Klima, Krise, Karriere: Warum Zürcher:innen in «Green Jobs» arbeiten – Teil 2 - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Isabel Brun

Redaktorin

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11. November 2022 um 05:00

Zwei Umweltingenieur:innen zwischen Pragmatismus und Träumereien

In den letzten Jahren entschieden sich viele Zürcher:innen für eine Ausbildung in der Umweltbranche – auch dem Klima wegen. Im zweiten Teil spricht eine angehende Agroforsterin über ihre Träume in Brasilien und ein Solaringenieur über den fehlenden Mut von Regierungen.

Moritz Meier stattet die Stadt mit Solarpanels aus, Yara Walther sieht sich dem Wald verpflichtet – den grünen Wandel prägen beide mit. (Fotos: Isabel Brun)

Die Umweltbranche ist im Umbruch. Auch, weil der grüne Umbau von der Politik gefördert wird. Was im Hinblick auf die Klimakrise eine wünschenswerte Entwicklung ist, hat auch seine Tücken: «Der Übergang in eine klimaverträgliche Wirtschaft wird durch den Mangel an Umweltprofis ausgebremst», so der Volkswirtschaftler und Politologe Wolfram Kägi. Dabei sind sogenannte «Green Jobs» beliebter denn je: Waren es 2010 noch 3500 Personen, die an der Universität Zürich einen Studiengang in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik wählten, stieg die Zahl im Jahr 2020 auf knapp 8900 Studierende.

Was sind das für Menschen, die sich für einen Beruf in der Umweltbranche entschieden haben? Welche Rolle spielte dabei die Klimakrise? Und was macht ihren Beruf «grün»? 

Yara Walther: Träumerin ohne Kompromisse

Gelbbraune Blätter säumen den Kiesweg auf dem Friedhof Sihlfeld. Yara Walther stellt ihr Fahrrad neben eine Sitzbank ab und schlägt ihren Schal enger um den Hals. Im Rahmen ihres Studiums habe sie einmal alle Pflanzen auf dem Gelände nach ihrer Art bestimmt, erzählt sie. Bäume, Sträucher und insbesondere der Wald haben es ihr angetan.

Sein Schutz ist zu ihrer Priorität geworden.

Nicht nur, weil er selbst in Gefahr ist: «Die Menschheit hat so viel abgeholzt, dass unser ganzes Wassersystem ins Ungleichgewicht zu geraten droht. Ich sehe darin mitunter einen Grund, weshalb es auf der ganzen Welt zu extremen Dürreperioden kommt», erklärt Walther. Darunter leide schliesslich die gesamte Gesellschaft. Der soziale Aspekt sei ein wichtiger Treiber für ihre Studienwahl gewesen, sagt die 27-Jährige. Dabei schlug sie erst einen anderen Weg als jenen zu einem grünen Beruf ein.

Ob sie tatsächlich nach Brasilien auswandert, werde sie erst nach ihrem Studium entscheiden, sagt Yara Walther.

Aufgewachsen in einem Dorf in Schaffhausen absolviert Walther zuerst eine Berufslehre als medizinische Praxisassistentin. «Es war mir wichtig, eine Ausbildung zu machen, mit der ich Menschen helfen und der Gesellschaft etwas zurückgeben kann.» Noch während der Lehre beginnt sie sich für Heilpflanzen und Alternativmedizin zu interessieren, erwägt eine Weiterbildung in diesem Bereich. Bis ein Freund ihr von Glühwürmchen auf einem Friedhof erzählt: «Er untersuchte für seine Bachelorarbeit das Auftreten der Tiere im Zusammenhang mit den dort vorkommenden Pflanzenarten. Das faszinierte mich so sehr, dass ich mehr darüber erfahren wollte, wie ökologische Systeme zusammenhängen», so Walther. 

2019, im Jahr als Greta Thunberg die Welt wachrüttelt, beginnt sie ihr Studium in Umweltingenieurwissenschaften an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Während dieser Zeit habe sie erkannt, wie bedroht  unsere Böden sind, «und dass Landwirtschaft nicht nur betrieben wird, um uns zu ernähren.» In ihrem Hauptfach zu biologischer Landwirtschaft lernt Walther, die mittlerweile in der Stadt Zürich wohnt, weshalb sich Permakulturen grossflächig noch nicht etabliert haben. Und sie hört das erste Mal vom System der Agroforstwirtschaft – einer Kombination aus Ackerbau und Forstwirtschaft. 

«Ich habe mich gefragt, wo mein Einsatz am effektivsten ist.»

Yara Walther, angehende Agroforsterin

Nicht nur beruflich manifestiert sich zu dieser Zeit Walthers Zukunft. Im Sommer 2014 geht sie das erste Mal nach Brasilien, wo ihre Mutter geboren und aufgewachsen ist. Eine Reise, die ihr die Augen öffnet: «Obwohl ich die Sprache nicht konnte, fühlte ich mich plötzlich vollkommen. Das tönt so platt, aber es stimmt.» Sieben Jahre später kehrt sie nach Südamerika zurück, um von Agrofrost-Pionier Ernst Götsch zu lernen. 

«Ich habe mich stets gefragt, wo ich das Privileg, in der Schweiz geboren zu sein, am besten nutzen kann», so Walther, «wo ist mein Einsatz am effektivsten?» Ihre Antwort ist nun klar: In Brasilien. Verschont vom Winter, in einer Umgebung mit hoher Luftfeuchtigkeit bestehe in den dortigen Waldsystemen viel Potential zur Regeneration. Es hat laut der Studentin deshalb nicht nur mit ihrer Verbundenheit zum Land zu tun, dass ihr Traum, in Brasilien eine selbstversorgende Agroforstwirtschaft zu betreiben, vielleicht Wirklichkeit wird. «Es wurde mir sogar schon Land angeboten.» In einem Jahr wird Walther ihr Studium an der ZHAW abschliessen, danach könne sie sich ein solches Abenteuer gut vorstellen: «Ich will am grösstmöglichen Rad drehen.» Das Rad, das ist in ihrem Fall der brasilianische Wald.

Moritz Meier: Sonnenaffiner Pragmatiker

Wie eine goldene Säule erstreckt sich der Andreasturm an diesem Novembermorgen in den dichten Nebel. Das 80 Meter hohe Hochhaus neben dem Bahnhof Oerlikon ist der Arbeitsplatz von Moritz Meier. Seit fünf Jahren arbeitet der Solaringenieur für eines der grössten Ingenieurbüros der Schweiz; berechnet CO2-Bilanzen von Gemeinden, berät diese zu Klima- und Energiestrategien und erarbeitet mit ihnen entsprechende Massnahmen. In der Region Graubünden hat Meier schon so einige Städte auf den Weg zu Netto-Null gebracht.

«Oft hapert es an der Angst, die Innovationen könnten nicht wirtschaftlich genug sein.»

Moritz Meier, Solaringenieur

Dabei stammt der 32-Jährige gar nicht aus der Südostschweiz, sondern aus dem Aargau. Dort wuchs er auf einem Bio-Bauernhof direkt neben dem Atomkraftwerk Leibstadt auf. Das hat Spuren hinterlassen: «Meine Kindheit war sehr grün geprägt», erinnert sich Meier, «mein Vater besetzte einst das AKW Kaiseraugst.» Wie stark der Einfluss seiner Eltern auf ihn tatsächlich war, zeichnete sich erst nach Meiers Berufslehre als Heizungsplaner ab. «Dass ich damals in der Gebäudetechnik landete, war eher Zufall als Absicht. Ich hätte genauso gut Schreiner werden können.» Trotzdem war seine Karriere in der Umweltbranche nach dato praktisch besiegelt.

Nach der Lehre entschied sich Meier, Energie- und Umwelttechnik an der Fachhochschule Nordwestschweiz zu studieren; ein Studiengang, der zu dieser Zeit ganz neu war. «Für mich war klar: Ich wollte etwas gegen den Klimawandel unternehmen.» Auf den Boden der Tatsachen gebracht wurde der frischgebackene Ingenieur wenige Monate nach seinem Abschluss 2016, als er bei seinem jetzigen Arbeitgeber anfing. «Damals wurden in Energiegremien einzelner Kund:innen der Klimawandel noch als Glaubensfrage abgetan.» Das habe sich schlagartig geändert, als Greta Thunberg auf den Plan trat, sagt Meier. «Die Fridays-for-Future-Bewegung hat der Akzeptanz für die Klimaerwärmung einen enormen Schub gegeben.» 

Moritz Meier wünscht sich von den Verantwortlichen mehr Mut und Willenskraft.

Doch obwohl das Bewusstsein mittlerweile auch bei eher konservativen Gemeinden wachse, sei es noch immer so, dass es mindestens eine Person in der Exekutive und der Verwaltung brauche, die auf den Tisch haue. Meier wünscht sich deshalb von seinen Auftrageber:innen mehr Mut: «Es gibt viele Ideen und Innovationen, aber oft hapert es an der Angst, diese könnten nicht wirtschaftlich genug sein.» Die aktuelle Lage habe vielen Menschen vor Augen geführt, was fossile Abhängigkeiten bewirken würden. Eine Chance, die es laut ihm zu nutzen gilt.

Im Gespräch merkt man: Meier ist kein Träumer. Eher ein Pragmatiker mit gesundem Verhältnis zur Realität. 

Und einem guten Riecher: Von 2018 bis 2021 absolvierte der einstige Heizungsplaner seinen Master an einem der grössten Solarinstituten Europas – weil er in der Sonnenkraft Zukunft sah. «Meine Arbeit war und ist zu hundert Prozent intrinsisch motiviert.» Es erstaunt nicht, dass sich Meier nicht nur beruflich mit der Klimakrise befasst: Vor einigen Jahren gründete er den Verein «Vert le Futur» mit, der sich für eine nachhaltige Kultur- und Veranstaltungsbranche in der Schweiz einsetzt. «Weil es überall Bestrebungen braucht.»

Der Nebel um den Andreasturm hat sich mittlerweile gelichtet, der Himmel über Zürich bleibt an diesem Tag jedoch grau. Meier verabschiedet sich und verschwindet im goldenen Turm, in dem er die grüne Wende mitprägen wird. 

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