Fachkräftemangel in Umweltberufen: «Es reicht nicht, neue Ausbildungen zu schaffen»
Arbeitgeber:innen der Umweltbranche buhlen um die Gunst geeigneter Fachkräfte – denn diese sind rar. Grund für die Misere sei auch eine fehlende Voraussicht gewesen, ist sich die grüne Ständerätin Adèle Thorens Goumaz sicher. Nun plädiert die Präsidentin der Organisation der Arbeitswelt (OdA) Umwelt für die Förderung von bereits vorhandenen Fachkräften.
Isabel Brun: Sie sind Präsidentin der Organisation der Arbeitswelt (OdA) Umwelt. Warum braucht es ein derartiges Netzwerk für grüne Berufe?
Adèle Thorens Goumaz: Die OdA Umwelt geht davon aus, dass unsere Wirtschaft früher oder später nachhaltig werden muss – und dass sie das auch wird. Diese Transformation stellt eine Gesellschaft jedoch vor grosse Herausforderungen. Der Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien, von der linearen Wirtschaft zur Kreislaufwirtschaft, wird die Art und Weise, wie in vielen Bereichen gearbeitet wird, grundlegend verändern.
Inwiefern?
Zum einen werden neue Tätigkeitsbereiche geschaffen, zum anderen werden Berufe durch grüne Fähigkeiten ergänzt. Die Kreislaufwirtschaft beispielsweise erfordert, dass auf dem Arbeitsmarkt viel mehr Menschen mit Qualifikationen in den Bereichen Reparatur, Wartung und Recycling zur Verfügung stehen. Die Ausbildung potentieller Arbeitskräfte ist daher ein unverzichtbarer Hebel für diesen Übergang.
Was bedeutet das konkret?
Der Umbau zu einer nachhaltigen Volkswirtschaft kann nur gelingen, wenn Arbeitgeber:innen oder Firmen Personal mit den erforderlichen Fähigkeiten finden. Das bedeutet auch, dass sich auch Qualifikationsprofile weiterentwickeln müssen.
In welchen Branchen ist das aktuell besonders wichtig?
Zurzeit herrscht ein dramatischer Mangel an Fachkräften im Bereich der energetischen Gebäudesanierung und der Photovoltaikanlagen. Dabei sind sowohl die Gebäudedämmung als auch der Ausbau der erneuerbaren Energien dringend notwendig, um das Klima zu schützen sowie unsere Energieversorgung ab diesem Winter zu sichern. Wir brauchen junge Menschen, die sich in diesen Berufen engagieren, und etwas ältere Menschen, die sich weiterbilden, um sich neu zu orientieren.
Wenn ich an grüne Berufe denke, kommen mir da eher die Umweltingenieurin oder der Biologe in den Sinn als Gebäudetechniker:innen.
Alle Berufe können grün sein – und sollen grün werden. Auch wenn es momentan einige Sektoren stärker betrifft als andere; der ökologische Wandel unserer Wirtschaft ist ein Querschnittsphänomen. Egal, ob im Bauwesen, in der Energieversorgung, der Mobilität, im Einzelhandel, in der Landwirtschaft oder in der Finanzbranche.
In der Finanzbranche?
Das Pariser Abkommen verlangt, dass Finanzströme zur Reduzierung der CO2-Emissionen beitragen. Früher oder später wird sich der Bankensektor in diese Richtung entwickeln müssen, sei es durch eine freiwillige Selbstverpflichtung oder weil die Staaten Gesetze erlassen.
Wie ernst kann man die Bestrebungen einer Bank nehmen, wenn sie eine:n Nachhaltigkeitsexpert:in sucht?
Greenwashing kann es natürlich immer geben. Aber die Banken werden sich mittelfristig ernsthaft engagieren müssen. Ich ermutige daher interessierte Fachpersonen stets, sich weiterzubilden, um glaubwürdig in diesem Bereich arbeiten zu können.
Aber Sie sind ja nicht alleine dafür verantwortlich, dass sich Fachkräfte weiterbilden.
Nein, die Verantwortung tragen in erster Linie Bildungsakteur:innen und Wirtschaftszweige sowie der Bund. Diese drei Entscheidungsträger:innen prägen die Transition mit, indem sie Lehrinhalte rechtzeitig anpassen oder neue Ausbildungen schaffen.
Sie sprechen die neue Berufslehre zum Solarteur respektive zur Solarteurin an, die es ab Sommer 2024 geben wird?
Das wäre ein Beispiel für eine neue Ausbildung – wobei diese deutlich zu spät kam. Gut wäre, die Entwicklung der verschiedenen Berufe vor dem Hintergrund der Umweltkrise vorauszusehen. Der Mangel an qualifizierten Fachkräften im Bauwesen und im Bereich der Solarenergie zeigt, dass nicht immer alles richtig gemacht wurde.
Dabei hätte die Schweiz laut einer Studie aus Basel eigentlich das Potential, genügend Fachkräfte für den Umbau in eine grüne Volkswirtschaft zu rekrutieren.
Potential zu haben bedeutet nicht, dass wir es immer voll und rechtzeitig ausschöpfen. Die Schweiz hat ein ausgezeichnetes Bildungssystem, sowohl auf akademischer als auch auf beruflicher Ebene. Die in den Unternehmen verankerten Lehrgänge sind sehr praxisnah, sodass Entwicklungen schnell wahrgenommen werden können. Die OdAs ermöglichen es zudem, eine nützliche Schnittstelle zwischen den Ausbildungskreisen, Arbeitgeber:innen, Arbeitnehmenden und Behörden zu schaffen.
Aber?
Es bedarf noch weiterer Anstrengungen im Bereich der Zukunftsforschung, um besser zu verstehen, wie sich die verschiedenen Berufe entwickeln werden und welche neuen Kompetenzen erforderlich sein werden. Denn im Umweltbereich können Regulierungen schlagartig erfolgen: Wenn das Parlament neue Unterstützungen für erneuerbare Energien beschliesst, hat das auch Auswirkungen, die sich schnell auf den Personalbedarf und die Art der geforderten Qualifikationen auswirken.
«Es fühlt sich niemand dafür verantwortlich – bis die Fachkräfte in der eigenen Branche fehlen.»
Welche Branche wird Ihrer Meinung nach als nächstes von einer solchen Änderung betroffen sein?
Die Europäische Union wird ab 2035 die Zulassung neuer Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor verbieten – einige Länder auch schon fünf Jahre früher. Das wird Berufe im Automobilsektor stark verändern, weshalb er sich schnell darauf anpassen muss; auch in der Schweiz. Die Fähigkeiten zur Reparatur und Wartung eines Elektroautos unterscheiden sich von den Fähigkeiten, die Garagisten zur Reparatur oder Wartung von Autos mit Benzinmotor erworben haben.
Wie können wir solche Vorgänge beschleunigen?
Das ist nicht so einfach: Eine der Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind, ist, dass der ökologische Übergang der Wirtschaft alle Sektoren betrifft und sich gleichzeitig niemand so richtig dafür verantwortlich fühlt – zumindest nicht, bis der eigene Sektor von einem Fachkräftemangel betroffen ist. Und dann ist es schon viel zu spät. Wichtig ist deshalb, zu verstehen, dass es nicht ausreicht, neue Ausbildungsgänge zu schaffen und darauf zu warten, dass junge Absolvent:innen aus ihnen hervorgehen.
Sondern?
Auch das Personal, das bereits auf dem Markt ist, muss sich weiterbilden können. Das ist auch eine soziale Herausforderung, um die Beschäftigungsfähigkeit der vorhandenen Mitarbeitenden zu gewährleisten und zu verhindern, dass Menschen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden, weil ihre Kompetenzen nicht mehr den aktuellen Anforderungen entsprechen.