Gemeinderats-Briefing #74: Vorschlag angenommen.
Über 600'000 Quadratmeter Strassenraum sollen Grünflächen und Fuss- und Veloverkehr Platz machen. So hat es eine Gemeinderatsmehrheit im Gegenvorschlag zu den Stadtklima-Initiativen formuliert. Die hatten insgesamt mehr als 900'000 Quadratmeter gefordert.
Was haben die Städte Chur und St. Gallen mit dem Kanton Genf gemeinsam? Eine gewisse Entfernung zur Zentralschweiz, das stimmt. Aber nicht nur das: Sie alle nehmen auch eine Vorreiterrolle beim ambitionierten städtischen Klimaschutz in der Schweiz ein. Ausgedacht haben sich das die Gemeinden und der Kanton nicht ganz allein, die Forderung kam vom Verein Umverkehr, der in insgesamt zehn Schweizer Städten und Gemeinden seine Stadtklima-Initiativen eingereicht hat. In Chur, St. Gallen und Genf wurden die Initiativen oder entsprechende Gegenvorschläge angenommen, im Kanton Basel-Stadt wurden sie abgelehnt. In Zürich wird voraussichtlich noch dieses Jahr die Entscheidung fallen. Der Grundstein dafür wurde gestern im Gemeinderat gelegt.
Die Forderung der beiden Stadtklima-Initiativen in Zürich: Innerhalb von zehn Jahren sollen pro Jahr 0,5 Prozent der Strassenfläche in Grünraum mit Bäumen umgewandelt werden («Gute-Luft-Initiative») sowie noch einmal 0,5 Prozent in Flächen für den Fuss- und Velo- sowie den öffentlichen Verkehr («Zukunfts-Initiative»). Rechnet man diese von Umverkehr ins Spiel gebrachten Prozentzahlen zusammen, kommt man auf jeweils 462'000 Quadratmeter Strassenfläche pro Initiative. Der Stadtrat begrüsste in seinen jeweiligen Weisungen die Stossrichtung der Initiativen, hielt die darin geforderte umzuwandelnde Fläche aber für unrealistisch gross. Er hatte einen Gegenvorschlag formuliert, in dem er die Umwandlung von 40'000 Quadratmetern zu Grünraum und 160'000 Quadratmetern zu Fuss-, Velo- und ÖV-Fläche anpeilt. Das wiederum war einer Mehrheit des Gemeinderats zu unambitioniert. Anna Graff (SP) präsentierte Gegenvorschläge von SP, Grünen, GLP und AL. Diese sehen für mehr Grünraum 145'000 Quadratmeter vor und für mehr Platz für Velo und ÖV 462'000 Quadratmeter, also genau so viel, wie die Initiative es verlangt hatte. Der Unterschied zu den Initiativen, so Graff, bestehe darin, dass man mit konkreten Zahlen arbeite und nicht mit Prozentzahlen. «Die Zahl ist nicht aus der Luft gegriffen», erklärte sie. So schlüsseln die Gegenvorschläge auf, wie viele Quadratmeter Strasse durch welche Massnahmen umgewandelt werden sollen, und nehmen auch bisher projektierte und geplante Prozesse mit auf. So soll ein Teil der Umwandlungen im Rahmen bereits geplanter Strassen-Neubauprojekte stattfinden, für die Fuss- und Velo-Optimierung sollen neu Expressprojekte hinzukommen.
Die Gegenvorschläge beachteten auch bereits angenommene Forderungen: Eine tatsächlich autofreie Ausführung von 50 Kilometern Velovorzugsroute wird ebenso angerechnet wie die Umsetzung der Entsiegelung auf bisherigen Strassenflächen, die in der Stadtgrün-Initiative angenommen wurde.
Der Stadtrat begrüsste die Gegenvorschläge der Gemeinderatsmehrheit und zog seine eigenen zurück. Die Fraktionen rechts der GLP zeigten sich gar nicht begeistert. Vertreter:innen von SVP und FDP monierten, es gehe den Linken und Grünen letztendlich nur darum, mit allen Mitteln den motorisierten Individualverkehr aus der Stadt zu treiben.
Andreas Egli (FDP) warnte bei einer Annahme der Initiative vor noch mehr Bautätigkeit in der Stadt als auch schon. Er erklärte ausserdem, es wäre eine massive Ressourcenverschwendung, den ganzen Beton vor Ende seiner regulären Lebenszeit wieder herauszureissen. Dem entgegnete Michael Schmid (AL), es handle sich vielmehr um die Behebung einer früheren Fehlmassnahme – nämlich überhaupt erst alles zu betonieren.
Die Initiant:innen von Umverkehr haben bereits angekündigt, ihre Initiativen zurückzuziehen, wenn die Gegenvorschläge aus dem Gemeinderat von diesem angenommen werden. Nun werden die Zürcher:innen darüber entscheiden, ob sich Zürich eher zu Genf oder zu Basel gesellen soll. Voraussichtlich wird es im September so weit sein.
Mehr Uferschutz, auch mit Stadion
Eine weitere Initiative beschäftigte gestern den Gemeinderat: diejenige für mehr Uferschutz. Sie fordert für Bauten ab 25 Metern Höhe einen Abstand von mindestens 150 Metern zum Seeufer sowie von mindestens der vierfachen Sohlenbreite des Flusses zur Limmat. Weil in diesen Perimeter noch gerade so das geplante neue Stadion mit seinem Hochhaus-Ensemble fällt, hatte es Befürchtungen gegeben, die Initiative könne zu einer erneuten Abstimmung über das Stadionprojekt werden (mein Kollege Simon Jacoby berichtete kürzlich darüber).
«Der Paragrafendschungel wird nicht lesbarer, wenn wir noch eine Verordnung mehr haben.»
Snezana Blickenstorfer (GLP), hält weitere Bestimmungen zum Uferschutz für unnötig.
Der Stadtrat jedoch sehe in der Initiative ganz klar keine Gefährdung des Stadionprojekts, erklärte Jürg Rauser (Grüne) gestern bei der Vorstellung der entsprechenden Weisung. Die Stadtregierung hatte eine Ablehnung der Initiative beantragt und einen Gegenvorschlag formuliert. Dieser sieht die Aufnahme einer Bestimmung in die Gemeindeordnung vor, «die den sorgsamen Umgang mit den Ufern aller städtischen Gewässer regelt». Dabei sollten die Uferbereiche als Naherholungsgebiet und Lebensraum für Pflanzen und Tiere erhalten bleiben.
Eine unkonkrete Forderung, die es nicht brauche, war sich Snezana Blickenstorfer (GLP) sicher: «Der Paragrafendschungel wird nicht lesbarer, wenn wir noch eine Verordnung mehr haben.» Die Ziele des Uferschutzes könnten auch mit den heutigen Instrumenten gut erreicht werden. Die Initiative wiederum drehe sich allein um die Verhinderung von Hochhäusern, wobei solche am Seeufer sowie am grössten Teil der Limmat gar nicht geplant seien.
Auch FDP und SVP sprachen sich sowohl gegen die Initiative als auch den Gegenvorschlag aus. Angelica Eichenberger (SP) fand dagegen, das Anliegen der Initiative sei unterstützenswert, der Weg aber der falsche. «Wo Hochhäuser gebaut werden sollen, soll im Rahmen der Hochhausrichtlinie besprochen werden», erklärte sie.
Die Grünen unterstützten dagegen die Initiative, da sie wichtige Forderungen nach Nachhaltigkeit und Erholungsräumen enthalte (Rauser). Bei der AL war man sich uneinig und beschloss Stimmfreigabe. So stimmten die Grünen zusammen mit vier AL-Mitgliedern gegen eine Ablehnung der Initiative, während dem Gegenvorschlag des Stadtrats alle Fraktionen ausser FDP, SVP und Mitte/EVP zustimmten.
Über einen konkreten Text, der aus dem Gegenvorschlag folgt, wird voraussichtlich in etwa einem Jahr noch einmal diskutiert, prognostizierte Stadtrat André Odermatt (SP). Bis dahin wird noch viel Wasser die Ufer entlang fliessen.
Weitere Themen der Woche
- Einstimmig überwies das Parlament gestern ein Postulat von Christine Huber (GLP) und Tanja Maag (AL), das den Einsatz von Midi- und Kleinbussen rund um Fussballspiele im Letzigrund fordert, während denen der öffentliche Verkehr vor Ort eingeschränkt ist (wir berichteten). Der pragmatische Ansatz wurde allseits gelobt, auch wenn vor allem die rechte Ratsseite eine Lösung der Gewaltproblematik in der Fussballszene anmahnte. Die SVP hatte mit einem Textänderungsantrag, der eine solche Problembekämpfung seitens des FCZ mit in die Forderung aufnehmen wollte, keine Chance. Stadtrat Michael Baumer (FDP) erklärte, die geforderten Kleinbusse seien aktuell nicht verfügbar oder müssten von Einsätzen in anderen Quartieren abgezogen werden. Zudem werde es eine Herausforderung, Personal für Einsätze rund um das Stadion zu gewinnen.
- Gegen die Stimmen der SP wurde ein Postulat von Reto Brüesch und Roger Bartholdi (beide SVP) eingereicht, das einen temporären Projektstopp beim Neubau der Sportanlage Oerlikon fordert. Bei dem inzwischen mit bis zu 400 Millionen Franken projektierten Bau liege ein Kostenexzess vor, heisst es im Vorstoss. Es müsse eine neue Bedarfsanalyse für den Standort gemacht werden. Die ursprüngliche Forderung einer Entschlackung und Begrenzung der Kosten auf 300 Millionen Franken hatte die AL per Textänderung streichen lassen.
- «Wir Lokalpolitiker:innen konnten nichts gegen die Überhitzung des Finanzplatzes Schweiz machen, aber wir können etwas gegen die Hitzebelastung am Paradeplatz machen», erklärte Roland Hohmann (Grüne) zur Begründung eines von ihm und Mathias Egloff (SP) eingereichten Postulats, das kurz nach dem Zusammenbruch der Credit Suisse eingereicht worden war. Darin werden Hitzeminderungsmassnahmen an ebenjenem Paradeplatz gefordert, die von allen Fraktionen ausser FDP und SVP unterstützt wurden.