Dürftige Zahlen für Zürichs Veloförderung

Während es andere Städte in der Schweiz vermehrt schaffen, dass ihre Bevölkerung auf das Velo umsattelt, stagniert die Zahl an Velofahrer:innen auf Stadtzürcher Strassen. Das zeigt eine aktuelle Auswertung. Unser Kolumnist und Mobilitätsexperte Thomas Hug spricht dabei von einem «hausgemachten Trauerspiel».

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Wird Zürich jemals zur Velostadt? (Bild: Lewin Bormann, CC BY-SA 2.0)

Letzten Samstag war Weltvelotag – in Zürich gingen Tausende auf die Strasse, um für eine bessere Veloinfrastruktur zu demonstrieren. Neue Zahlen, die der Bund vor wenigen Wochen veröffentlicht hat, zeigen nun: Solche Demonstrationen sind nötig, denn die Veloförderung in Zürich hinkt im Vergleich zu anderen Schweizer Städten immer weiter hinterher.

Alle fünf Jahre publiziert der Bund Zahlen zur Verkehrsentwicklung in der Schweiz – der sogenannte Mikrozensus Mobilität und Verkehr. Dabei werden mehrere Zehntausend Personen in der Schweiz zu ihrem Verkehrsverhalten befragt, was ein umfassendes Bild davon ergibt, wie die Schweiz verkehrt. Verkehrsplaner:innen und Mobilitätsinteressierte warten jeweils sehnsüchtig auf diese Zahlen. Besonders auf die aktuelle Auswertung, denn aufgrund der Pandemie wurde die Publikation verzögert. Die letzte Veröffentlichung stammt aus dem Jahr 2015.

In den Städten war man besonders gespannt auf die Resultate. Endlich sollte so ein nationales Bild über die Anstrengungen in der Veloförderung entstehen. Das OUVEMA der Uni Lausanne hat dabei die Zahlen des Bundes untersucht und ist zum Schluss gekommen: Zürich tritt auf der Stelle. Oder noch schlimmer: Der Anteil an Wegen, die mit dem Velo zurückgelegt werden, ist seit 2015 sogar leicht gesunken (auf etwa 11 Prozent). Basel hingegen ist klare Schweizermeisterin: Fast doppelt so viele Wege werden da mit dem Velo zurückgelegt wie in Zürich. Ausgerechnet Basel – wir verneigen uns!

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Entwicklung der Veloanteile seit 2010 in verschiedenen Städten – neben Zürich und Luzern konnten alle untersuchten Städte ihre Veloanteile erhöhen. (Grafik: Thomas Hug)

Dass Zürich im Velo-Städtevergleich nur im Mittelfeld mitmischt, ist nichts Neues – auch wenn ich es mir seit Jahren anders wünsche. Dass der Velo-Anteil in Zürich seit 2015 aber sogar stagniert, ist ein hausgemachtes Trauerspiel. Es ist das Resultat von verpassten Chancen in der Veloförderung. Oder wie es Prof. Patrick Rérat vom OUVEMA sarkastisch ausdrückt: «If you don't build it…» Denn auch heute sind noch viele Strassenbaupläne der Stadt in Sachen Veloverkehr ungenügend. Die einzige Möglichkeit, um die Projekte zu verbessern, sind Einsprachen – wie es kürzlich Pro Velo gemacht hat, weil der Bahnhof Wiedikon nicht an das Velonetz angeschlossen werden sollte. 

«Wo die Infrastruktur angepasst wird, kommen auch Velos.»

Thomas Hug

Dieses Bild lässt sich auch an den städtischen Velo-Zählstellen erkennen. Zwar steigen die Frequenzen seit 2015  an den meisten Zählstellen verhalten. Da die Zahlen des Bundes aber relativ gemessen werden – also als Prozentwert im Vergleich zum gesamten Verkehrsaufkommen –, können die gemessenen Frequenzen leicht steigen, der relative Anteil an den zurückgelegten Wege aber trotzdem sinken. Das bedeutet, dass absolut zwar etwas mehr Leute Velo fahren, aber gleichzeitig auch mehr Leute mit dem öffentlichen Verkehr oder einem motorisierten Fahrzeug unterwegs sind, es also keine Verlagerung von einem anderen Verkehrsmittel zum Velo gegeben hat.

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Ausgewählte Velozählstellen in der Stadt Zürich. (Daten: Tiefbauamt Stadt Zürich / Grafik: Thomas Hug)

Während andere Städte in ähnlichen Situationen eine Velo-Offensive ausrufen und mit spezifischen Zielen agieren, steht Zürich abseits und wird abgehängt. So hat sich zum Beispiel Bern eine klare Messlatte gesetzt: 25 Prozent Veloverkehr-Anteil bis 2030. Und dieses hat die Schweizer Hauptstadt fast erreicht, weshalb bereits Rufe nach einem ambitionierteren Ziel laut werden. Städte wie Kopenhagen (2020: 36 Prozent), Münster (2013: 39 Prozent) oder Amsterdam (2014: 40 Prozent) zeigen, dass dies möglich ist. Zürich hingegen hat noch nicht einmal ein klares Ziel definiert. 

Einen Lichtblick gibt es allerdings: Während die meisten Zählstellen keine grossen Sprünge machen, zeigen die Massnahmen an der Baslerstrasse Wirkung. Hier hat die Stadt kürzlich die erste Velovorzugsroute mit breiten Velostreifen und neuen Einbahnregimes eröffnet. Als eine der wenigen Zählstellen in der Stadt werden hier seit Anfang 2023 neue Höchststände gemessen. Ein klares Zeichen, das der Stadt Mut machen sollte: Wo die Infrastruktur angepasst wird, kommen auch Velos – auch wenn die Umsetzung noch nicht perfekt ist.

Wenn die Stadt nun endlich flächendeckend eine gute Velo-Infrastruktur realisieren würde, muss sich Zürich beim nächsten Mikrozensus vielleicht auch nicht mehr ganz so fest schämen.

PS: Apropos Zählstellen – in der Stadt Zürich gibt es rund 100 kalibrierte Autozählstellen (und tausende unkalibrierte Detektoren für das Auto). Der Veloverkehr wird dagegen nur an 23 Orten von Zählstellen erfasst. Es ist also nicht vermessen zu sagen, dass wir auf dem Velo-Auge etwas blind sind.

PPS: Die Stadt begründet das schlechte Abschneiden in einer Medienmitteilung mit schlechtem Wetter und der Pandemie. Das gute Resultat der anderen Schweizer Städte stellt diese Aussage nicht gerade in ein rühmliches Licht – auch sie spürten die Pandemie und durchzogene Wetterlagen.

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