalb des Gemeinderats teilweise recht gering ist, macht es mir Spass an Kompromissen oder Lösungen zu feilen, um mit anderen Parteien eine breite Mehrheit für eine Sache zu gewinnen.
Mit welche:r Ratskolleg:in der Gegenseite würden Sie gerne mal ein Bier trinken gehen?
Grundsätzlich gehe ich gerne mit allen Ratskolleg:innen ein Bier trinken, meist geht es ja nicht nur um politische Themen und die meisten sind umgänglich. Vielleicht wäre es mal spannend, mit einem SVP- und einem AL-Vertreter eine Diskussion beim Bier zu führen und dann eventuell sogar einen Kompromiss zu erreichen: Zum Beispiel mit Samuel Balsiger und Moritz Bögli?
Welches Abstimmungsergebnis hat Sie bisher am meisten geärgert?
Ich kann wohl kein einzelnes Ergebnis direkt herausstreichen, es gab immer wieder knappe Resultate, die mich geärgert haben. Akzeptieren muss ich sie eh. Was mir aber spontan in den Sinn kommt, sind die unsinnigen Diskussionen zum Thema Schulung der städtischen Mitarbeitenden zum Extremismus, bei denen man sich schlussendlich nur auf die extrem einseitige Formulierung der Schulung über den Neofaschismus einigen konnte. Als wären Stalinismus und religiöser Fundamentalismus harmloser...
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Sein Studium in Politikwissenschaften und Philosophie in Leipzig brachte Steffen zum Journalismus. Als freier Journalist schrieb er für die WOZ, den Tagesspiegel oder die Schaffhauser AZ. Laut eigenen Aussage hat er «die wichtigste Musikzeitschrift Deutschlands, die Spex, mit beerdigt». Seit 2020 ist Steffen bei Tsüri.ch. Sein Interesse für die Zürcher Lokalpolitik brachte das wöchentliche Gemeinderats-Briefing hervor. Nebst seiner Rolle als Redaktor kümmert er sich auch um die Administration und die Buchhaltung.