Klima, Krise, Karriere: Warum Zürcher:innen in «Green Jobs» arbeiten – Teil 1 - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Isabel Brun

Redaktorin

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10. November 2022 um 05:00

Zwei Nachhaltigkeitsexpert:innen zwischen Idealismus und Realität

In den letzten Jahren entschieden sich viele Zürcher:innen für eine Ausbildung in der Umweltbranche – auch dem Klima wegen. In Teil eins erzählt ein Nachhaltigkeitsexperte von seiner idealistischen Studienwahl und eine Umweltingenieurin von ihrer mehrdimensionaler Sicht auf Nachhaltigkeit.

Claudine Karlen und Manuel Holzer: Beide studierten einst an der ETH Umweltingenieurwissenschaften. (Fotos: Isabel Brun)

Die Umweltbranche ist im Umbruch. Auch, weil der grüne Umbau von der Politik gefördert wird. Was im Hinblick auf die Klimakrise eine wünschenswerte Entwicklung ist, hat auch seine Tücken: «Der Übergang in eine klimaverträgliche Wirtschaft wird durch den Mangel an Umweltprofis ausgebremst», so der Volkswirtschaftler und Politologe Wolfram Kägi. Dabei sind sogenannte «Green Jobs» beliebter denn je: Waren es 2010 noch 3500 Personen, die an der Universität Zürich einen Studiengang in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik wählten, stieg die Zahl im Jahr 2020 auf knapp 8900 Studierende.

Was sind das für Menschen, die sich für einen Beruf in der Umweltbranche entschieden haben? Welche Rolle spielte dabei die Klimakrise? Und was macht ihren Beruf «grün»? 

Manuel Holzer: Antikapitalist auf Abwegen

Seine Studienwahl sei wie bei vielen idealistisch geprägt gewesen, erklärt Manuel Holzer: «Ich dachte mir, was könnte man brauchen, um die Probleme dieser Welt zu lösen.» Holzer lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, damit sein Gesicht von der Sonne verschont bleibt. Diese ist auch noch an diesem Tag Ende Oktober so stark, dass er den Pullover auszieht und schliesslich nur noch im T-Shirt dasitzt. Der Klimawandel sei vor über zehn Jahren schon «ein Thema» für ihn gewesen, so der heute 30-Jährige. Auch, weil er die Folgen davon schon früh mitbekommen hat. Auf dem Land aufgewachsen; der Götti Bio-Landwirt im Zürcher Limmattal, der Holzer als Bub auch mal mit aufs Feld mitnahm.

«Idealismus als Ausgangslage macht es immer schwierig, glücklich im Job zu werden.»

Manuel Holzer, Nachhaltigkeitsspezialist

Trotzdem habe er lange Zeit mit einem Architekturstudium geliebäugelt, erinnert sich Holzer, weil ihn die Schnittstelle zwischen Gestaltung und Technik faszinierte. «Gerade der gestalterische Fokus erschien mir dann aber doch zu wenig sinnstiftend in einer Zeit, in der es dringlichere Probleme gibt.» In den Umweltingenieurwissenschaften fand er schliesslich einen Kompromiss: Naturwissenschaftlicher als Architektur, angewandter als Naturwissenschaften. «Ich meinte immer, nicht der geborene Forscher zu sein», sagt Holzer, stattdessen stand sein Ziel, Veränderungen voranzutreiben, stets im Fokus. Er war davon überzeugt, dass das Wissen für einen ökologischen Umbau der Gesellschaft bereits vorhanden sei.

Wie wir Gewässer gesund erhalten können, habe ihn schon immer interessiert, so Manuel Holzer.

Seine Meinung änderte der Zürcher erst während eines Praktikums in Kolumbien, bei dem er die Auswirkungen verschiedener Klimawandel-Szenarien auf den Kaffeeanbau  untersuchte. «Da verstand ich, dass es durchaus Sinn macht, die Natur zuerst besser verstehen zu wollen und erst danach nach Lösungen zu suchen.»

Auch wenn alles länger dauert, als Holzer das gerne hätte. 

Vielleicht war es seine Ungeduld, die ihn nach seinem Master in Umweltchemie wieder zurück in die Praxis bringt. Während der Pandemie arbeitet der ehemalige ETH-Student bei Nestlé, berechnet unter anderem Klima-Bilanzen für den Konzernriesen: «Bei grossen Unternehmen kann man manchmal mehr bewirken als in kleinen KMU.» Das merke er am eigenen Leib, seit er bei einem Schweizer Schokoladenhersteller als Nachhaltigkeitsexperte angestellt ist. Wie so oft geht es laut Holzer schlussendlich immer um Geld; darum, dass in der Privatwirtschaft Firmen nur ein kleines Budget für Klimaschutz sprechen. «Es reicht nicht, eine:n Expert:in für Nachhaltigkeit einzustellen und einen Nachhaltigkeitsbericht zu schreiben. Es braucht eine Geschäftsleitung und einen Verwaltungsrat, die Nachhaltigkeit als integralen Teil der Unternehmensstrategie mitdenken.» Holzer kritisiert während des Gesprächs mehrmals das System der neoliberalen Marktwirtschaft, bezeichnet sich selbst als Antikapitalist. 

Das sei mitunter ein Grund, weshalb er sich heute wieder vorstellen könne, in der Forschung zu arbeiten – zurück auf Anfang sozusagen. «Jeder Fortschritt begann mit einer Utopie. Auch wenn sie zu Beginn nicht pragmatisch scheint.» Holzers Wunsch, die Probleme dieser Welt zu lösen und nicht nur zu verstehen, führten ihn einst auf den Pfad eines grünen Berufs, heute weiss er: «Idealismus als Ausgangslage macht es immer schwierig, glücklich im Job zu werden.» Vielleicht ist das auch der Preis, den man zahlt, wenn man die Probleme dieser Welt lösen möchte.

Claudine Karlen: Umweltingenieurin mit Weitsicht

Der Treffpunkt im hippen Zürcher Industriequartier könnte wohl nicht passender sein, um sich mit Claudine Karlen über ihren Beruf zu unterhalten. Im Kulturpark unweit des Turbinenplatzes arbeitet die 28-Jährige in einem Beratungs- und Forschungsbüro für nachhaltiges Bauen. «Nachhaltigkeit muss in Bezug auf Gebäudeplanung immer mehrdimensional betrachtet werden», erklärt Karlen. Die CO2-Bilanz einer Immobilie sei nur ein Aspekt, wenn auch ein wichtiger, «aber auch die soziale oder wirtschaftliche Nachhaltigkeit hat ihre Berechtigung». Das habe man während ihres Studiums zur Umweltingenieurin an der ETH zu wenig thematisiert, findet sie und hofft, dass das zwei Jahre nach ihrem Abschluss mittlerweile anders ist.

Nichtsdestotrotz bezeichnet Karlen ihre Ausbildungswahl als «Glückstreffer»: «Die Kombination aus Technik und Naturwissenschaften entsprach genau meinen Vorstellungen.» Schon als Jugendliche habe sie sich für technische Dinge interessiert, für den Bezug zur Natur sei ihre Mutter, eine Biologin, verantwortlich gewesen. Dass man mit unserer Natur behutsam umgehen sollte, bekam sie schon früh mit auf den Weg. 

«Bei einer nachhaltigen Bauweise geht es um mehr als um die CO2-Bilanz», sagt Claudine Karlen.

Karlen bestellt sich einen Cappuccino mit Erbsenmilch. Es riecht nach frischem Kaffee, Seifen und Kräutern; neben Getränken und Snacks verkauft das Ladencafé allerlei nachhaltige Produkte. Es sei ihr Stammlokal für Kaffeepausen bei der Arbeit, so die Zürcherin, «und dann läuft man schon mal mit ein paar neuen Sachen im Arm aus dem Laden».

Wenn Karlen lacht, lachen ihre Augen mit. Ernster wird die Nachhaltigkeitsspezialistin, wenn man auf die Klimakrise zu sprechen kommt.

In ihrem Beruf als Beraterin in der Baubranche sei sie zwar am richtigen Hebel, jedoch auf den Willen der involvierten Parteien angewiesen. «Es gibt manchmal Bauherr:innen, die bereits eine sehr konkrete Vorstellung davon haben, wie ein Gebäude aussehen soll. Dann bedarf es einer Mischung von Hartnäckigkeit und Kreativität, um sie von einem nachhaltigen Baustil zu überzeugen», so Karlen.

«Ich würde gerne mehr in die politischen Prozesse eintauchen.»

Claudine Karlen, Umweltingenieurin

Dass ihr manchmal auch durch die aktuelle Gesetzgebung die Hände gebunden seien, sei ernüchternd. Auch wenn sich laut Karlen diesbezüglich in den letzten Jahren viel getan hat: «Dank dem zunehmenden Druck von gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und rechtlicher Seite sehen sich mittlerweile auch Architekt:innen, Planer:innen und Baufirmen in der Pflicht, ihren Teil zu leisten.» Dass das Beratungsbüro, bei dem die Ingenieurin seit eineinhalb Jahren zu einem 90-Prozent-Pensum angestellt ist, in den vergangenen fünf Jahren ihr Personal am Standort Zürich von einem Dutzend auf rund 50 Fachleute aufgestockt hat, unterstreicht diese Entwicklung. 

Der Arbeitskräftemangel sei auch bei ihnen omnipräsent: «Wir suchen ständig neue Mitarbeitende.» Auf die Frage, ob sie selber gedenkt, den Arbeitsplatz zu wechseln, sagt Karlen: «Es gefällt mir hier, ich würde aber gerne mehr in die politischen Prozesse eintauchen.» Aus diesem Grund beginnt die Umweltingenieurin bald einen weiterführenden Master an der ETH.

Ähnlich wie Manuel Holzer zielt auch Karlens Zukunftsvision darauf ab, Veränderungen stärker mitbestimmen zu können: Sie will an den Rahmenbedingungen rütteln und so den Grundstein für nachhaltige Bauweisen legen. Nicht als Politikerin, sondern als Umweltingenieurin, die Nachhaltigkeit mit all ihren Facetten versteht. 

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