Autobahn-Ausbau: Die Stimmen der Frauen entscheiden

Besonders viele Frauen lehnen den geplanten Autobahn-Ausbau ab. Zu Recht, findet unser Kolumnist Thomas Hug. In der Vergangenheit sei zu oft an deren Bedürfnissen vorbei geplant worden.

Brütiseller-Kreuz Autobahn
Das Brütiseller-Kreuz anno 1974 – heute trifft man diese Strassen selten so leer an. (Bild: ETH-Bildarchiv / Fotograf: Sonderegger, Christof / CC BY-SA 4.0)

Dieses Mal kommt die Zürich nochmals davon. Während in der Vergangenheit das Autobahnnetz um die Stadt stets erweitert wurde, steht am 24. November kein Zürcher Projekt zur Abstimmung. Konkret stimmt die Schweizer Stimmberechtigten über den Ausbau von sechs Autobahnabschnitten ab. Gefordert werden mehr Spuren und Tunnels.

Die Abstimmung ist aber nur der Vorbote von einem rund dreissig Milliarden schweren Investitionspaket in die Autobahnen. Die Umfragen zeigen: Es gibt einen massiven Gendergap im Rückhalt der Vorlage. 

Eigentlich unvorstellbar: Während die Idee des Zürcher Autobahn-Y, eines unterirdischen Autobahntunnels quer durch die Stadt Zürich, nach jahrzehntelangem Widerstand kürzlich begraben wurde, stimmen wir nun tatsächlich immer noch über neue Autobahntunnels ab. Was in Zürich für untauglich befunden wurde, soll für andere Städte die einzige Lösung sein.

Doch auch da wären die Auswirkungen für das urbane Leben einschneidend: 16 Verkehrsprofessor:innen von Schweizer Hochschulen warnten kürzlich davor, dass der Ausbau «dazu führen wird, dass mehr Menschen mit dem Auto unterwegs sind».

Die Leidtragenden dieser Entwicklung werden unter anderem Frauen sein. Sie verunfallen häufiger auf den Strassen als Männer, wenn sie zu Fuss unterwegs sind. Da sie in hetero Beziehungen noch immer mehr Kinderbetreuung leisten, dürften sie sich auch der Gefahr der Autos auf den Strassen für die Jüngsten eher bewusst sein. 

Der Ausbau der Autobahnen wird diese Situation noch verschärfen – denn wenn mehr Leute in das Auto steigen, erhöht sich die Gefahr für die Menschen, die nicht im Auto sitzen. Frauen scheinen diese Gefahr zu erkennen: Gemäss aktuellen Umfragen lehnen Frauen den Autobahnausbau deutlich ab (38 Prozent), während 66 Prozent der Männer zustimmen wollen.

Screenshot 2024-11-15 091551
Aktuelle Umfrageresultate der Befragungswellen am 5. Oktober und 11. November zur Autobahn-Abstimmung, aufgeteilt nach Geschlecht. (Bild: gfs.bern)

Dieser Gendergap ist kein Zufall. Seit den 50er-Jahren ist die Verkehrsplanung dominiert von Männern, die natürlicherweise die eigenen Verkehrserfahrungen in den Vordergrund stellen. So sind komplexe Wegketten, wo ein stetiger Wechsel an Verkehrsmitteln und Zielen stattfindet, in der autozentrierten Welt kein Thema. 

Doch die Mobilität von Frauen ist komplizierter – indem sie auch heute noch zwischen Care-Arbeit, Erwerbsarbeit und Familienaufgaben jonglieren. In vielen Fällen wird das Auto der ganzen Dimension der weiblichen Mobilität nicht gerecht.

Die Bauingenieurin Juliane Krause erläuterte ihre Erfahrung zum Thema in einem Interview einst so:  «Männer haben manchmal ein Aha-Erlebnis, wenn sie den Kinderwagen schieben und merken, dass der Bordstein nicht abgesenkt oder die Ampelphase zu kurz ist.»

Auch die aktuelle Autobahn-Planung zeugt vom Geist der 50er-Jahre: Statt einen gleichberechtigten, vielfältigen Mobilitätsmix zu ermöglichen, sollen die Probleme auf der Strasse mit mehr Beton und Stahl gelöst werden. Dementsprechend ist die Abstimmung zum Ausbau der Autobahnen auch eine Frage der Mobilität der Zukunft. Wie wünschen wir uns die Orte, wo einst unsere Kinder unterwegs sein werden? 

Der Ausgang der Abstimmung wird knapp – und wird zu einem grossen Teil daran liegen, wer mehr an die Urne geht, Männer oder Frauen. So wird die Abstimmung auch zur Frage, ob wir die Rezepte der letzten fünfzig Jahren nahtlos weiterführen wollen, oder ob nun der Moment für eine Zeitenwende ist. Noch braucht es eine Überraschung, doch sie ist zum Greifen nah – und liegt in den Händen der Frauen. 

Ohne deine Unterstützung geht es nicht

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 1800 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 2000 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!

Natürlich jederzeit kündbar.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare