Idaplatz: Paradebeispiel einer Aufwertung
Wer von der Badenerstrasse ins Idaplatzquartier einbiegt, verlässt den Verkehr und nörgelnde Trams. Tempo 30, Parkbänke und Cafés laden zum Verweilen ein. Eigentlich kein seltener Anblick in Zürich, doch das Idaplatzquartier hat einmal ganz anders ausgesehen: Wo früher Alkis den Platz belagerten, teilen sich heute Yuppie und Quartier-Original die Parkbank. Was ist passiert? Eine Suche nach Antworten.
Es ist Montagmorgen, der Sommer hat sich in Zürich angemeldet, um zu bleiben. Das Piazza am Idaplatz öffnet gerade seinen Betrieb, die ersten Gäste warten bereits mit ausgebreiteter Zeitung auf ihren Cappuccino. Auf einer der Bänke sitzt eine Mutter mit ihrem Kinderwagen und schaut auf ihr Smartphone. Der Betreiber des Kiosks am Ecken füllt gerade die Regale auf. Im Chornlade lacht das Biogemüse von der Auslage. Angeblich hat hier die vorherige Besitzerin – eine Apothekerin – mal Drogen vertickt, aber das ist eine andere Geschichte. Später wird ein Polizist auf seinem Mountainbike vorbeifahren und am Brunnen seine Wasserflasche auffüllen. Wahrlich, ein friedvoller Anblick.
Der Idaplatz hat einmal anders ausgesehen. Er war asphaltiert, hatte nur ein paar Bänke und war etwas weniger friedvoll. Schon damals war er Begegnungszone, vor allem für biertrinkende Arbeitslose oder Jugendliche, die sich hier zum Tschutten verabredeten. Und heute? Heute verkehren hier wohlhabende Yuppies, Mamas und Papas und schlürfen Lattes. Der Idaplatz ist das Zentrum des Quartiers und gleichzeitig Repräsentant einer Stadtentwicklung, welche vor über zehn Jahren ihren Lauf genommen hat. Entscheidend für das Quartier war vor allem der Umbau des Idaplatzes, die zahlreichen Neueröffnungen von Lokalen sowie die Verkehrsberuhigung. Das war Mitte der Nullerjahre und ab dann ist das Quartier rund um den Idaplatz richtig aufgeblüht.
«Der Idaplatz ist der beste Platz in Zürich!»
Die Leute strömten nicht erst mit dem Umbau in das Herzstück des Ida-Quartiers. Das Idaplatzfest oder das Openairkino Idaplatz gab es schon vorher und zog alljährlich Hunderte Menschen aus der ganzen Stadt an. Und heute? «An einem schönen Sommerabend ist der Platz sofort voll!», klärt mich Roger auf, der 75 Jahre alt ist und schon sein ganzes Leben im Quartier wohnt. Seine Wohnung befindet sich in einem Haus direkt am Idaplatz, das noch nicht renoviert und somit bezahlbar ist. Gefragt, wie er sein Quartier heute empfindet, entlädt er eine Triplette: «schöner, lässiger, lebendiger!» Ja, es sei lauter geworden und es wohnen nicht mehr die gleichen Leute hier wie früher, aber ihm mache das nichts aus. Roger ist voll des Lobes. «Der Idaplatz ist der beste Platz in Zürich. Nicht der drittbeste, nicht der zweitbeste - der beste!».
Natürlich fährt genau in diesem Moment eine Schulklasse vorbei und übt für die Veloprüfung. Natürlich sitzen auf den Bänken Mamis mit ihren Kindern, daneben eine paar Skaterboys, ganz anständig. Und natürlich haltet erst jetzt der durstige Polizist am Brunnen, von dem oben die Rede war. Roger nickt zum Polizisten rüber: «Das gab’s früher auch nicht...». Ja genau, wie war das früher?
«Hier gab’s Spelunken, in die wäre ich niemals reingegangen», sagt mir Ivo Mijnssen, der im Quartier aufgewachsen und Mitherausgeber des Newsletters Quartiernetz3 ist. «Das waren alles recht unfreundliche Orte». Und heute? Mit dem Umbau Mitte der Nullerjahre veränderte sich das Quartier. Ivo glaubt, mit der Eröffnung der Bottega Berta habe alles seinen Anfang genommen. Das sei früher eine urchige Beiz gewesen. Das Calvados erkenne man auch nicht wieder. Früher waren das rauchige Schuppen, in denen vor allem ältere Leute sassen, auch Säufer. Und heute sind das angesagte Lokale mit netten Tischchen draussen und bunt durchmischter Kundschaft. Sie reicht vom 21-jährigen neu-immatrikulierten Szeni bis zum Roger, der mit seinen 75 erklärt, auf was es im Leben ankommt. Irgendwo dazwischen tummeln sich die Yuppies. Da ist viel passiert am Idaplatz!
«Früher war Zürich noch nicht so durchmischt wie heute»
Treffen mit Urs Rauber, dem Präsidenten des Quartiervereins Wiedikon, zu dessen Einzugsgebiet auch der Idaplatz zählt. Er meint, in den letzten dreissig Jahren hätten sich in Zürich vor allem zwei Dinge massiv verändert: Die Verkehrslage sowie die Zusammensetzung der Bevölkerung. «Es wurde sehr viel gemacht für die Velofahrer und Fussgänger, was ich sehr begrüsse». Je nach Quartier seien unterschiedlich viele Ausländer hinzugezogen. Zürich sei offener geworden, so Rauber. «Früher war Zürich noch nicht so durchmischt wie heute». Schaut man sich die Zahlen der Stadt an, hat Rauber recht. Wenn es aber spezifisch ums Idaplatzquartier geht, hat eine andere Entwicklung stattgefunden. In den letzten Jahren sind nämlich wieder vermehrt Menschen mit ausländischer Herkunft weggezogen. Wo sind diese Leute hin und wieso sind sie gegangen?
Die Sache mit dem Mietzins
Die Miete sei, so lasse ich mir sagen, ein ständiges Thema. Roger meint sogar, man wolle es sich mit den Vermietern nicht verscherzen aus Angst, dass einem die Wohnung gekündigt werde. Wie bitte? «Sagen wir’s so: Die Mieter sind gegenüber Mängeln in ihrer Wohnung kulanter und sagen lieber nichts.» Zudem wisse er aus erster Hand, dass die Besitzerin seiner Mietwohnung mindestens einmal im Monat ein Angebot von einem Architekten erhalte, der das Haus für sechs Millionen Franken kaufen möchte. Ein Interview mit ihr sei nicht möglich.
Ein bisschen gelassener sieht das einer der beiden Inhaber des Kiosks, welcher direkt am Idaplatz liegt. Er sei jetzt schon über zwanzig Jahre hier: «Klar sind die Mieten ein Thema, aber das ist nun mal so. Schau dir mal diesen Platz an, die Wohnungen die hier stehen: alle renoviert und Top-Standard. Schon klar, ist das teuer!». Man ist sich bewusst, dass schönes Wohnen seinen Preis hat.
Kaffee mit einer Anwohnerin, welche ebenfalls im Quartier aufgewachsen ist. Sie möchte ihren Namen aber lieber nicht hier lesen, weshalb wir sie Gabi nennen. Mit Gabi rede ich ebenfalls übers Quartier und wie es sich in den letzten drei Jahrzehnten verändert hat. Gabi hat viel zu erzählen und schmeisst mit Strassennamen nur so um sich. Umbau hier, renovierte Wohnungen dort. Natürlich gebe es auch Genossenschaftswohnungen, aber im Allgemeinen seien die Mieten extrem angestiegen. Am schlimmsten seien die möblierten Appartements, welche vor allem für Geschäftsleute gedacht sind.
«Hier hat’s Wohnungen, die über 3000 Franken kosten. Auf jedem Stockwerk der gleiche Balkontisch», ruft Gabi aus. Diese Leute kriege man nie zu Gesicht, ausser vielleicht, wenn sie ihren Neoprenanzug vom letzten Tauchgang auf den Malediven zum Trocknen auslegen würden. «Von diesen Menschen hast du nichts. Die interessieren sich nicht fürs Quartier, die machen nichts fürs Quartier, ausser den Mietzins in die Höhe zu treiben. Und das finde ich schade.»
Die Mietzinse im Quartier sind tatsächlich angestiegen, wie die Zahlen des Statistischen Amtes der Stadt Zürich belegen. Allein in den letzten sieben Jahren stieg der Quadratmeterpreis im Quartier Sihlfeld um 42 % an. Das ist an sich keine neue Geschichte in Zürich. Doch beim Idaplatzquartier waren von Anfang an die Voraussetzungen anders, wie Ivo Mijnsen vom Quartiernetz 3 erklärt: «Das Quartier war ein ungeschliffener Diamant, der dann geschliffen wurde.» Und wieder: schönes Wohnen kostet. Doch was ist mit den Menschen, die sich das nicht leisten können?
«Verdrängung ist immer ungerecht»
Interview mit Philipp Klaus, Leiter des Think-Tanks INURA in Zürich West. Der promovierte Wirtschafts- und Sozialgeograph beschäftigt sich seit langem mit Fragen zu Stadtplanung und Aktivismus. Was ist der Auslöser für diese Entwicklung des öffentlichen Raumes in der Stadt Zürich? Das Stichwort lautet Gentrifizierung oder Gentrifikation. Philipp Klaus: «Aufwertung kann verschiedene Gesichter haben. Es kann zum Beispiel eine Verkehrsberuhigung sein, die man eigentlich allen wünscht, die aber trotzdem dann in höheren Mieten (Investitionen) münden». Das Muster bleibt immer dasselbe. Der Raum um eine Liegenschaft wird aufgewertet, was diese wiederum attraktiver für zahlungskräftigere Mieter*innen und damit für Investor*innen macht. Klaus betont, dass die Verdrängung immer ein Grundmerkmal der Gentrifikation sei. «Und Verdrängung ist immer ungerecht. Da müssen wir hinschauen!»
Verdrängt werden grundsätzlich Menschen, die sich den Mietzins der aufgewerteten Immobilie nicht mehr leisten können und in ein günstigeres Quartier ziehen müssen. Das ist auch im Idaquartier geschehen. Nach der Verkehrsberuhigung der Weststrasse im Jahre 2010 stiegen die Mietpreise dermassen an, dass langjährigen Bewohner*innen nichts anderes übrig blieb, als umzuziehen. Deshalb sitzen jetzt auch keine Biertrinker*innen auf den Bänken am Idaplatz. Vielen Familien, vor allem solchen mit Migrationshintergrund, wurde die Wohnung gekündigt. Nach der Renovation kommen sie als Mieter*innen schlichtweg nicht mehr in Frage. Sie wohnen jetzt in Schlieren oder Dietikon.
Ein gesundes Nebeneinander?
Es ist nicht so, dass gegen diese Verdrängung nichts unternommen werde. Philipp Klaus betont, dass Zürich in Sachen gemeinnütziger Wohnbau eine Vorreiterin sei. Einerseits gibt es städtische Liegenschaften, andererseits über 100 Baugenossenschaften, Stiftungen und Vereine, die zusammen mehr als einen Viertel der Wohnungen in der Stadt Zürich anbieten. Dabei gilt: Gemeinnützige Wohnbauträger dürfen keinen Gewinn erwirtschaften, und ihre Wohnungen sind der Spekulation entzogen. Klaus ist der Ansicht, dass ein Teil des Erfolgs der Stadt Zürich seine Wohnbaupolitik sei, welche den gemeinnützigen Wohnbau fördert. «Das sorgt für Stabilität, was wiederum der Global City zugute kommt». Ein gesundes Nebeneinander also?
Nicht ganz. Die wachsende Internationalisierung Zürichs vor allem im wirtschaftlichen Bereich führte auch zu einer angestiegenen Eventisierung im öffentlichen Leben. Ein Forschungsprojekt des Schweizerischen Nationalfonds untersucht genau das. Die These lautet: Die zunehmende Eventisierung in der Stadt Zürich begünstigt Prozesse der Differenzierung und der Exklusion. Mit anderen Worten: Wenn immer mehr Events stattfinden, splittert sich die Bevölkerung immer mehr auf, es entstehen Subkulturen, welche sich an Orten treffen, wo andere nicht hin können (Fremdexklusion) oder nicht hin wollen (Selbstexklusion).
Klaus, der selber bei der Studie mitarbeitet, beteuert, dass die Eventisierung zu einer extremen Professionalisierung und Kommerzialisierung im öffentlichen Leben beigetragen hätten. Und so kommt es, dass heute ein Event nach dem anderen stattfindet, überall, soweit das Auge reicht. Das erklärt, weshalb der Idaplatz eben mehr als nur ein Platz bzw. ein Naherholungsgebiet ist. Der Idaplatz kann selbst ein Event sein. Das alljährliche Idaplatzfest kennt mittlerweile die ganze Stadt, obwohl es ursprünglich eher familiär zu und her ging.
Mediterranes Zürich
Was bedeutet das für den Platz, wenn mal nicht gerade ein Fest dort stattfindet? Klaus gibt mir zu verstehen, dass in Zürich ab den 1980er Jahren ein Prozess der sogenannten «Mediterranisierung» seinen Lauf genommen hätte. Im mediterranen Raum findet das Leben auf der Piazza statt. Nicht so in Zürich: «Das Leben auf den Plätzen war sehr marginal». Es hätten sich da vor allem ältere Leute und Mütter mit ihren Kindern aufgehalten und sonst niemand, auch auf anderen Plätzen nicht. Und das habe sich verändert: «Zürich findet heute draussen statt!».
Eine wichtige Rolle nahmen dabei die Strassenfeste ein. Ihre Häufigkeit hat so stark zugelegt, dass das Büro für Bewilligungen ab 1985 in ihren Statistiken eine neue Rubrik für Strassenfeste aufführt. Klaus: «Das waren Initiativen aus dem Quartier heraus von Menschen, welche aus dem Süden nach Zürich kamen und dortige gesellschaftliche Praxis gleich mitbrachten. Man wollte die Leute zusammenbringen, frei nach dem Motto: zusammenkommen und sich kennenlernen. Eine Integrationsmassnahme, ohne es als solche zu benennen. Eine Selbstorganisation des Quartiers mit dem Ziel, das Quartier lebendig zu machen. Das war total neu, das gab es so noch nicht».
Was ist passiert?
Der Idaplatz steht symbolisch für eine Stadtentwicklung, welche sich in Verkehrsberuhigung und Aufwertung des öffentlichen Raumes zeigt. Was aber ist mit den Alkis geschehen, welche früher den Idaplatz besiedelten? Wahrscheinlich fand hier Selbst- bzw. Fremdexklusion statt, sodass sie sich einen anderen Ort suchen mussten. Mit anderen Worten: Sie wurden weg-gentrifiziert. Damit ist der Idaplatz Repräsentant einer Entwicklung, welche in ganz Zürich und auch in anderen Städten zu beobachten ist.
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