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Gemeinderats-Briefing #63: Mehr Wind, wenig Sturm

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Beziehungen am Arbeitsplatz, Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr, Windkraftausbau in der Schweiz.

Nächste Woche geht es los: Die stundenlangen Sondersitzungen zum Budget 2024 stehen an. Nicht nur auf den Presseplätzen, auch in den Reihen der Parlamentarier:innen ist die Vorfreude nicht gerade überschwänglich. Immerhin: Stefan Urech (SVP) schaut freudig auf die ökumenische Adventsbesinnung nächste Woche, die traditionell in die Zeit der Budgetdebatte fällt. In einer persönlichen Erklärung forderte er die anwesenden Ratsmitglieder auf, für diesen Moment die politischen Differenzen zu vergessen, miteinander anzustossen und von der hausgemachten Suppe von Roger Föhn (EVP) zu löffeln.

Vergleichsweise besinnlich ging es auch gestern im Rat zu. Über die meisten Geschäfte bestand grosse Einigkeit, zumindest was bestehende Problemlagen und Notwendigkeiten angeht. So zum Beispiel bei einer Weisung über eine Teilrevision der städtischen Personalverordnung, die Interessenkonflikte bei privaten Beziehungen vermeiden soll.

Illustration: Zana Selimi

Die Vorlage ging auf eine Motion von Roger Bartholdi und Bernhard im Oberdorf (beide SVP) aus dem Jahr 2019 zurück, in dem diese von der Stadt Zürich Chancengleichheit bei der Beförderungspraxis, Entlöhnung und Ausbildung gefordert hatten. Bei ihrer Forderung hatten sie sich auf den Bericht der Ombudsfrau aus dem Jahr 2018 gestützt, in welchem diese festgehalten hatte, «dass immer häufiger Verwandte, Verschwägerte, Partnerinnen und Partner, Freundinnen und Freunde nicht nur im gleichen Departement, sondern vermehrt auch in der gleichen Behörde, in der gleichen Verwaltungsabteilung oder gar im gleichen Team tätig sind».

«Es ist schwierig, das Thema korrekt zu erfassen», befand Hans Dellenbach (FDP) bei der Vorstellung der Weisung: «Es gibt in der Bundesverfassung bereits regulatorische Vorgaben, aber es gibt auch den Schutz der Privatsphäre.» Die Vorgaben müssten demnach in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Aufwand und Ziel sein. Die nun ausgearbeitete Lösung sieht vor, dass städtische Angestellte, die beruflich in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen oder sich gegenseitig kontrollieren, es melden müssen, wenn sie privat in einer Beziehung sind.

Was in diesem Fall als Beziehung gilt, befanden mehrere Parlamentarier:innen als schwierig zu definieren. Geeinigt hatte man sich in der Vorlage auf Verwandtschafts- und Verschwägerungsverhältnisse, Ehen, Verlobungen und eingetragene Partnerschaften oder Adoptions- und Stiefelternschaften. Nicht unter diese Definition fallen zum Beispiel enge Freundschaften.

Luca Maggi (Grüne) bemängelte, dass das Personalrecht ausgerechnet die Affäre, «die ja wohl am häufigsten zu Interessenkonflikten am Arbeitsplatz führt», nicht regeln könne. Beziehungen seien etwas sehr Individuelles und die vorgeschlagene Änderung bringe keinen Mehrwert gegenüber den bereits verfassungsrechtlich verankerten Regelungen. Die Grünen lehnten deshalb als einzige Fraktion die Weisung ab.

Auch Stadtrat Daniel Leupi (Grüne) zeigte sich skeptisch, ob die zwei neuen Artikel im Personalrecht nun wirklich eine umfassende Lösung für die erkannten Probleme liefern. Die vorgesehene Meldepflicht könne jedoch zumindest zu einer Sensibilisierung unter den Mitarbeitenden beitragen, solche Interessenkonflikte mitzudenken.

Zürich soll für fehlende Barrierefreiheit zahlen

Es war der letzte Vorstoss von Ex-SP-Gemeinderat Islam Alijaj vor seinem Weggang in den Nationalrat, und entgegen meiner Annahme kam er nicht mehr dazu, ihn persönlich im Rat vorzustellen. Stattdessen übernahm Mitpostulantin Anna Graff (SP) die Vorstellung des Postulats, das eine Übernahme der ÖV-Kosten im Stadtgebiet für Menschen mit einer Bezugsberechtigung für ein SBB-Begleitabo fordert. Vor 20 Jahren sei das Behindertengleichstellungsgesetz in Kraft getreten und in drei Wochen laufe die damit einhergehende Übergangsfrist ab, so Graff. Das heisst, dass ab 1. Januar 2024 ein Rechtsanspruch besteht, den öffentlichen Verkehr autonom barrierefrei nutzen zu können.

Doch wie aus der Antwort des Stadtrats auf eine schriftliche Anfrage von Alijaj und Graff zum Thema hervorgeht, sind 22 Prozent der Tramhaltestellen und 64 Prozent der Bushaltestellen auf Stadtgebiet bislang nicht vollständig autonom nutzbar. Die VBZ hätten einen klaren Auftrag und seien in der Bringschuld, fand Graff. Da die von den VBZ angekündigten Ersatzmassnahmen wie der Einsatz von Rampen mit Hilfestellung des Fahrpersonals den Postulant:innen nicht ausreicht, soll die Stadt den Menschen, die sich nun nicht wie versprochen völlig autonom im öffentlichen Verkehr bewegen können, die ÖV-Kosten übernehmen.

Eine Idee, die von der Mitte bis ganz Rechts auf wenig Gegenliebe stiess. Zwar bedauerten alle Sprecher:innen die deutliche Verzögerung in der Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes, doch angesichts der bereits erwähnten Ersatzmassnahmen sei die Forderung «unnötig» (Johann Widmer, SVP), «nicht zielführend» (Beat Oberholzer, GLP) und «rechtlich schwierig» (Benedikt Gerth, Die Mitte). Hans Dellenbach (FDP) fand, eine Kompensation für den Fall, dass der Staat eine versprochene Leistung nicht liefere, töne zunächst sympathisch, doch die gebe es ja schliesslich auch nicht in anderen Bereichen.

Demgegenüber fand Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne), eine barrierefreie Stadt sei ein Menschenrecht. Das SP-Postulat löse zwar das Problem nicht, sei jedoch ein sinnvoller Zwischenschritt auf dem Weg zur vollumfänglichen Umsetzung des Gesetzes. Stadtrat Michael Baumer (FDP) betonte, dass die Zugänglichkeit des öffentlichen Verkehrs für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen auch in seinem Interesse sei. Zürich stehe hier im Vergleich mit anderen Schweizer Städten übrigens ziemlich gut da, die von den Postulant:innen vorgetragenen Prozentzahlen gälten im übrigen nur für die vollständig autonome Nutzbarkeit des öffentlichen Verkehrs: «90 Prozent der Haltestellen sind grundsätzlich nutzbar.»

Alle sechs Wochen komme in Zürich ein neues Flexity-Tram auf die Schienen, so Baumer. Damit komme man der Barrierefreiheit immer näher. Das Postulat nehme man in dem Sinne entgegen, dass man noch nach weiteren Lösungsmöglichkeiten auf diesem Weg suche. Es wurde mit der knappen Mehrheit von SP, Grünen und AL überwiesen.

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EWZ soll sich verstärkt um Windkraft kümmern

Wenn sich die zwei grössten Fraktionen im Rat einig sind, dann ist meist wenig Kontroverse zu erwarten. Und so hätte das gemeinsame Postulat von Florian Blättler (SP) und Sebastian Vogel (FDP), das vom Stadtrat einen Bericht fordert, wie das EWZ gedenkt, den Ausbau der Windenergie nicht nur wie bisher vornehmlich im Ausland, sondern auch in der Schweiz hochzufahren, eigentlich in besinnlicher Samichlaus-Stimmung überwiesen werden können. Aber da gibt es eben noch die SVP, die dankbar die Rolle des Störenfrieds annahm.

Doch zunächst legte Florian Blättler die Notwendigkeit des Windkraftausbaus dar: Die Versorgungssicherheit sei ins Zentrum der Debatte gerückt, Kernkraft werde abgeschaltet und Solar könne den Bedarf nicht decken. Zudem werde der Verbrauch in Zukunft steigen. Dann stichelte er gegen die Öl- und Gas-Freundlichkeit der SVP, die damit eine Abhängigkeit von Russland und somit einem Diktator in Kauf nehme.

«Sie rennen mit dem Postulat offene Türen, eigentlich Tore ein.»

Stadtrat Michael Baumer ist sich mit der Ratsmehrheit einig über den Windkraftausbau.

Die angesprochene Fraktion lieferte daraufhin wie gewohnt: Der Beitrag, den die Windkraft zur Energiesicherheit beitragen könne, sei verschwindend gering, so Johann Widmer. Atomenergie sowie Solaranlagen in den Alpen seien viel sinnvoller. Zudem verschandelten die Windräder die Landschaft. Er warf den Grünen Inkonsequenz vor, da sie für die Windkraft Landschafts- und Umweltschutzfragen hintenanstellen würden.

«Wenn man den Energieverbrauch trotz grossem Sparpotenzial nicht vermindert, dann kann man nicht jedes Mal mit Landschaftsschutzargumenten kommen», entgegnete Dominik Waser (Grüne). In Zeiten von Klima- und Biodiversitätskrise mache es auch keinen Sinn, immer wieder Zielkonflikte hochzukochen. Man könne durchaus Rücksicht auf den Naturschutz nehmen, wenn man die Standorte für Windräder sorgfältig auswähle. Die Grünen unterstützten das Postulat, auch wenn man es als zu wenig ambitioniert und bindend erachte.

Was folgte, waren mehrere Wortmeldungen von SVPlern, die den Grünen Ideologie und den Ausländer:innen den erhöhten Energieverbrauch vorwarfen. Ratspräsidentin Sofia Karakostas (SP) sah sich irgendwann bemüssigt, einzuwerfen, dass der Vorstoss ja vonseiten SP und FDP eingereicht worden sei. Die Liberalen wiederum enthielten sich völlig der Diskussion.

Letztlich waren sich alle Fraktionen ausser der SVP einig in ihrer Unterstützung für das Postulat. Auch Stadtrat Michael Baumer erklärte: «Sie rennen mit dem Postulat offene Türen, eigentlich Tore ein.» Trotzdem sei es für das EWZ immer wichtig, bei der Standortwahl für Windkraftanlagen genauso wie bei anderen Entscheidungen nicht gegen die Bevölkerung vor Ort zu arbeiten.

Weitere Themen der Woche

  1. Das Café Yucca, ein Treffpunkt für Benachteiligte und Menschen in schwierigen Lebensumständen, soll in den Jahren 2024 bis 2027 neu 214'900 statt wie bisher 164'500 Franken jährlich von der Stadt bekommen. Alle Fraktionen waren mit dem stadträtlichen Weisung einig, dass die deutliche Erhöhung notwendig sei, da die Besuche und auch der Bedarf der Menschen in den letzten Jahren stark zugenommen haben. SP und Grüne hatten jeweils Anträge für höhere Beträge gestellt, die jedoch nicht die nötige Mehrheit für ein Erreichen des Quorums für die städtische Ausgabenbremse erreichten. Eine Mehrheit bekam stattdessen ein Kompromiss von FDP und SP, der vorsieht, weitere Gelder zu sprechen, wenn andere Geldgeber des Cafés ihre Beiträge ebenso erhöhen. Das Café Yucca finanziert sich zu 17 Prozent aus städtischen Geldern, der Rest kommt unter anderem von Spender:innen und den Kirchen.

  1. Patrick Maillard (AL) ging in einer persönlichen Erklärung darauf ein, dass im Kreis 6 ein Zivilschutzbunker als temporäre Asylunterkunft für 90 Personen genutzt werden soll. Seiner Meinung nach sei das Unterbringen in unterirdischen Luftschutzanlagen unmenschlich, vor allem, wenn es um Kinder gehe. Es widerspreche auch den Mindeststandards, die sich die Stadt nach der Diskussion um die Unterkunft am Lilienberg selbst gegeben hat. Die Stadt solle sich für oberirdische Unterbringungsmöglichkeiten einsetzen.

  1. SP und GLP kritisierten in einer gemeinsamen Fraktionserklärung die Änderungen zum anstehenden Fahrplanwechsel bei den VBZ, die höhere Preise und eine Fahrplanausdünnung beinhalten. «Wir müssen mehr bezahlen und erhalten weniger», verlas Sven Sobernheim (GLP): «Wie sollen wir so Netto-Null erreichen?» Er forderte Stadtrat und VBZ-Chef Baumer auf, Verantwortung zu übernehmen. Dieser meldete sich daraufhin zu Wort und wies den Vorwurf der Verantwortungslosigkeit zurück. Die Ausdünnung des Fahrplans sei eine temporäre Massnahme wegen des Personalmangels, statt wie aktuell immer wieder Fahrten ausfallen zu lassen. Die VBZ hätten seiner Meinung nach bereits die richtigen Massnahmen getroffen, «um nicht nur das heutige Normalangebot, sondern auch ein ausgebautes Angebot in Zukunft fahren zu können».

  1. Die Fraktionen von AL, Grünen, GLP, SP und der Mitte haben gestern eine Motion eingereicht, die vom Stadtrat eine Teilrevision der Bau- und Zonenordnung für das Josef-Areal verlangt. Zusätzlich zu den geplanten Alterswohnungen sollten auch gemeinnützige Wohnungen und Gewerberäume realisiert werden können, wie es die Arbeitsgruppe «Josef will Wohnen» im Oktober vorgeschlagen hatte. Wir hatten bei Tsüri.ch über die Forderungen der Gruppe berichtet.

  1. Alle Fraktionen des Gemeinderats haben gestern ein Postulat eingereicht, das die Einrichtung einer städtischen Antisemitismus-Stelle fordert. Die antisemitischen Vorfälle seien seit dem Überfall der Hamas auf Israel stark angestiegen, heisst es darin in Bezug auf die Meldestelle für antisemitische Vorfälle.

  1. Für Neu-Nationalrat Islam Alijaj (wir haben ihn für Tsüri.ch an seinem ersten Tag in Bern begleitet) trat gestern Dominique Späth neu in die SP-Fraktion ein. Laut SP-Webseite setzt sich die Geschichtslehrerin und Handballerin für visionäreres Denken in Verkehr und Hochbau und die Realisierung nachhaltiger, sozialer Grossprojekte ein – kommt da also Grosses auf uns zu?

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