10 Dinge, die mich die Verkehrswende in Zürich spüren lassen

Zürich hat viele Baustellen – doch es gibt auch Positives zu berichten. Anlässlich des zehnten Jubiläums der Verkehrswende-Kolumne hat sich Thomas Hug auf das konzentriert, was die Stadt dem Verkehr der Zukunft einen Schritt näher bringt.

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Zürich wird auch als ÖV-Stadt bezeichnet, weil die Trams so zuverlässig fahren. (Foto: Unsplash/Claudio Schwarz)

Das ist schon die zehnte Verkehrswende-Kolumne – wie schnell die Zeit auch vergeht. Und oft nutze ich diese Plattform, um die Stadt Zürich in Sachen Verkehrswende vorwärtszubringen. Zum feierlichen zehnten Jubiläum kommt hier für einmal aber keine Kritik. Sondern zehn Punkte, wo sich in Zürich die Verkehrswende schon beobachten lässt.

1. Das Ende des Zürcher Autobahnwahns

Beim Sihlhölzli über der Sihl thront das Mahnmal des fossilen Verkehrszeitalters. Es erinnert mich auch immer ein wenig daran, wie knapp Zürich dieser verkehrsplanerischen Vollkatastrophe entgangen ist – eine Autobahn quer durch die Stadt, unter dem Hauptbahnhof durch. Dass auf der Sihl teilweise trotzdem noch eine Autobahn steht, verwundert mich zwar, aber statt der Fortsetzung dieser Autobahn erhalten wir dafür im Gegenzug bald einen grosszügigen Velotunnel beim HB. Irgendwie hat die Geschichte also sogar ein Happy End.

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Die Bausünde über der Sihl, die zum Glück nie zu Ende geführt wurde. (Bild: Thomas Hug)

2. Ein wenig Kopenhagen an der Zweierstrasse

Der bekannteste Schwachpunkt Zürichs ist die Veloinfrastruktur. Viele von uns spüren das tagtäglich, wenn sie sich überhaupt in der Stadt trauen, Velo zu fahren. Trotzdem gibt es ein paar Stellen, wo man sich schon heute ein wenig wie in Kopenhagen oder Amsterdam fühlen kann. Wer auf der Zweierstrasse von der Schmiede Wiedikon zur Seebahnstrasse fährt, nutzt dabei einen angenehm breiten, abgesetzten Radweg – das ist die Zukunft! Leider endet das Stück Paradies dann auch ziemlich schnell wieder.

Gleiches gilt am Mythenquai vor dem Swiss Re Hauptsitz, wo die Stadt kürzlich einen schönen Zweirichtungsradweg gebaut hat. Es sind zwar nur kurze Hochgefühle, aber Ansatzpunkte für hoffentlich mehr.

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Der neue Veloweg am Mythenquai lässt die Herzen von Velofans höher schlagen. (Bild: Thomas Hug)

3. Tramspotting am Central

Die Limmatstadt wird oft als ÖV-Welthauptstadt bezeichnet – hinter unserem ÖV-System müssen wir uns nicht verstecken. Das liegt einerseits an dem dicht ausgebauten Netz an Tram, Bus und Zug; aber auch an der einzigartigen Priorisierung dieser Verkehrsmittel an den Lichtsignalen. 

Symbolisch für dieses System stehen kleine gelbe und grüne, runde Schachtdeckel. Meist sind sie zwischen den Gleisen der Tram zu finden. Sie steuern die Weichen und priorisieren die Tram an der Ampel. Wer das nächste Mal auf eine Strassenbahn wartet, erblickt vielleicht auch diese kleinen Details, die viel zum Erfolgsmodell aus Zürich beitragen.

4. Ein Türsteher für Autos in Altstetten

In der Fachsprache wird dieser Türsteher zwar als Pförtner bezeichnet – die Rolle ist aber ähnlich. Damit sind Ampeln gemeint, die den Verkehr an der Stadtgrenze dosieren. Wenn zu viele Autos in die Stadt wollen, wird dieser Türsteher aktiv. Rund 5000 Detektoren übermitteln dazu im Sekundentakt Daten an einen zentralen Verkehrsrechner. Dieses System ist inzwischen zwar etwas in die Jahre gekommen. Vor 20 Jahren galt es aber als Weltneuheit und kleinere Revolution, um den Verkehr in einer Stadt zu dosieren.

Wer die Echtzeitbelastung der Strassen selbst erkunden möchte, kann dies hier tun.

5. Wohlfühloase an der Heimatstrasse

Wer über moderne Quartierstrassen spricht, unterstreicht oft die Wichtigkeit von Aufenthaltsqualität und Begegnungsräumen. Noch fühlen sich viele Strassen in Zürich eher wie langezogene Parkplätze an – doch es gibt Ausnahmen. Ein schönes Beispiel dafür ist die Heimatstrasse im Seefeld, die in den 80er-Jahren zur «Wohnstrasse» umgestaltet wurde. Zwar gibt es auch da noch ein paar Parkplätze, aber der Strassenraum fühlt sich anders an. Pingpong-Tische laden zum Spielen ein, vereinzelt stehen Gartentische vor den Häusern. Wo genau der Übergang zwischen Vorgarten und Verkehrsraum liegt, ist nicht so ganz klar – weil der Verkehrsraum auch Lebensraum geworden ist. Die schöne Pflasterung am Boden sorgt für einen sickerfähigen Belag und eine erfrischende Abwechslung zum sonst üblichen Züri-Asphalt.

6. Grosser Bahnhof für die Bahn

Für die meisten von uns eine Selbstverständlichkeit, aber eigentlich ein krasses Teil: Der HB gehört zu den fünf stärkstfrequentierten Bahnhöfen Europas und wird oft als «bester» Bahnhof gehandelt. Nur bei den internationalen Verbindungen hinkt er der Konkurrenz etwas hinterher. Was den meisten Pendler:innen aber verborgen bleibt: Unter dem Bahnhof gibt es ein gewaltiges Netzwerk an Tunneln und Hallen, die für die Logistik des Bahnhofs vorgesehen sind. An gewissen Stellen lassen sich die Zugänge erkennen; zum Beispiel bei der Gessnerallee oder in der Unterführung beim Bahnhofquai. So ist der HB nicht nur ein Leuchtturm für den ÖV, sondern auch für die City-Logistik. Denn auf engstem Raum werden hunderte Geschäfte versorgt, ohne dass im Bahnhof selbst jemand etwas davon merken würde.

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Unterirdische Strassensysteme sorgen für einen reibungslosen Betrieb des Hauptbahnhofs. (Bild: Thomas Hug)

7. Lebendiges Ambiente auf dem Hallwylplatz

Besonders im Sommer erfreut es mich, wenn die Bevölkerung die Strassen und Plätze der Stadt eigeninitiativ in Beschlag nimmt. Wenn nicht mehr der Verkehr dominiert, sondern das Leben. Leute hängen Girlanden in die Bäume und feiern mit Festbänken einen Geburtstag. Oder spontane Feierabend-Biere auf den Stadtplätzen.

Der Idaplatz dürfte wohl der hippste Platz Zürichs sein. Doch das Quartiergefühl geht da manchmal fast ein wenig verloren. Daneben ist der Hallwylplatz noch richtig heimelig: Es gibt noch etwas urchigere Beizen und auf dem Platz wird gespielt und gequatscht. Manchmal gar im Brunnen geplanscht. Solche Quartierherzen braucht die Stadt – sie machen die Schönheit am Stadtleben aus und stehen Pate für eine fortschrittliche Verkehrspolitik.

8. Autofrei am Limmatquai

Es ist noch gar nicht so lange her, da rollten noch Autos durch den Limmatquai. Erst im Jahr 2004 wurde er für den Durchgangsautoverkehr gesperrt. Eine Grosstat aus heutiger Sicht – ich könnte mir nicht vorstellen, wer den autofreien Limmatquai wieder hergeben wollen würde. Trotzdem war es auch einer der letzten grossen Eingriffe in das Stadtzürcher Autosystem. Deshalb muss dieser Schritt aus heutiger Sicht wohl umso stärker gewürdigt werden. Trotz Ängste, dass das Gewerbe sterben und die umliegenden Strassen im Stau versinken könnten: Nichts davon hat sich bewahrheitet.

Im Gegenteil: Bei einer Analyse nach der Sperrung hat sich ergeben, dass sogar weniger Autos im Innenstadt-Perimeter unterwegs waren. Ein gutes Beispiel für verschwindenden Verkehr – ein grosses Thema, das ich mir vielleicht in zukünftigen Kolumne mal vornehmen sollte.

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Der Limmatquai vor rund 40 Jahren, als er noch nicht autofrei war. (Bild: ETH-Bildarchiv)

9. Aufpoppende Velostreifen an der Kasernenstrasse

Während der Pandemie wurde regelmässig für Popup-Velostreifen demonstriert. Was Städte wie Lausanne oder Genf schafften, wollte in Zürich nicht wirklich gelingen. Auch internationale Städte machten vorwärts, in Berlin entstanden innert weniger Tage neue Velostreifen. Mehr als drei Jahre nach Beginn der Pandemie poppen nun aber auch bei uns ein paar neue Velostreifen auf – meist, wenn Parkplätze oder überzählige Autospuren umgewidmet werden.

Besonders gefällt mir der Velostreifen an der Kasernenstrasse. Für Zürcher Verhältnisse ist er so angenehm breit, dass man sogar gemütlich nebeneinander fahren kann. Auch an der Löwenstrasse oder beim Bucheggplatz gibt es Beispiele. Zwar verwechseln die Autos den Velostreifen oft noch mit ihrer eigenen Spur. Wenn diese noch sauber baulich abgetrennt werden, kann ich nur sagen: Weiter so!

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Wo einst Autos geparkt wurden, ist heute ein Popup-Velostreifen. Hier ein Beispiel von der Löwenstrasse. (Bild: Stadt Zürich)

10. Superblock beim Röntgenplatz

Das Schlagwort der Stunde, wenn es um lebenswerte Quartiere geht, sind Superblocks. Bereits in einer früheren Kolumne habe ich darüber geschrieben. Im Rahmen meiner Arbeit befasse ich mich momentan oft damit. Da fiel mir kürzlich auf: Eigentlich hat Zürich schon seit langem einen Superblock. Genauer gesagt, seit den 80ern.

Damals fuhren am Röntgenplatz noch rund 14’000 Autos pro Tag durch. Ein unhaltbarer Zustand für das Quartier. Das Verkehrskonzept, das daraufhin zuerst temporär und später definitiv umgesetzt wurde, ähnelt im Grundsatz den Konzepten in Barcelona. Ist Zürich also vielleicht sogar die versteckte Vorreiterin beim aktuellen Mobilitäts-Modewort der Stunde?

NZZ, 5. März 1981, Nr. 53
Ausschnitt aus der NZZ zur Umgestaltung des Röntgenplatzes. (Bild: NZZ, 5. März 1981, Ausgabe Nummer 53)
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